11.01.2016Hintergrundcreated by Gyula Fekete
mehriran.de - Sie stammen aus dem Iran, leben seit Jahrzehnten in Deutschland, haben aber ihre leidenden Landsleute nicht vergessen.
Am Ida-Ehre-Platz, Hamburg, im Januar 2016
mehriran.de - Die Hamburger Bürgerinnen und Bürger kennen sie schon gut. Jeden Samstag steht eine Gruppe Exiliranerinnen und Exiliraner am Ida-Ehre-Platz, die mit den sogenannten Trauernden Mütter im Iran (Madarane Parkeh Laleh) sympathisiert. Es sind meist Frauen, aber auch Männer tragen Plakate und zeigen sich mit Bannern, die die Freilassung aller Gefangenen aus politischen oder Gewissensgründen fordern. Sie setzen sich auch für ein Ende der Hinrichtungen und die Aufhebung der Todesstrafe im Iran ein. Manche Passanten lassen sich auf Gespräche ein und informieren sich, andere scheinen einen Anlass zu finden, ihren Vorurteilen freien Lauf zu lassen. Meist murmeln diese Unverständnis oder Unwillen über Fremdheit und können sich nicht überwinden ins Gespräch zu gehen.
Viele der Männer und Frauen sind selbst Verfolgte des Regimes im Iran, die fliehen mussten, weil sie selbst oder ihre Angehörigen in den Fokus ideologischer Hardliner gekommen sind.
Im Iran herrscht seit 1979 ein komplexes System, das sich als "Islamisch" versteht und sich dem sogenannten Obersten Rechtsgelehrten in allen relevanten Entscheidungen beugt. Das Prinzip nennt sich Velayat-e Faghi. Manche Beobachter sagen mit Blick auf die von breiten Gesellschaftsgruppen getragenen Revolution von 1979 im Iran, sie sei spätestens mit der Besetzung der amerikanischen Botschaft von fanatischen Kräften usurpiert worden, die sich Dank des Krieges gegen Saddam Hussein, fester in den Tiefenstaat und in einige militärisch-wirtschaftlich-juristische Institutionen einnisten konnten. Viele Revolutionäre der ersten Stunden haben sich enttäuscht von dem Ergebnis der Revolution abgewandt. Heute heisst es, wann man die Brutalität der jetzigen Machthaber geahnt hätte, wäre man doch lieber bei den Unterdrückungsmechanismen des Schahs verblieben.
Im Iran kämpfen momentan hauptsächlich zwei Machtblöcke, die in tausende von Untergruppen fraktioniert sind, um die Macht im Iran. Diese beiden Machtblöcke gehören beide der politischen Elite im Iran an. Der eine Machtblock besteht aus Eiferern, Gewaltideologen und treu ergebenen Führerhörigen und schart sich um den Obersten Führer Ali Khamenei. Khamenei ist im theologischen Sinne der Idee des Velayat-e Faghi sehr schwach für die Position legitimiert. Sein jetziger Hauptkontrahent Akbar Rafsandjani, ehemaliger Präsident Irans und jetziges Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat, hatte Khamenei nach dem Tod der charismatischen Gründerfigur Ajatollah Khomeini zum Nachfolger vorgeschlagen. Doch seit Khamenei das Amt des Obersten Führers inne hat (1989), haben sich die ehemaligen Verbündeten zu Gegnern entwickelt. Rafsandjani unterstützt Präsident Rohani und scheint die Absicht zu hegen, das Amt des Obersten Führers nach Khameneis Tod nicht mehr besetzen und aus der Verfassung streichen zu wollen, was die Vertreter der Revolutionsgarden und alle Eiferer im Sinne der "Islamischen Weltrevolution" in Rage versetzt. Khamenei wiederum wird nachgesagt, er würde seinen Sohn Mojtaba darauf vorbereiten sein Nachfolger zu werden.
Mojtaba Khamenei wiederum wird eine führende Rolle in der blutigen Niederschlagung der Proteste von 2009 nachgesagt.
In der Zeit dieser starken Rivalität wird das Anliegen aller Menschenrechtler für die politischen Gefangenen im Iran kaum noch wahrgenommen. Gleichzeitig trauen sich immer mehr Menschen auf die Straße zu gehen und gegen Ungerechtigkeiten zu protestieren. Die iranischen Behörden haben große Furcht vor Eskalationen im Land. Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen Interessen an Iran im Westen sehr stark angewachsen und Menschenrechte werden nicht so genau betrachtet. Auch ein Sicherheitsinteresse des Westens ist nicht zu vernachlässigen: Iran wird von manchen Politikern und Intellektuellen als stabilisierender Faktor in der Region betrachtet und dadurch eher nicht öffentlich gescholten.
Umso wichtiger ist die Beharrlichkeit der Frauen und Männer in Hamburg, auf die nach wie vor prekäre Menschenrechtssituation im Iran aufmerksam zu machen. Manchmal werden sie von Passanten gefragt, warum sie sich hier noch für Menschen im Iran einsetzen. Dann lächeln sie und sagen, weil wir die Situation dort vor Ort gut kennen und es gar nicht anders geht als auf diese Situation aufmerksam zu machen. Ein isoliertes Leben in Deutschland zu führen und sich nicht für das Leid ihrer Mitmenschen in der alten Heimat zu interessieren, erscheint ihnen leer.
2016, Gyula Fekete für mehriran.de
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