- Andrej Hunko
Ein Gespräch mit Andrej Hunko über das “Indect” Program der EU
Das Gespräch führte Jules Jamal El-Khatib für Die Freiheitsliebe
Freiheitsliebe: Hallo Andrej, du hast vor kurzer Zeit das Indect Programm kritisiert. Was sind die eigentlichen Aufgaben dieses Programms?
Andrej Hunko: INDECT ist eines von mehreren Dutzend Forschungsvorhaben der Europäischen Union. Die Programme sollen eine mit technischen Mitteln erreichte Erhöhung von „Sicherheit“ erzielen, was für die BürgerInnen und den Datenschutz jedoch zunehmende Unsicherheit bedeutet. Das Projekt INDECT will eine Plattform entwickeln, die mehrere bereits jetzt ausgespähte Sphären vereint: Die Auswertung von Informationen im Internet, Videoüberwachung auch mit fliegenden Kameras und ein Abgleich mit etwaigen angeschlossenen Polizeidatenbanken. Gesucht wird nach „abweichendem Verhalten“, also zuvor definierten Auffälligkeiten. Damit sollen Personen möglichst automatisiert verfolgt werden, während ihre biometrischen Daten mit polizeilichen Datensammlungen abgeglichen werden.
Du befürchtest, dass durch dieses Programm die totale Überwachung näher rückt, solche Vorwürfe werden von der EU dementiert. Wieso befürchtest du das?
Einen Vorgeschmack gab etwa der Mord an einem palästinensischen Politiker in Dubai vor einem Jahr. Binnen weniger Tage war die Polizei in der Lage, Material Hunderter unausweichlicher Videokameras auszuwerten und die Verdächtigen über Stunden zurück zu verfolgen. Im technokratischen Machbarkeitswahn, von dem auch INDECT beseelt ist, soll diese sogenannte „rückwärts gerichtete Überwachung“ auch in die Zukunft weisen. Die Rede ist von Software, die aufgrund von Verhaltensmerkmalen Prognosen berechnet was die observierte Person im nächsten Moment tun könnte. Laut Herstellern handele es sich bei dieser Vorhersage um eine „Evolution in der Verbrechensbekämpfung“. Erst kürzlich haben wieder zahlreiche deutsche Hersteller derartiger Software ihre Produkte auf einer als „Polizeikongress“ getarnten Verkaufsmesse in Berlin vorgestellt. Die Anwendungen sind bestens geeignet, auch politische Bewegungen zu überwachen und können hierfür mit zusätzlichen „Apps“ versehen werden. Eine ähnliche Plattform wie in Dubai hat Siemens auch in den Iran verkauft. Angeschlossen waren auch Informationen von Mobilfunkbetreibern über eingebuchte Handies. So konnte die Polizei leicht registrieren, wenn sich eine spontane Versammlung formierte. Obwohl die Technik zweifellos gegen Menschenrechte in Stellung gebracht werden, darf sie ungehindert exportiert werden.
In Bayern sollen bald Onlinedurchsuchungen möglich werden, zumindest wenn es nach Herrn Herrmann geht, wie stehst du zu solchen Ideen, in Zeiten der “Terrorgefahr”?
Das staatliche Eindringen in private Rechner ist nur eines der technischen Hilfsmittel, mit denen die Polizei liebäugelt und die in Zeiten von Terrorwarnungen Konjunktur haben. Vor wenigen Wochen fand in Dubai eine große Verkaufsausstellung für Spionagesoftware statt. Über drei Tage wurden Anwendungen gezeigt, die Passwörter stehlen, Screenshots erstellen und versenden oder Mobilfunkverkehr abhören. Die Messe adressierte Märkte in Afrika und dem Nahen Osten. Kein Wunder, denn wie wir in Tunesien, Ägypten und dem Iran gesehen haben wird die Technik gern gegen Aufstände ins Feld geführt. Wie bei INDECT hält hier militärische Technologie Einzug in einen zivilen Bereich. Die Doktrin einer „Vernetzten Operationsführung“ will den Gegner besiegen, indem möglichst viele Informationen über ihn besorgt und auch verarbeitet werden können. Meiner Meinung nach sind die drängenden sozialen und politischen Probleme aber weder militärisch noch technisch lösbar.
Neoliberale Politik
Vor wenigen Wochen hast du im Bundestag über das Arbeitsprogramm der EU gesprochen. Du sprichst davon, dass dieses Programm nicht die wirklichen Probleme lösen wird, wieso erhoffst du dir dadurch keine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt?
Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission setzt die neoliberalen Paradigmen der gescheiterten Lissabonstrategie aus dem Jahre 2000 fort. Damals sollte die EU „zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum“ weltweit gemacht werden. Die Arbeitslosigkeit sollte sinken. Spätestens die beginnende Finanzkrise im Jahr 2008, die selbst eine Folge der neoliberalen Deregulierung ist, machte diese Ambition zunichte. Anstatt den Kurs zu ändern, reagierte die EU mit einer Verschärfung der neoliberalen Ausrichtung auf die Wettbewerbsfähigkeit, die in der Europa-2020-Strategie neu aufgelegt wurdeDas Arbeitsprogramm basiert auf dieser Strategie, deren Scheitern schon jetzt absehbar ist. In der Krise reagieren Gesellschaften offenbar mit der beschleunigten Fortsetzung eines falschen Kurses. Wir werden deshalb in den nächsten Jahren auf europäischer Ebene schwere Erschütterungen des EU-Gefüges erleben. Die Regierungen wollen den nicht einmal 2 Jahren altenLissabon-Vertrag schon wieder zu Gunsten der (auch wirtschaftlich) stärkeren Mitgliedstaaten verändern. Notwendig ist aber eine Komplettrevision der EU-Verträge hin zu einer sozialen, ökologischen und friedlichen EU.
Die EU verpflichtet Länder wie Griechenland und Irland dazu, neue Rettungspakete anzunehmen. Diese Rettungspakete sind allerdings sehr sehr hoch verzinst und die Länder werden gezwungen, Sozialabbau zu betreiben. Siehst du eine geeignetere Möglichkeit finanzschwachen Ländern zu helfen?
Der Skandal ist doch, dass diese „Rettungen“, also die Etat-Kürzungen und der Sozialabbau ,in den betroffenen Ländern die Krise noch verschärfen und sich an den hohen Zinsen bereichert wird. Irland beispielsweise wurde gezwungen den Mindestlohn abzusenken und die kostenlose Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchung abzuschaffen. Gleichzeitig blieben die extrem niedrigen Unternehmenssteuern unangetastet. Dazu hieß es, das falle in die nationale Souveränität.
Zentral wäre es gewesen, die Profiteure der Krise, die Banken und die Finanzindustrie zur Kasse zu bitten, nicht die einfache Bevölkerung. Niedrigverzinste Direktanleihen der EZB könnten verhindern, aus der Not noch Profit zu schlagen. Eine Schuldenumstrukturierung, die so ausgelegt ist, dass nicht die einfache Bevölkerung belastet wird, ist m.E. unumgänglich. Wichtig ist aber auch, dass die extreme Exportfixiertheit der deutschen Wirtschaft durch den hier geschaffenen Niedriglohnsektor beendet wird. Durch den deutschen Exportüberschuss werden andere Länder an die Wand gedrückt. Dafür braucht es eine wirtschaftliche Koordinierung auf europäischer Ebene, die vor allem die soziale und ökologische Entwicklung in den Ländern im Auge hat.
Unterstützung der irischen Linken
Die irische Linke fordert, dass man das Rettungspaket ablehnt, erhält sie von der deutschen Linken dabei Unterstützung?
Das „Rettungspaket“ ist ein Rettungsring aus Blei. Wir haben das im Bundestag abgelehnt und unterstützen die Ablehnung der irischen Linken. Es ist erfreulich, dass die irische Linke, die sich gegen dieses Diktat gewehrt hat, gute Wahlerfolge erzielen konnte und dass die regierende Fianna Fail, die das Paket unterschrieben hatte, von den Wähler/innen abgestraft wurde. Es muss hier in Deutschland noch viel mehr kommuniziert werden, welche drakonischen Auflagen der irischen Bevölkerung insbesondere auch auf deutschen Druck gemacht wurden.
Die Finanzkrise hat vor allem die finanziell schwächeren Bürger getroffen. Trotz eines vermeintlichen Aufschwungs, den die Bundesregierung heraufbeschwört, merken die meisten Menschen nichts von der besser werdenden Situation. Wie kann man den Menschen helfen, die am meisten unter der Finanzkrise gelitten haben?
Der gegenwärtige kurzfristige Aufschwung überdeckt ein wenig die durch die Finanzkrise und die Bankenrettungspakete erzeugten strukturellen Probleme. Mit der Einführung der Schuldenbremse wird ein Mechanismus geschaffen, der die Menschen langfristig zur Kasse bitten wird. Die sozialen Probleme durch den exorbitanten Niedriglohnsektor, durch Leiharbeit und Hartz IV werden gegenwärtig durch andere existentielle Themen überlagert. Ich bin aber sicher, dass sie sich bald wieder Bahn brechen werden. Wir fordern ein massives soziales und ökologisches Investitionsprogramm, das an den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen ansetzt. Der Hartz-IV-Regelsatz muss sofort sanktionsfrei auf 500 Euro erhöht werden und ein flächendeckender Mindestlohn von 10 Euro muss eingeführt werden. Damit würde nicht nur die unmittelbare Not der Betroffenen gelindert, sondern auch ein Wirtschaftsimpuls ausgelöst werden, der nicht auf Kosten der Menschen in anderen Ländern geht. Ohne Heranziehung der exorbitant gestiegenen privaten Geldvermögen wird das allerdings nicht gehen.
Viele Menschen in der EU fordern, dass man zumindest Teile der Kosten, die die Finanzkrise verursacht hat, den Unternehmen überlässt, die diese mit zu verantworten haben. Gibt es geeignete Mittel um eine solche Idee zu realisieren und wieso wird sie nicht umgesetzt?
Einige der Mittel habe ich ja erwähnt und es gibt hier natürlich auch ausgefeilte Konzepte. Letztlich ist das aber eine Machtfrage. Ebenso wie die Atomindustrie verfügt die Finanzindustrie über eine mächtige Lobby, sowohl in Brüssel als auch in Berlin, die ihren Einfluss geltend macht, z.B. über Parteispenden an CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD. Wir fordern ein Verbot dieser Parteispenden, weil sie einem demokratischen Grundverständnis widersprechen.
Ich habe mir mal die Protokolle durchgelesen, wie das Bankenrettungspaket im Herbst 2008 zustande kam: Da wurden ja an einem Wochenende 480 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Wenn man sich die Protokolle durchliest wird klar, wer da das Sagen hatte: Ackermann von der Deutschen Bank. Das ist unerträglich. Viele weitreichende Entscheidungen auf EU-Ebene wurde ähnlich hektisch „mit bangem Blick auf die Märkte“ getroffen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass nicht die gewählten Vertreter regieren, sondern die Finanzmärkte. Diese Macht muss endlich gebrochen werden.
Was fällt dir zu folgenden Worten ein, eine kurze Beschreibung?
Europäische Außenpolitik?
Unterliegt nicht erst seit Einführung des Lissabonvertrages einer Tendenz zur Militarisierung. Der neu geschaffene EAD (Europäischer Auswärtiger Dienst) mit seinen 8000 Mitarbeitern fügt jetzt zusammen, was in Deutschland aus gutem Grund getrennt ist: Außenministerium, Verteidigungsministerium und Teile des Entwicklungsministeriums. Die zivil-militärische Flankierung im EAD halte ich für kontraproduktiv. Notwendig wäre eine an (auch sozialen) Menschenrechten orientierte Außenpolitik. Das ist gegenwärtig überwiegend nur Gegenstand wohlklingender Reden, mit der Realität hat das nichts zu tun. Bestes Beispiel ist Libyen: Bis in den Februar 2011 wurde Gadaffi massiv mit Waffen und Repressionstechnologie beliefert, jetzt wird Libyen bombardiert. Eine kritische Reflektion dieser Außenpolitik findet nicht statt. Ein erster Schritt wäre die Einstellung aller Waffenlieferungen – die EU ist größter Waffenexporteur weltweit.
Finanzkrise?
Folge der gewachsenen Macht des Finanzsektors durch Deregulierung und Privatisierung. In der Krise werden die Ursachen nicht angegangen, stattdessen wird die Bevölkerung über die Belastung der öffentlichen Haushalte zur Kasse gebeten. Das wirtschaftspolitische „Weiter so“ wird zu weiteren Krisen führen.
Landtagswahlen 2011
Standen im Zeichen der Atomkatastrophe von Fukushima. Die Grünen konnten die gesellschaftliche Hoffnung auf ein konsequentes Umsteuern in der Energiepolitik auf sich vereinigen. Hier wird es notwendig sein, die konsequente Durchsetzung einzufordern.
Überwachungsstaat?
Wird mit der Vorgaukelung eines falschen Sicherheitsbegriffs vorangetrieben. Basiert auf der Angst der Menschen untereinander. Die europäische Ebene wird wegen der Undurchschaubarkeit als „Bande“ benutzt, um Überwachungstechnologien einzuführen, die im nationalen Rahmen nicht durchsetzbar wären.
George Orwell?
Großartiger Schriftsteller und Sozialist. 1984 ist eines meiner Lieblingsbücher und hat mehr Parallelen zur Gegenwart als viele meinen.
Wir danken dir für das Gespräch.
Jeder der mehr über Andrej Hunko und seine Politik erfahren möchte, sollte sich seine Webseite anschauen.