Die »Toleranz«, die aus der Sideshow stammt

Europa sei wohl doch toleranter als angenommen, meinte der Kommentator Peter Urban nach dem Sieg des österreichischen Beitrages beim Eurovision Song Contest. Und einige Feuilletonisten leierten sich tagsdrauf einen »Sieg der Toleranz« aus den Rippen. Ein Blick auf die Facebook-Seiten des Contests oder des Siegers zeigt aber: Sieg ja - aber Toleranz?
Die »Toleranz«, die aus der Sideshow stammtDort waren »Schwuchtel« und Sermone über »dieses Etwas« noch herzlich. Mancher schrieb, dass Conchita Wurst kein Mensch sei, sondern ein Tier. Die Rhetorik, Menschen zu animalisieren kennt man. Sie ist die Vorstufe zur tolerierten Gewalt. Juden waren Ungeziefer, die Tutsi Schaben. Aber das führt jetzt zu weit. Ein solcher Maulheld, der sich die moderne Bequemlichkeit leisten kann, nicht mal sein Maul, sondern lediglich seine Tastatur zu betätigen, macht ja noch keinen Mordanschlag aus. Er outet sich ausschließlich als intolerantes Arschloch. Zu mehr reicht es nicht. Der Friedensengel Elsässer forderte zum Beispiel »seine Lena« zurück und distanzierte sich von dieser »eierlegenden Wollmilchsau«. »Würg« findet er das alles. Während Europa umerzogen wird, buht es Russland aus, diesen Hort traditioneller Lebensführung, bedauert er außerdem. Am Montag ist er vielleicht wieder dabei und macht die Welt wieder ein Stückchen friedlicher.

Kürzlich erst prüfte man bei »Panorama - die Reporter«, wie es mit der Toleranz gegenüber Homosexuellen bestellt ist. Der Zuschauer landete mit dem Reporter bei Protesten gegen homosexuelle Gleichstellung und musste sich die üblichen uralten Zoten anhören: Schwule seien krank und arme Kreaturen, die Mitleid verdienten. Und natürlich: Sie sollten mal einen Arzt besuchen. Den besuchte der Reporter, der sich selbst als schwul outete, dann auch. So einen katholischen Schmierlapp, der ihm die Hand auflegte und dann fragte, ob er gespürt habe, dass die falsche Energie aus ihm entwichen sei. Wahrscheinlich wollte dieser »Retter schwuler Seelen« seine Hand ganz wo anders platzieren, nicht nur auf der Stirn seines »Patienten«. Wäre nicht der erste Schwulenfeind, der mit seiner Tour nur seine eigenen Gedanken verdrängen will. Wer weiß schon so sicher, wieviele Richter Schwule rücksichtslos nach Paragraph 175 verurteilten, nur weil sie neidisch waren und selbst nicht den Schneid hatten, sich mit einem Mann ins Bett zu legen?
Aber höchstwahrscheinlich hat dieser öffentliche Schwall über die Toleranz, die uns Europäer angeblich erfasst hätte, wenig mit Homosexualität zu tun. Erstens wird hier polarisiert, weil man eine Art ideologischen Graben zwischen West und Ost ziehen möchte und zweitens ging es eher um die Inthronisierung eines Phantasievogels, der nebenher eben auch schwul ist. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da die Toleranz Motiv war, sondern die klammheimlich Freude, das Schrille in Szene zu setzen. So wie damals, als wir uns immer den zum Klassensprecher wählten, der sich am wenigstens dazu eignete.
Jahrmärkte hatten früher spektakuläre Beiprogramme zu bieten, die wir heute für geschmacklos befinden würden. Siamesische Zwillinge und Frauen ohne Unterleib tummelten sich da. Und natürlich auch bärtige Damen. Die Besucher gafften diese Kreaturen an. Einige wenige Besucher mit Kultur grüßten »diese Ausstellungsstücke« sogar freundlich. Mir scheint, Europa hat weniger ein Bekenntnis zur Toleranz abgegeben, als einfach mal eine Sideshow besucht, in die man mit der Freundlichkeit eines neugierigen Besuchers eintrat.
Europa ist nicht plötzlich toleranter geworden. Gegen Schwule wird noch immer gehetzt. Normalität ist Homosexualität noch lange nicht. Wenn der Nachbarssohn mit Frauen ausgeht, tratscht man darüber so gut wie nicht. Wenn er Männer liebt, dann ist er Gesprächsthema. Wenn vielleicht auch nicht immer negativ. Man liebt die Sensation schwuler Naturen immer noch. Und ein Phantasievogel mag vielleicht einen Wettbewerb zwischen Barden gewinnen, aber im echten Leben empfiehlt man ihm, dass er sich rasieren soll, damit er auch der Allgemeinheit ja nicht auf der Tasche liegt. So weit geht die Toleranz also dann doch nicht.
Manchmal ist eine Zigarre auch nur eine Zigarre. Und hin und wieder ist eine Drag Queen, die den Versuch startete, eine Mischung aus Adele und Shirley Bassey zu singen, auch nicht mehr als eine Drag Queen, die den Versuch unternahm, wie Adele und Bassey zu klingen. Wenn sie dann dafür einen Preis erhält, wird daraus keine politische Botschaft. Es ist auch kein Fanal. Und je lauter man das skandiert, desto wahrer wird das dann auch nicht. Toleranz wird nicht auf Bühnen herbeigesungen, sondern sie prüft sich im wirklichen Leben. Als ich neulich im Kollegenkreis hörte, dass sie Edathy als »Kinderficker« stigmatisierten und meinten, dass er ohnehin schwul sei, da konnte ich mal wieder erahnen, wie es mit dieser Toleranz bestellt ist. Der Schwule ist halt immer noch ein perverser Päderast. Und der Paradiesvogel ist witzig, aber nur, wenn er weit weg ist und nicht die Ordnung stört.
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