Cassirer sieht im mythischen Denken eine Hypertrophie des kausalen Instinkts, d.h. dass eine Grundstruktur des rationalen Denkens – das Denken in Gesetzmäßigkeiten – im mythischen Denken nicht ausgeschaltet, sondern vielmehr überaktiviert ist. Aus einem Vorher-Nachher-Verhältnis wird ohne dass man sich eine weitere kritische Prüfung vorbehält- und hier liegt der Unterschied zum rationalen Denken – auf ein Kausalverhältnis geschlossen. Der Ernteritus bringt die Ernte. Eine Synchronizität verweist nicht auf einen Wahrnehmungsfilter, sondern direkt auf Botschaften Gottes. In Angesichts der Metaphysikkritik und der Tatsache, dass Kant seine Untersuchungen der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung selbst als metaphysisch bezeichnet, ist die Verwandtschaft zwischen Mythos und Vernunft nicht verwunderlich. Mythisches Denken und Wissenschaft sind eng verbunden. Und jegliche harte Abgrenzungsbemühung, die wissenschaftstheoretisch versucht wurde, ist gescheitert. Verifikationismus schließt Naturgesetze aus. Falsifikationismus ignoriert die Möglichkeit von Hilfshypothesen und auch kohärentistische Versuche haben ihre Probleme. Auch ist mythisches Denken nicht auf bestimmte Formen der Religiösität beschränkt, sondern macht auch vor politischen Bewegungen wie Faschismus nicht halt. Dennoch sind kritisch-wissenschaftliches und mythisches Denken verschieden und unterscheidbar. Der Unterschied liegt in der ständigen Selbst-Kritik. Das wissenschaftlich-rationale Denken funktioniert nach Cassirer im Rahmen einer ständigen Dialektik – im ursprünglichen Sinne – von Analyse und Synthese. Beispielhaft kann hier die Chemie gelten: Gegenstände werden in Elemente aufgelöst, diese weisen Gesetzmäßigkeiten auf, die wiederum am Einzelfall überprüft werden. Passt alles nicht kohärent zusammen, muss an etwas gedreht werden und das Denken ist prinzipiell offen. Es gibt zwar keine strengen Widerlegungen, aber das rationale Denken wahrt eine kritische Distanz zu den eigenen Urteilen. Passen die Daten nicht mehr, wird das Modell angepasst. Der Mythos behauptet Gesetzmäßigkeiten überall. Er trennt in rudimentären Formen nicht streng in Teil und Ganzes, in Traum und Wacherleben, in Bezeichnetes und Bezeichnendes und am Wichtigsten und dieser Teil tritt auch in reflektierten Formen des mythischen Denkens hervor: Er trennt nicht scharf zwischen Korrelation, Zufall, wahrscheinlicher Kausalität und Kausalität. Seine teilweise haltlosen Behauptungen können große Freude, aber auch das größte Unglück für den Menschen bedeuten, der dem Mythos anhängt. Doch selbst in der Freude ist der Mensch hier ausgeliefert. Das rationale Denken überprüft sich dagegen ständig selbst, ist distanziert, auch zu sich selbst. Nur im vollen rationalen Denken ist der Mensch fähig, bestmögliche Erkenntnisse zu gewinnen. Nur in seiner Rationalität gewinnt er die kritische Distanz und Einsicht, die nötig ist, um frei zu sein, deswegen ist der Mythos als streng praktizierte vorkritische Denkform, mag er auch Funktionen haben (Opium des Volkes/Soziale Integration), die sinnvoll sein können, für jeden eine Gefahr, der frei sein möchte.