Die schwerste Rezension des Jahres

Die schwerste Rezension des JahresFiebrig durchgelesen, gestern Abend um 22:00 gemerkt, dass ich keine Rezension mehr hinbekomme, nachts um zwei wenigstens noch ein paar Lieblingszitate aufgeschrieben und nun doch nochmal verzweifelt an den Versuch einer Rezension gesetzt obwohlicheigentlichviellieberBridgetJones-guckenwürdeunddabeizumFrühstückChipsessen. Well then.
Zwei Fehler zuerst:

  • The God of Small Things ist kein Buch zum eben mal schnell rezensieren. Es ist auch eigentlich kein Buch zum schnell mal durchlesen. Hier lag mein erster Fehler: In der Wahl des 12. Buches. Eine Wahl die mich fast meine eigene Challenge verlieren lässt.
  • Der zweite Fehler war es, mir gestern Abend noch einmal zwei Rezensionen anderer Challenge-Teilnehmerinnen durchzulesen, die das selbe Buch gewählt hatten (das mache ich eigentlich nie, bevor ich nicht selber meine Gedanken formuliert habe). Birthes wunderschöne Beschreibung, die der Grund war, das Buch zu wählen. Und Neyashas (gar nicht so) "armseliger Versuch einer Rezension", der ziemlich genau das wiederspiegelt, was ich nach dem Zuklappen des Buches gedacht habe. Nun fällt es mir noch schwerer, meine eigenen Gedanken auf die Reihe zu bringen, denn die sind überhaupt nicht klar, was meine Meinung zu diesem Buch betrifft.
Der Versuch einer InhaltsbeschreibungDa fängt es schon an. Die Geschichte ist so verschachtelt aufgebaut, mit Zeitsprüngen, kleinen Vorausblicken und Rückblenden, dass es kaum möglich ist, sie zusammenzufassen ohne zu viel zu verraten. Es ist eigentlich schon sehr früh klar, was passieren wird, doch wie oder warum es dazu kommt, wird erst nach und nach - manchmal entnervend langsam, manchmal schockierend plötzlich - enthüllt. Ein Großteil der Handlung spielt sich im Jahr 1969 in der indischen Kleinstadt Ayemenem in dem Mehrgenerationenhaus einer syrisch-orthodoxen Familie ab. Vordergründig geht es um die Zwillinge Estha und Rahel , deren kindliche Wahrnehmungen (the Small Things - die "kleinen Dinge") im Fokus der Aufmerksamkeit liegen. Die eigentliche Geschichte, wie Birthe es sehr schön beschreibt, erleben wir meist nur "wie Schatten im Hintergrund". 

Und da so viele monumentale Themen subtil und hintergründig in die Erzählung der Kinder eingewoben werden - emotionaler und körperlicher Missbrauch, Emanzipation, Kastensystem, Kulturclash, Kommunismus, Generationenwandel, Mord, Krankheit - kann ich mir vorstellen, dass auch jeder Leser einer andere Geschichte liest. Je nachdem wieviel Bedeutung und persönliche Erfahrung man mit einem Thema verbindet, liest der eine vielleicht die Geschichte einer Emanzipation, der andere die Geschichte einer missverstanden Liebe und der Dritte findet sich in der Rolle des unterdrückten Klassenkämpfers wieder. Ein mühelos leichtes Spiel mit MetaphernWie Birthe bin ich der Meinung, dass "The God of Small Things" ein sprachlich unglaublich faszinierendes Buch ist. Die Sprache ist dermaßen bildlich, dass ich im Kopf auch nach dem Lesen quasi von einer Szene in die andere spazieren kann, weil sich mir die Eindrücke so sehr eingeprägt haben. Arundhati Roy benutzt Metaphern wie andere Autoren Adjektive - sie spielt so mühelos mit ihnen, dass sich den ausschweifenden Beschreibungen nie die Schwere und Eintönigkeit aufdrückt, die andere Autoren unweigerlich durch zu viele Beschreibungen mit sich bringen. (Roy schafft es in wenigen Sätzen ein Bild und das Gefühl einer Landschaft zu vermitteln, für das Tolkien 10 Seiten gebraucht hätte). Zwei Zitate haben mich besonders beeindruckt, jedes für sich schreibt in wenigen Worten seine eigene lange, traurige Geschichte."The inspector asked his question. Estha's mouth said yes. Childhood tiptoed out.Silence slid in like a bolt."

"He left behind him a Hole in the Universe through which darkness poured like liquid tar. Through which their mother followed without even turning to wave good-bye. She left them behind, spinning in the dark, with no moorings, in a place with no foundation."
Bilder, die sich nicht mehr aus dem Kopf verbannen lassenMit diesem Sprachtalent schafft sie es einerseits, die Geschichte schillern und leuchten zu lassen, auf der anderen Seite können die Metaphern aber auch dermaßen unvermittelt brutal sein, dass ungebetene Bilder sich nicht mehr so einfach aus dem Kopf verbannen lassen. Dieses hier zum Beispiel:
"He kept walking. His face was neither lifted towards the rain, nor bent away from it. He neither welcomed it nor warded it off. The rain (...) didn't stop the feeling that somebody had lifted off his head and vomitted into his body. Lumpy vomit dribbling down his insides. Over his heart. His lungs. The slow thick drip into the pit of his stomach. All his organs awash in vomit. There was nothing the rain could do about that."
Kein Buch für UnkonzentrierteAnders als Birthe, fand ich die Zeitsprünge in der Erzählung durchaus ab und zu verwirrend. Obwohl ich das Buch fast am Stück gelesen habe, bin ich einige Male ziemlich durcheinander gekommen, in welcher Zeit ich mich nun eigentlich befinde. Wäre ich hier noch unkonzentriert gewesen oder hätte das Buch zwischendurch für einige Tage weggelegt - ich bezweifle, dass ich es geschafft hätte, den roten Faden nicht zu verlieren. Ich bin jedoch generell kein Fan von chronologisch durcheinandergewirbelten Erzählungen und fand diesen Aspekt des Buches daher auch eher anstrengend. Etwas fehlt

Neyasha kam zu dem Schluss, dass ihr etwas gefehlt hat. Nur was ihr gefehlt hat bei diesem Roman, der doch eigentlich meisterhaft erzähl ist, den man froh ist, wenigstens einmal im Leben gelesen zu haben, der viel über die indische Kultur und menschliche Gefühle an sich aussagt, weiss sie nicht. Mir geht es genauso. Obwohl ich so viel markiert habe, wie lange in keinem Buch mehr, obwohl mich die Sprachgewalt begeistert, die Einsichten in die menschliche Psyche sprachlos gemacht haben... wäre es nicht für die Challenge gewesen, ich glaube ich hätte das Buch abgebrochen.

Warum? Vielleicht hat mir die Spannung gefehlt, vielleicht auch die Identifikation mit einem Charakter, vielleicht war mir der kulturelle Hintergrund zu fern, vielleicht gab es zu wenig wirklich fröhliche Momente in dem Buch, die all die Tragik aufwiegen konnten. Vielleicht fand ich die Nachvollziehbarkeit der leichten und schweren Grausamkeiten innerhalb der Familie zu erschreckend. Vielleicht.

Alles was ich sagen kann, ist, dass ich mich freue, dass Buch gelesen zu haben - und dass ich damit jetzt fertig bin.
Challenge completed!
Genauso wie ich die "Bücher die man gelesen haben muss"-Challenge für dieses Jahr erfolgreich beendet habe. Auf den letzten Drücker zwar, aber es ist geschafft. Ich wünsche euch einen wundervollen Silvesterabend. Morgen gibt es den Challenge-Rückblick, ich freue mich wahnsinnig, dass so viele von euch so motiviert dabei sind und waren!

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