Domenico Losurdo - Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität von Urbin (Italien).
Er leitet seit 1988 die Internationale Gesellschaft Hegel-Marx für Dialektisches Denken, und ist Gründermitglied der l’Associazione Marx XXIesimo secolo. Letztes veröffentlichte Werk- La non-violenza, Una storia fuori dal mito (hier). Quelle: voltairenet
Professor Domenico Losurdo hat mehrere mangelnde Zusammenhänge der atlantischen Rhetorik gegen Syrien aufgedeckt. Sie zeigen, dass das Problem nicht da ist, wo man es vermutet und dass der Diskurs daraufhin zielt, einen Krieg zu berechtigen, aber nicht eine Realität zu beschreiben.
Welcher Natur ist der Konflikt, der seit einigen Monaten in Syrien herrscht? Ich möchte mit diesem Artikel alle jene, denen der Friede und die Demokratie in internationalen Angelegenheiten am Herzen liegen, einladen, sich einige einfache Fragen zu stellen, worauf ich, meinerseits, versuchen werde zu antworten, indem ich den Presseorganen und Journalisten das Wort geben werde, die man nicht für Komplizenschaft mit dem Damaskus-Regime verdächtigen kann.
1. Es ziemt an erster Stelle sich die Frage zu stellen, welche Situation in dem mittelorientalischen Land vor der Machtergreifung in 1970 der Assad (Vater und Sohn) und dem heutigen Regime bestand. Nun, vor dieser Zeit, „war die syrische Republik ein schwacher und labiler Staat, eine Arena für regionale und internationale Rivalitäten“; die Ereignisse der letzten Monate bedeuten die Rückkehr zur „Situation vor 1970“. So drückte sich Itamar Rabinovitch, ehemaliger Botschafter von Israel in Washington, in The International Herald Tribune [« The devil we knew », par Itamar Rabinovitch, The International Herald Tribune, 19-20 novembre 2011]], aus. Wir können einen ersten Schluss daraus ziehen: der Aufstand, der in erster Linie von den USA und der Europäischen Union unterstützt wird, droht Syrien in eine semi-koloniale Lage zurückzuwerfen.
2. Sind die Verurteilungen und Sanktionen des Westens und sein Bestreben für einen Regimewechsel in Syrien durch die Entrüstung über eine „brutale Repression“ der pazifischen Demo-Märsche durch die syrische Regierung verursacht? In Wirklichkeit „wünschte“ schon in 2005 „George W. Bush Bachar al Assad zu stürzen„. Das ist, was der israelische Ex-Botschafter in Washington auch noch vorbringt, welcher hinzufügt, dass die Politik des „regime change“ in Syrien jetzt jene ist, die die Politik von Tel-Aviv verfolgt: man muss mit der Führergruppe, die von Damaskus aus, „die Hezbollah im Libanon und den Hamas in Gaza“ unterstützt und welche enge Verbindungen mit Teheran hat, ein Ende machen. Ja „zu tiefst besorgt über die iranische Drohung, denkt Israel, dass der Abbau eines syrischen Ziegels der iranischen Mauer, zu einer neuen Phase der regionalen Politik führen könnte. Es ist klar, dass entweder die Hezbollah oder der Hamas jetzt mit größerer Vorsicht vorangeht“. Also, das Ziel des Aufruhrs und der Manöver, die mit ihm verbunden sind, zielen nicht nur auf Syrien, sondern auch auf Palästina, den Libanon und den Iran ab: es geht darum, der Sache des palästinensischen Volkes einen entscheidenden Schlag zu versetzen und die neo-koloniale Vorherrschaft Israels und des Westens in einem geopolitisch wichtigen und geo-wirtschaftlich entscheidenden Raum zu sichern.
3. Wie kann man dieses Ziel verfolgen? Guido Olimpio erklärt es uns in dem „Corriere della Sera des 29. Oktober: in Antalya (Antioche), einer türkischen Grenzgegend mit Syrien, ist schon „die freie syrische Armee, eine Organisation die einen bewaffneten Krieg gegen des Assad Regime führt“ tätig. Es ist eine Armee, die Waffen benützt und die von der Türkei militärisch unterstützt wird. Dazu noch – fügt Olimpio hinzu (im Corriere della Sera vom 13. November), – hat Ankara „Drohungen gegen die Einrichtung einer 30km breiten Pufferzone auf syrischer Seite“ ausgeübt. Also, die Damaskusregierung muss nicht nur einer bewaffneten inneren Aufruhr widerstehen, sondern auch einer durch ein fremdes Land geförderte bewaffnete Revolte, Land, das über ein Militärpotential erster Größe verfügt, das Mitglied der NATO ist, und droht, in Syrien einzudringen. Welche auch immer die Fehler und Irrtümer seiner Führungsleute waren, ist jetzt dieses kleine Land das Objekt eines militärischen Angriffes. Seit den Jahren starken ökonomischen Wachstums zeigte die Türkei seit einiger Zeit Zeichen von Ungeduld gegenüber der bestehenden Vorherrschaft im Nahen Osten von Israel und den USA. Obama antwortet auf diese Ungeduld, indem er die Führung Ankaras zu einem neo-ottomanischen Unterimperialismus verleitet, welcher natürlich unter der Kontrolle Washingtons steht.
4. Wie aus den Analysen und den von mir erbrachten Zeugenaussagen geschlossen werden kann, ist Syrien gezwungen, in sehr schwierigen Bedingungen zu kämpfen, um seine Unabhängigkeit zu behalten. Syrien muss schon jetzt einer unheimlich starken politischen, militärischen Wirtschaftsmacht widerstehen. Noch dazu droht die NATO den Führungsmännern von Damaskus, direkt oder indirekt, mit einer Lynchjustiz und mit Mord, welche den Tod von Kadhafi verursacht hatten. Die Niedertracht der Aggression sollte für alle jene klar sein, die gewillt sind, eine kleine intellektuelle Anstrengung zu leisten. Man denke nur an die unheimlich große Macht des multi-medialen Feuers und die neuen, durch Internet möglich gewordenen Manipulations-Technologien, dank deren der Westen die laufende syrische Krise als eine Ausübung brutaler und sinnloser Gewalt gegen die pazifischen und gewaltlosen Demonstranten darstellt. Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass Goebbels, der unheilvolle und brillante Minister des Dritten Reichs, Schule gemacht hat; man muss selbst eingestehen, dass die Schüler in Washington und Brüssel jetzt ihren nie vergessenen Meister übertroffen haben. - Übersetzung Horst Frohlich