Kommune 1 und APO, freie Liebe und Provokation. Über 40 Jahre ist es her, dass revolutionäres Aufbegehren den Muff der bigotten Bürgerlichkeit jedem Winkel deutscher Wohnzimmergemütlichkeit vertreiben wollte. Rückblickend muss man sagen, dass dies recht gründlich geglückt ist. Selbst das Gutbürgertum gibt sich nicht mehr schockiert, wenn in einem Straßencafé ein Paar den bald folgenden Geschlechtsverkehr ungehemmt vorbereitet. Alles scheint offener zu sein, freier, weniger Zwängen unterworfen. Wie kommt es nun, dass die heutige Fotografie mehr Zwängen und Regeln unterworfen ist, als je zuvor? Hat die Betonierung einer neuen Moraldoktrin schon längst die künstlerische Fotografie zur Unbeweglichkeit verdammt? Die Revolution ist ausgerufen. Nun muss sich die Revolution selbst befreien. Es geht nicht um analoge oder digitale Fotografie und es geht auch nicht um Polaroid, Emulsionslift, Bildmanipulation oder sonstige Bearbeitungsmethoden. Es geht um Bildinhalt und Darstellung … nicht mehr, nicht weniger.
Will denn niemand begreifen, dass die allerorts geforderte Schärfe im Bild die Ergebnisse unspannend, ja sogar unscharf macht? Ein Gedanke, der mich seit Jahren beschäftigt. Oder ist es einfach nur ein Service für faule Bildbetrachter? Das Schlüsselwort lautet Phantasie. Möglicherweise sind heute Fotografen vom Gedanken beseelt, dass Bildbetrachter nicht genug Phantasie aufbringen, um den Inhalt eines Bildes zu begreifen. Oder ist es tatsächlich so, dass heutige Bildbetrachter keine Phantasie haben? Die Beantwortung dieser Fragen sind außerordentlich wichtig für den weiteren Verlauf der Revolution. Als Revolutionär muss ich wissen, wo die Revolution ansetzen muss, um eine nachhaltige Veränderung der künstlerischen Fotografie zu erreichen. Wer trägt Schuld an der heutigen Misere in der aktuellen Bilderwelt? Fotografen oder Bildbetrachter?
Zugegeben, heute werfe ich mehr Fragen auf, als Antworten zu geben. Meine letzten in die Öffentlichkeit getragenen Gedanken hatte ich auf Polaroid-Kunst gestützt. Für eine breit ausgetragene Revolution ist dieser Weg mit Sicherheit zu schmal. Klar, ich bin stolz auf meine neuen Erkenntnisse und Werke. Aber auch der traditionelle Weg birgt revolutionäre Ansätze. Defokussierung, Bewegungsunschärfe, Langzeitbelichtung sind längst bekannte Themen. Aber warum muss eine Revolution ausschließlich auf neuen Erkenntnissen und Verfahren beruhen? Nur weil im modernen, durch Marketing geprägten Sprachgebrauch das Wort „revolutionär“ als Synonym für „neu“ steht? Nein, wer zur Schaffung des Neuen nur mittels Neuem fähig ist, begeht Verrat an seiner Vergangenheit. Mit Absicht habe ich Revolutionsbilder mit meinem Lieblingsfilm R3 erstellt … ein Film, dem ich schon sehr vielen Jahren verfallen bin. Ich werde gewiss meine Vergangenheit und Liebe nicht verraten, nur um jetzt als Revolutionär die künstlerische Fotografie zu Neuem zu führen. Unbestritten ist, dass jedes Abbildungsmedium und nahezu jeder fotografische Apparat zur Erstellung von scharfen Bildern in der Lage ist. Aus revolutionären Gedanken heraus andere Forderungen zu verfassen, wäre ein Rückfall in die Steinzeit. Unsere Revolution der künstlerischen Fotografie zielt darauf, die Phantasien der Bildbetrachter anzuregen und alle Sinne zu schärfen. Das scharfe Bild ist kein technischer Wert, sondern eine Angelegenheit des Bildinhalts.