Originaltitel: Missoula. Rape and the Justice System in a College Town
Autor: Jon Krakauer
Genre: Sachbuch
Verlag: Piper Verlag
Format: Hardcover, 480 Seiten
ISBN:978-3492057561
Vergewaltigungen sind wohl Verbrechen, die sich am schwersten nachweisen lassen. DNA Spuren können für sexuelle Handlungen sprechen, doch freiwillig oder unfreiwillig ist damit längst nicht geklärt. Blaue Flecken, Schürfwunden und andere Verletzungen mögen vielleicht einen Hinweis darauf geben, aber vielleicht ging es einfach härter zu, wer weiß es schon genau.
Diese „Problematik“ ist bekannt, hier steht Aussage gegen Aussage und es ist die Aufgabe des Gerichtes, die Wahrheit herauszufinden, aber was ist, wenn es Anwälten gar nicht darauf ankommt, die Wahrheit zu finden, sondern nur darum, einen weiteren Sieg vor Gericht einzustreifen, wenn es auch letztlich bedeutet, einen Täter freizusprechen, gegen den unzählige Beweise sprechen?
Wenn die erste Frage der Polizei an vermeintlich Opfer lautet: „Haben Sie einen Freund?“ und sollte diese bejaht werden, schon der Fall für sie geklärt scheint. Frau betrügt Freund und versucht sich nun eine Ausrede zurechtzulegen.
Was ist, wenn die Täter angesehene Footballstars sind, die der Heimat große Siege und viel Ansehen gebracht haben? Diese Jungs, die haben es doch nicht nötig, jemanden zu vergewaltigen, die könnten doch prinzipiell jede haben – was ist, wenn sich die Bevölkerung auf die Seite der Täter stellt und die Opfer verhöhnt?
Wenn all diese Dinge geschehen, dann wird eines ganz deutlich: hier läuft etwas in der Gesellschaft falsch. Leider ist es jedoch eine Tatsache und dieses Buch führt es einen vor Augen, so dass es sich nicht mehr ausblenden lässt, den Kopf voller Wut füllt.
Missoula ist eine Kleinstadt in Montana, die für ihre Universität und deren überragendes Footballteam, die Grizzlies, bekannt ist. Nichts besonders, doch man spricht bei vielen amerikanischen Universitäten schon von einer „Rape Culture“, die sich eingebürgert haben soll. Jeder weiß davon, doch man spricht darüber nicht – traut sich doch mal ein Opfer zu Polizei, kann es sich Anfeindungen sicher sein. Jon Krakauer schildert in dem Buch unterschiedliche Fälle, die ein gleiches Muster aufweisen, aber unterschiedliche Verläufe nehmen.
Was mich vermutlich am Meisten erschreckt hat: vor Gericht wurden die Opfer nahezu als Täter behandelt. Natürlich, Verteidiger müssen ihre Klienten verteidigen, deswegen heißen sie ja so, aber meine Vorstellung war es auch irgendwie, dass vor Gericht an erster Stelle steht, die Wahrheit ans Licht zu bringen – was eindeutig nicht der Fall ist. Auch wenn es wirklich offensichtlich erscheinen mag, dass jemand schuldig ist, wird mit widerwärtigsten Methoden versucht, dem Opfer eine Mitschuld zu geben, nur um die Strafe zu drücken.
Ein Opfer hat im Buch gesagt: „Sie rät niemanden, eine Anzeige zu erstatten, was sie vor Gericht erlebt hat, war beinahe gleich schlimm, wie die Tat selbst.“ und was sagt es über eine Justiz, die Opfer nicht beschützt, sondern auf allen Wegen versucht, ihnen noch die Schuld aufzuerlegen. Gewiss, es gibt Frauen und Männer, die Vergewaltigungen erfinden. Laut der Untersuchung „False Allegations of Sexual Assault: An Analysis of Ten Years of Reported Cases“ von David Lisak veträgt der Anteil von Falschbeschuldigungen zwischen zwei und zehn Prozent. Es gibt sie also und ein Gericht ist gefragt, diese Prozent zu entdecken, doch über die Methoden dazu lässt sich streiten.
Ebenfalls hat David Lisak herausgefunden, dass zwischen 64 Prozent und 96 Prozent der Opfer von sexueller Gewalt das Verbrechen nicht anzeigen, nach dem Buch wundert es mich nicht mehr.
Triggermaterial ist in dem Buch natürlich reichlich vorhanden, deswegen sollten besonders Opfer von sexueller Gewalt überlegen, ob sie stabil genug sind, um eventuell dieses Buch zu lesen, auf der anderen Seite wäre es wichtig, wenn sie tatsächlich eine Anzeige gegen den Täter anstreben – so traurig es klingt, es würde sie vermutlich gut darauf vorbereiten, was sie erwarten könnte.
Der Titel lautet „Die Schande von Missoula“ – es stimmt, es mag um Missoula gehen, doch es könnte auch „Die Schande von Amerika“ oder „Die Schande der Welt“ heißen, denn was in Missoula passiert, passiert an so vielen Orten, an viel zu vielen.