Die Sache mit dem Müll

Das Unheil begann, als der Pizza-Mann auszog.
Das muss ich Ihnen erklären. In unserem Haus in der Coburger Innenstadt sind wir sechs Mietparteien. Es gibt drei kleinere Wohnungen und drei größere. Für die Mieter gibt es drei Mülltonnen: eine schwarze für den Restmüll, ein grüne Papiertonne und eine gelbe für Verpackungen und Zeug. Grüner Punkt-Kram. Die schwarze Tonne wird alle zwei Wochen abgeholt, die anderen einmal im Monat.
Der Pizza-Mann lebte in einer der größeren Wohnungen. Der größten, um genau zu sein. Allein. Ich nenne ihn so, weil er nichts anderes aß als Pizza, die er sich abends von der Arbeit mitbrachte. Müll-technisch war der ständig volle grüne Eimer zwar ärgerlich, aber na ja. Wenn die Tonne voll ist, wandert das Papier halt in die schwarze. Too bad. Die drei kleineren Wohnungen nenne ich die „Töchter-Träume“. Da wohnen nämlich seit wir hier sind junge Frauen, die gerade von der Schule abgegangen zu sein scheinen. Vermutlich studieren sie an der Fachhochschule hier oder machen eine Sparkassen-Ausbildung. Denn die Töchter rotieren ziemlich schnell. Was die Töchter gemeinsam haben ist, dass sie nicht oft zu Hause sind. Wo sie stecken geht mich nichts an, aber das macht sie auch recht Müll-neutral.
Da bleiben zwei Mietparteien, die wirklich Müll produzieren. Das einzige Problem in der Vergangenheit war, dass ich manchmal den Termin zum Rausstellen verpasste und wir dem Müllauto durch die ganze Stadt nachlaufen mussten. Paradiesische Zeiten.
Dann ging der Pizza-Mann weg. An seiner Stelle zog eine kleine Familien ein. Die Situation wurde angespannt. Der Müll war jetzt immer gut voll. Dafür gab es an der Papiertonne etwas Entspannung. Aber die Wirtschaftskrise traf uns hinterhältig da, wo es am meisten weh tut: an der Mülltonne. Plötzlich mussten alle sparen und die Mütter der Töchter legten diesen wohl nahe, dass sie ihre Brut nicht weiter durchzufüttern gedenken und dass sie gefälligst selber kochen sollen. Weh uns! Das war der Zeitpunkt, an dem die Mülleimer nicht mehr schlossen, wenn ich sie weg brachte. Das war schon ziemlich eklig, besonders im Sommer. Und es wurde immer schlimmer.
Mittlerweile ist der schwarze Eimer eine Woche vor dem Abholen so voll, dass er sich nicht mehr schließen lässt. Das Papier und das gelbe Zeug können wir drei Wochen mit Hilfe von Stampfern komprimieren, aber die Tonnen zeigen langsam ein wenig Materialermüdung, was mit Sorgen macht. Generell ist eine Woche vor der Abholung Kreativität angesagt.
Das Papier ist am einfachsten. Unsere gelesenen Tageszeitungen verteile ich großzügig in der Stadt. Arztpraxen, Behörden und Obdachlose sind dankbar für kostenloses Lesematerial. Die Umverpackungen gehen zurück in die Supermärkte. Allerdings quellen dort die entsprechenden Behälter auch langsam über. Aber das ist zum Glück nicht mein Problem.
Der „gelbe Müll“ ist schwieriger. Ein Vorteil ist, dass das Zeug leicht ist. Ich gebe es ungerne zu, aber so mancher Beutel landet „zufällig“ auf der anderen Seite einer Mauer. Einmal war mir nicht bewusst, dass dort ein Biergarten ist, was ziemlich peinlich war. Der Wirt hat mir dann seinen Müll auch noch mitgegeben. Ich habe mich so geschämt, dass ich nicht protestierte. Seit diesem Vorfall sind wir dazu übergegangen, das ganze Plastikzeug einzuschmelzen. Als ich wegen meiner Lungen beim Arzt war, habe ich ihm gleich einen Jahrgang „National Geographic“ (kaum gebraucht) da gelassen.
Der Hausmüll ist schwer. Zuerst haben wir versucht, das Ganze als Herausforderung an unsere Kreativität zu sehen. Wir haben Kartoffelschalen ausgekocht, um Leim zu gewinnen. Denn haben wir dann mit Altpapier (!) zu Pappmaché verarbeitet und Skulpturen geformt, die wir wiederum mit gelbem Müll füllten. Allerdings hat uns die keiner abgekauft, auch nicht für 50 Cent. Mehr wollten wir uns das nicht kosten lassen. Die Flohmarktaufsicht war dann sehr tolerant, als sie uns dabei erwischte, wie wir das Zeug einfach stehen lassen wollten. Wir mussten nur einen alten Fernseher mit nach Hause nehmen. Im übrigen eignen sich Kaffeesatz und Eierschalen tatsächlich als Pflanzendünger. So gut, dass mittlerweile die abgefallenen Blätter von Lapis’ Ficus fast die Hälfte unseres organischen Abfalls ausmachen. Wenigstens hat unsere Katze Spaß. Glaube ich. Wenn sie wieder runter kommt.
Wir haben es dann mit unserer eigenen Müllverbrennungsanlage versucht, aber das Grillgut hat immer so komisch geschmeckt.
Na ja, und dann sind wir halt auf die Idee mit dem Zwischenlager gekommen. Macht die Atomindustrie doch auch so. Kein Schwanz weiß, wo der Strahledreck letztendlich hin soll, aber es ist ja nun mal da. Also wohin? Na ja, und da Gorleben so weit weg ist und die unseren Müll da eh nicht wollen, haben wir gedacht …

Ach was. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Sandkasten völlig sicher ist.


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