Die Russen kommen(2)

Wir hören nichts über die Menschen, die Putin lieb haben. Das ist schlecht. Ich kann mir nämlich echt nicht vorstellen, wie das geht. Ich finde den Mann auf so viele Arten abstossend, dass es einige Zeit dauert, bis ich zu seiner Politik komme, und da habe ich dann schon nichts mehr im Magen, dass ich erbrechen könnte.

Wie dem auch sei: Wir haben es in der Ukraine, und auf der Krim gleich mal doppelt, mit Menschen zu tun, die ihn super finden. Es gibt zwar auch die Krim-Tartaren, aber mit einem Achtel der Bevölkerung sind die in etwa so ausschlaggebend wie Klitschko für die Ukraine mit einem Achtel der Wählerstimmen.

Ich verweile kurz bei Klitschko, dem "Oppositionsführer", der über Monate in keinem Artikel fehlte: Ist es nicht merkwürdig, wie er jetzt absolut keine Rolle spielt? Ich behaupte, dass das die ganze Zeit nicht anders war; mit viel Glück und zu unserem Unglück hätte er der Steigbügelhalter von Oleh Tjahnibok werden können, und weil wir keine Zeit haben, sei zu dem nur gesagt: Hitler. Es ist ein Paradebeispiel für die absurd schlechte Berichterstattung der letzten Monate.

Neben Tjahnibok sieht Putin gleich viel appettitlicher aus. Das ist aber nicht das Geheimnis seines Erfolgs. Dafür muss man kurz mal in die Sowjetunion schauen, für die übergroße Mehrheit der Russen, und eben auch der Unterstützter Rußlands, der Ort, an dem sie ihr Leben verbacht haben. Das ist jetzt sehr abgekürzt, aber da gab es auch kein Westfernsehen, und die UdSSR ist nicht in einem deutlich größeren westlichen Staat aufgegangen, sondern für die ersten zehn Jahre im totalen Chaos.

Zwei Dinge gab in der Sowjetunion: Ordnung und Größe. Man war ein Global Player. Man hielt die Amis in Atem. Man gebot über die gesamte östliche Hemisphäre. Man griff nach den Sternen. Und ja, die Realität war eine andere, aber wer danach in Jelzins Rußland lebte, das auseinanderbrach und von trunkener Anarchie und Korruption geprägt war, war im Nachhinein sehr viel empfänglicher für die Propaganda, die ja auch einen wahren Kern hatte: Über 40, 50 Jahre war Rußland die unumstrittene Nr. 2 auf der Landkarte, oder eben die Nr.1, wenn man dort lebte. Und so unerfreulich es war, dort zu leben, es war auf jeden Fall mal ziemlich sicher, wenn man sich angepaßt hatte. Zwischen Beton und Stacheldraht und Geheimpolizei und Partei war das Leben sehr übersichtlich. Stabil. Wer mit DDR-Bürgern redet, wird feststellen, dass man sich auch dort nach der Übersichtlichkeit sehnt, die Mauern mit sich bringen. Und man kann sich die Mauern auch wegdenken. Der menschliche Verstand ist sehr hilfreich für so einen Zustand. Und wenn man dann frei ist, kann das umso beängstigender sein, je länger man eingesperrt war. Ich möchte diese Menschen jetzt nicht mit Häftlingen vergleichen, das "Ausschwitz der Seelen" fand ich immer reichlich überzogen. Aber es ist wichtig, zu erkennen und anzuerkennen, dass man sich an jeden Zustand gewöhnen kann und ihn deswegen dann vermisst, vor allem die Tatsache, dass die Zeit stehenbleibt. Man muss sich nicht ändern. Man weiß genau, was einen erwartet. Man weiß außerdem genau, wie man sich verhalten muss, damit einem nichts schlimmes geschieht. Und so sehr man auch ahnt, was alles fehlt: Dass das, was da ist, für immer bleiben wird, ist sehr beruhigend.

Die Psychologie hat große Abhandlungen darüber geschrieben, und ihre Quintessenz ist, dass es völlig egal ist, was Aussenstehende darüber denken. Und es ist so leicht, sich darüber zu ereifern oder zu amüsieren, aber just jetzt ist es wichtig, um zu verstehen. Und verstehen müssen wir, wenn wir nicht denen Recht geben wollen, die gerade ein neues 1914 heraufziehen sehen.

Leider muss ich aber jetzt zur Arbeit. Heute nachmittag setze ich das dann fort.

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