Die Ringmission

Zu ungewohnt früher Zeit, nämlich um 5:30 Uhr morgens, klingelte der Wecker in zwei Vans gleichzeitig und Flo, Julia, Jere und ich bereiteten uns auf einen anstrengenden, nervenzehrenden Tag vor: unsere größte Wanderung hier in Neuseeland. Einer der „Great Walks“ Neuseelands stand uns bevor und eigentlich hatten alle außer Flo wenig Motivation. Am Abend zuvor, bei Lagerfeuer mit Folienkatoffeln und Stockbrot, war alles noch so gemütlich, doch jetzt ging die harte Tour los: Mit beiden Vans fuhren wir zum Zielort der Wanderung und stellten dort Flos Van ab, um dann zu viert im Kiwi-Van zum Start des Tongariro-Crossings zu fahren. Vor uns lagen 8 Stunden (19,4 km) Vulkanüberquerung. Schon am Parkplatz merkten wir, dass es diesmal wohl ungewöhnlich belebt auf dem Weg werden würde, denn mehrere kleine Grüppchen und Pärchen schnallten auf dem Parkplatz ihre Rucksäcke fest und setzten sich bereits in Richtung Berg in Bewegung. Mit jeder Menge Trinkwasser und Pullover zum umziehen beladen (wir sahen die Schneefelder am Hang) gingen auch wir vom Parkplatz los.

Von einer kargen Landschaft mit wenigen Grasbüscheln ging es in ein Gebiet, dass eher dem Mars und dem Mond ähnelt, als der Erde. Gerade Stücke wechselten sich mit steilen Anstiegen ab. Die schwarzen Vulkansteine ragten spitz aus der Erde. Andere Gebilde sahen aus, wie übergroße Kleckerburgenberge. Beim Tongariro-Crossing klettert man über einen Sattel, der sich zwischen dem Tongariro-Vulkan und dem Mount „Doom“ zieht. Der Mount Doom hat eigentlich einen anderen Namen, den sich aber keiner merken kann, und so hat der Vulkan den Namen des Schicksalsbergs aus Herr der Ringe behalten, als welcher er beim Dreh dieses Films herhalten musste. Auf dem Sattel kommt man nacheinander am South-Krater, Red-Krater und Main-Krater vorbei. An zwei Stellen kann man sich entscheiden, noch einen Umweg auf die Spitze des Mount Doom (ca. 3 Stunden) oder des Tongariro (1,5 Stunden) zu unternehmen. Der Mount Doom sieht verlockender aus, denn er ist der typische schwarze Vorzeigevulkan, mit Kegelform und Krater, doch schon vom Weg aus sieht man, wie unmöglich der Aufstieg ist: Ohne jeglichen Schutz durch Felsen oder Pflanzen laufen die ganz Harten auf den schwarzen rutschenden Steinen in Serpentinen am steilen Berg hinauf.

Jere und Flo entschieden sich für den weniger anstrengenden, aber trotzdem kräftezehrenden Aufstieg zum Mount Tongariro. Julia und ich hatten bereits genug von dem steilen Anstieg des eigentlichen Tongariro-Crossings und gingen weiter, ein steiles Stück hinunter, auf dem wir rutschten und stürzten. An dieser Seite des Berges bließ uns der Wind zur Seite und wir mussten aufpassen, um auf dem Weg zu bleiben. Der Berg müsste theoretisch jedes Jahr 10 Meter kleiner werden, denn jeder Tourist tritt jede Menge Sand nach unten. Der nun schon vertraute Schwefelgeruch setzte ein und wir sahen, was den anstrengenden Aufstieg mit Schweiß und kaltem Wind belohnte: Ein riesiger Krater, schwarz und rot, mit einem großen Riss, der so aussah, als ob gleich die Lava hinausschießen könnte. Ein Stück weiter unten zwischen den gelben Steinen hoben sich grünblaue kleine Seen und Schneefelder vom schwarzen Stein ab. Wir überquerten eine weitere Ebene, suchten uns einen windgeschützten Platz zwischen kleinen Felsen und warteten auf die Jungs. Obwohl der Kamm und der Abstieg weit weg waren, sahen wir die zwei immer wieder in der Ferne, da sie beide weiße Hosen und schwarze Jacken an hatten. Unseren Rutschhang nahmen sie in gefährlichem Tempo und wir dachten schon, sie fallen den Berg hinunter, dabei hatten sie nur riesen Spaß daran, auf den Steinen hinunter zu surfen. Sie überquerten die lange Ebene, durch die wir gerade gekommen waren und setzten sich für ein kleines Mittagessen zu uns.

Einen letzten kräftezehrenden Anstieg ging es zu viert noch einmal nach oben zu einem tiefblauen See. Der große rote Krater sah nun von weitem aus, wie ein eiternder butender Zahnstummel. Auf der anderen Seite der Erhebung sahen wir das andere Tal, wo wir hin mussten. Von hier an wurde die Natur etwas eintönig und die letzten Kilometer durch das kuschlige Neuseeland-Büschelgras zogen sich hin und wollten nicht enden. Das ständige Bergabgehen schmerzte in den Knien und Füßen und war fast schlimmer, als die Atemnot und das Herzklopfen beim Aufstieg.

Insgesamt war es eine tolle Wanderung und den Ausblick wert, auch wenn man schwitzt und friert, das Herz hämmert und die Lungen, Beine und Füße weh tun. Etwas frustrierend ist es dann, wenn ganze Schulklassen das scheinbar ohne Probleme an einem gemütlichen Wandertag durchziehen oder harte Neuseeländer nur in kurzer Hose, T-Shirt und einer Wasserflasche in der Hand entgegenkommen (was absolut unverantwortlich ist, bei den schnell wechselnden Wetterlagen: Hier sind auch schon Leute erfroren). Durch den erfahrenen Bergwanderer bzw. -berenner Flo habe ich gemerkt, wie gut es tut, wenn man vor dem steilen Anstiegen noch einmal einen Müsliriegel isst. Dadurch bekommt man tatsächlich einen kleinen Energieschub, der einem den Berg hinauf hilft. Was wir diesmal nicht geschafft haben: Trotz Zentimeter dicker immer wieder nachgecremter Sonnenschutzlotion haben wir es nicht ohne Sonnenbrand über den Berg geschafft! Die neuseeländische Sonne ist wirklich agressiv.

Vielleicht werde ich aber hier doch noch zum Wanderfan!

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