Die Revolution der bierärschigen Opportunisten

Wir leben in einer revolutionären Zeit. Das behauptete jedenfalls so ein Forscher neulich im Radio. Ich drehte lauter. Das versprach die Autofahrt kurzweiliger zu machen. Die Generation der 15 bis 30-jährigen betreibt eine »heimliche Revolution«, sagte er. Er hat wohl auch ein Buch dazu geschrieben. Nicht schlecht. Er muss ja auch von was leben.
Die Revolution der bierärschigen Opportunisten Ein Erklärungsansatz: Der Mann glaubt, dass diese Generation so sehr von ihrer Erfahrung am Arbeitsmarkt geprägt sei, dass sie sich Bildung auf die Fahnen schrieb. Die Menschen jener Generation hätten erkannt, dass sie schwer nach einer Stelle ringen mussten, weil sie noch nicht ausreichend gebildet waren. Diese Erfahrung mache man heute nicht mehr, fügte er in einem Nebensatz ein. Aha, der Aufschwung ist wohl da? Jedenfalls wurde die Qualifizierung ihr Steckenpferd. So kamen sie dann doch irgendwann in einen Betrieb und gestalteten ihn ruhig und besonnen um. »Ego-Taktiker« nennt er diese Revolutionäre. Indem sie sich selbst geschult hätten, würden sie nun damit beginnen, die Welt um sich herum zu verändern. So brechen sie Strukturen auf und modellieren die Welt nach ihrem Vorstellungen.

Schon irre wie wenig Gehalt diese These hat. Denn das ist im Grunde die ganze Botschaft, die er verkündete. Die Moderatorin fand das natürlich spannend und tat so, als habe sie eben das Rätsel der Welt gelüftet. Sie stellte Fragen, die nicht mal richtig zum Thema passten. Ich schüttelte nur den Kopf, was bei 150 Sachen nicht ungefährlich ist.
Was dieser Forscher mit einer Revolution verwechselte ist die Anpassung, das Mitmachen und Einfügen. Wo bitte hat diese Generation irgendwas an den gesellschaftlichen Strukturen verändert? Wo ist der Fortschritt? Ich sehe nur Prekarisierung, Sozialabbau und die Einschränkung von Lebensqualität. Was ist die Utopie, der sie folgt? Der Mann verwechselt die Egomanie der Yuppie-Generationen mit sozialem Engagement. Der Ich-Mensch, der sich in Karrierismus übt, ist doch kein Revoluzzer. Ja, ich bestreite sogar, dass diese »Generation Y«, wie sie die Soziologie nennt, überhaupt auch nur reformistisch angehaucht ist. Das war ja nicht mal mehr die späte »Generation X«, der ich angehöre. Wir waren ja schon entutopisiert und yuppiesk beschallt. Man zeigte uns die Bevölkerungspyramide in Sozialkunde und sagte: So muss es sein, so wäre es richtig. Dass das mathusianischer Unsinn und sozialdarwinistischer Bullshit war, habe ich erst viel später entdeckt - andere meines Jahrgangs wahrscheinlich bis heute nicht.
Anpassung, Assimilation in hierarchische Betriebsstrukturen, Gleichmacherei und Unterordnung sind also revolutionär? Bildungsarroganz, Eigennutz und klassistische Überheblichkeit sind die Taten von Revolutionshelden? Oh Mann, da deutet jemand diese entpolitisierten Generationen um und stellt sie in eine Ahnengalerie mit »Kampf dem Atomtod«, den 68ern und der Anti-AKW-Bewegung. Er tut ja so, als habe zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die herrschenden Strukturen eine ganz neue, eine sublimierte Form eingenommen. Selten so einen Unsinn vernommen. Ein Karrierist bleibt ein Karrierist. Unterordnung ist Unterordnung. Da kann man hineininterpretieren was man mag. Die Sache ist wie sie ist.
Nein, nicht alles ist schlecht bei jener Generation. Es gibt ja auch kritische Geister, die den Neoliberalismus ablehnen und Occupy aufziehen. Aber ausgerechnet die meinte der Forscher ja nicht. Die, die mitmachen und nichts hinterfragen, sind seine Revolutionäre. Die, die den Klassismus auf Grundlage des »Ich-habe-Arbeit-und-du?« verfestigen. »Agenda-Menschen«, wie sie Friedhelm Hengsbach mal nannte. Mit welchem Unfug sie einem aus dem Radio heraus berieseln. Revolution der bierärschigen Opportunisten. Dass ich nicht lache. Ich gab Stoff, ich fuhr viel zu schnell. Aber hey, kein Problem, denn meine schnelle Fahrt ist Revolution, dachte ich mir. Wenn ich schneller vorankomme, wird die Welt ein besserer Ort. Darüber sollte der Kerl auch mal ein Buch schreiben.
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