Die privilegierten Niedriglöhner und die Flüchtlingsarbeitskräfte

Die privilegierten Niedriglöhner und die FlüchtlingsarbeitskräfteMan kann immer die eine Hälfte der Armen kaufen, um sie gegen die andere Hälfte der Armen in Stellung zu bringen. Das ist eine elitäre Binsenweisheit. Sie funktioniert eigentlich immer. Und man kann auf vielerlei Arten kaufen. Zum Beispiel so, wie es derzeit einschlägige Ökonomen und Wirtschaftspolitiker fordern. Flüchtlinge sollen nämlich schnell arbeiten dürfen. Aber nicht auf Mindestlohnniveau. Bei Asylbewerbern sollte eine weitere Ausnahmeregelung geben. Diese Forderung nach Aushebelung dieses neuen Sozialstandards ist aus Sicht der Arbeitgeberseite nicht spektakulär, nicht besonders überraschend. Man muss ihr nicht mal moralisch kommen. Die Arbeitgeber tun halt, was sie können, um weiterhin paradiesische Zustände in puncto Lohnkosten zu haben. Interessant sind aber zwei Aspekte.

Erstens an die Haus- und Hofökonomen gerichtet, von denen dieser Vorschlag ja stammt: Liebe Experten, ihr entkräftet euch ja selbst. Vor einigen Monaten habt ihr noch gesagt, dass der Mindestlohn unser aller Ruin sei. Arbeitsplätze würden wegfallen wie tote Fliegen von der Wand. Das würde sich schnell in der Arbeitslosenstatistik niederschlagen. Nichts geschah. Das weiß man schon etwas länger. Die Zahlen dokumentierten das. Es war Angstmacherei und ideologische (oder pekuniäre) Befangenheit, nicht Wissenschaft, die dieses Urteil forcierten. Jetzt stellt ihr euch aber hin und sagt, dass man für Flüchtlinge Ausnahmen brauche. Sie könnten alle gerne arbeiten, aber dann eben billiger. Ja, aber wo denn, wenn es in einem Mindestlohnland keine Stellen mehr gibt, weil sie einfach so wegfallen? Jetzt plötzlich kann der Arbeitsmarkt zwei Arbeitnehmerklassen vertragen: Die mit Standards und die Entrechteten. Auf diese Dialektik muss man mal kommen.
Der zweite Aspekt kommt nochmal auf den Eingangssatz zu sprechen. Was ist eigentlich los mit der Arbeitnehmerseite in diesem Land? Mir begegnen Leute, die es richtig finden, dass Asylbewerber arbeiten gehen sollen. Und nicht erst morgen, sondern gleich heute. Aber bitte nicht zu Mindestlohn. Denn das wäre viel zu teuer. Manchmal sind es Leute, die selbst auf diesen Niveau darben. Sie schaden sich selbst, obgleich sie sich natürlich einbilden, sie seien die Gewinner in der Konstellation zwischen normalen Arbeitnehmern und Flüchtlingsarbeitskraft. Aber exakt das sind sie ja nicht. Sollte man diese Pläne verwirklichen, so werden viele Arbeitsplätze, die heute noch ein Mindestlohnangestellter ausfüllt, von Menschen besetzt, die vielleicht für die Hälfte schuften.

Jeder Arbeitsplatz, der keine besondere Qualifikation, kein Know-How, keine Ortskenntnis, keine Wortgewandtheit oder dergleichen mehr benötigt, kann dann von jemanden übernommen werden, der keinen Anspruch auf Mindestlohn hat. Ein Unternehmen, das beispielsweise Arzneien verpackt, kann seine geringfügig Beschäftigten mit Mindestlohn gegen solche ohne austauschen. Erstere können im Monat knapp 53 Stunden arbeiten, dann sind die 450 Euro voll – letztere (bei einem Stundenlohn von fünf Euro) immerhin 90. Und das bei gleichem monatlichen Einkommen. Was für ein Wertgewinn für die Unternehmen! Und welcher Verlust für die, die nur ihre Arbeitskraft anbieten können!
Gleichwohl gibt es Stimmen im unteren Lohnsegment, die diese Lösung favorisieren. Sie bringen ihre ohnehin prekäre Existenz nur in Gefahr, weil ihnen diese Unterscheidung mit den Flüchtlingen schmeichelt. Jahrelange neoliberale Beschulung haben jegliche dialektische Auseinandersetzung mit dem Wert von Arbeit außer Kraft gesetzt. So steht man stolz da, fühlt sich privilegiert, weil man weiß, dass man Mindestlohnberechtigung erfährt und merkt bei all dieser Pseudobevorzugung nicht, dass man der Entwertung der eigenen Arbeit Vorschub leistet. Man kann immer die eine Hälfte der Armen bauchpinseln, um die andere Hälfte zu kontrollieren. Man kann immer die eine Hälfte kaufen, um die ganze arme Bande im Griff zu haben. Das ist es, was wir derzeit wieder mal erleben. Und weiterhin in einem erhöhten Maß erleben werden, wenn sie ihre Pläne verwirklichen. Ich bin daher übrigens der Meinung, dass TTIP zerstört werden muss.
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