von Joachim Jakobs
Screenshot der Webseite julianeigel.com
Liebe Julia Neigel,
zunächst will ich Dir danken: Du machst seit vielen Jahren tolle Musik und hast eine wundervolle Stimme. Jetzt aber hast Du diese Stimme erhoben, um Dich für diese unsägliche Kampagne „Wir sind die Urheber“ stark zu machen. Daher möchte ich Dir – von Künstler zu Künstlerin – einen Brief schreiben. Womöglich bist Du Dir nicht klar darüber, vor welchen Karren Du Dich hier spannen läßt.
Herr Westerwelle hat kürzlich vom „geistigen Eigentum“ schwadroniert – warum ich nichts davon halte, erfährst Du hier. An dieser Stelle nur soviel: Die Anhänger dieses Begriffs sollten niemals das Internet auch nur anrühren – denn wenn vor 40 Jahren schon so viel über dieses ominöse „geistige Eigentum“ geplappert worden wäre (das Deutsche Recht kennt den Begriff des „geistigen Eigentums“ jedenfalls nicht), gäbe es heute kein Internet! Jetzt kenne ich die Verhältnisse in der Musikwirtschaft nicht – ein wenig kenne ich aber die Methoden der Verlage. Die sind nämlich keineswegs immer so um die Autoren besorgt, wie das NDR-Medienmagazin Zapp berichtet. Die Zustände kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Der Verleger des Freitag, Jakob Augstein sieht im Lobbying seiner Kollegen lediglich den “Versuch der Verlage, das eigene Versagen im Netz durch die Hintertür der Politik wiedergutzumachen” und schlußfolgert:
“Hinter diesen Widersprüchen verbirgt sich das eigentliche Ziel der Verlage: die Kontrolle des Netzes, das sowohl der privaten als auch der öffentlich-rechtlichen Nutzung entzogen und zu einem rein kommerziellen Raum umgestaltet werden soll. Durch Druck und Wiederholung versuchen die Verlage, die Schwäche ihrer Position wettzumachen. Aber auch eine noch so willfährige Politik kann nicht dafür sorgen, dass im Netz die Flüsse aufwärts fließen und die Hasen Jäger schießen.”
Das bedeutet: Wir Künstler müssen uns alle darüber klar werden, daß die Geschäftsmodelle der Industriegesellschaft in der Informationsgesellschaft nicht funktionieren können – Bruno Kramm hat zu den Alternativen bereits Einiges im ARD-Morgenmagazin gesagt. – Es sei denn, wir wollen unser Grundgesetz wegen unserer „alten“ Geschäftsmodelle opfern. Die Bundesregierung scheint mir da bereits auf bestem Wege zu sein – so hat der Koalitionsausschuß kürzlich unter der Überschrift “2. Urheberschutz – Leistungsschutzrecht für Presseverlage” beschlossen:
“Gewerbliche Anbieter im Netz, wie Suchmaschinenbetreiber und News-Aggregatoren, sollen künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen (wie Zeitungsartikel) im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen“. Der Medienrechtsprofessor Thomas Hoeren glaubt, es ginge in Wahrheit nicht ums “geistige Eigentum”, sondern um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen “für ganz wenige, kurze Worte manchmal nur. Und daran sollen Monopolrechte geschaffen werden. Das heißt, das ist ein massiver Eingriff in die Informations- und Meinungsfreiheit”. Der Medienrechtsprofessor Udo Branahl ist darüber hinaus der Ansicht, dass “jemand, der eine Nachricht als Erster verbreitet, [...] die Verbreitung von Informationen verhindern” könnte.
Die Rechteverwertungsindustrie möchte also wissen, wer wann wo wen zitiert hat, um das dann auf Euro und Cent abrechnen zu können. Dazu ist es notwendig, eine ausgeklügelte Überwachungs-Infrastruktur zu schaffen. Der Datenschutz müsste entsprechend zurückstehen. Im Ergebnis hätten wir wohl ein Kontrollsystem, wie wir es gern in China oder dem Iran kritisieren. Der Erfinder des WWW, Tim Berners Lee warnt: “Das Maß an Kontrolle, das man über jemanden bekommt, wenn man dessen Internetaktivitäten überwachen kann, ist unglaublich” [...] “Man lernt jedes Detail kennen, in gewisser Weise erfährt man mehr intime Details über sein Leben als jeder andere, mit dem er spricht, denn oft vertraut man dem Internet und besucht dort Gesundheitswebsites …, oder Jugendliche suchen eine Website über Homosexualität auf und fragen sich, was mit ihnen los ist und ob sie mit anderen darüber reden sollen.” Außerdem verweist Berners Lee darauf, daß die für eine solche Überwachung notwendige Datenbank samt den gespeicherten Daten gestohlen werden könnte. Damit seien Menschen erpreßbar.
Die beobachteten Internet-Aktivitäten könnten anschließend zweitverwertet werden – beispielsweise im Zusammenhang mit dem EU-Projekt “INDECT” – dem “Traum der EU vom Polizeistaat” wie Zeit Online berichtet: “Ein Forschungsprojekt soll Wege finden, Informationen aus dem Netz, aus Datenbanken und von Überwachungskameras zu verbinden – zu einem automatischen Bevölkerungsscanner”. Einen anschaulichen Film dazu hat der WDR kürzlich gemacht. Dabei könnte den Strafermittlern das unendliche “Gedächtnis” des Internet dienlich sein. Ein solches hätte sich wohl auch Horst Herold gewünscht. Zu den Terror-Zeiten der Rote Armee Fraktion (RAF) war Herold Präsident des Bundeskriminalamts. Der Spiegel berichtet über die Datensammelleidenschaft Herolds: “Er hatte die Terroristen digitalisiert, alles in Einzelinformationen zerlegt und in seinen Rechnern gespeichert – Haare, Stimme, Fingerabdrücke, Säurewert des Speichels.” Kein Wunder, daß die Politik Facebook keine Fesseln anlegen möchte, sondern allenfalls um “Selbstverpflichtungen” bittet.
Das alles erinnert mich an den Strafrechts-Professor Peter-Alexis Albrecht, der bereits vor Jahren überzeugt war: “Die Politik zerstört den Rechtsstaat!” Passenderweise habe ich gestern vom Europäischen Parlament gelernt, daß gefälschte Handtaschen nicht die innere Sicherheit gefährden. Es erschreckt mich, daß es solcher Klarstellungen überhaupt bedarf!
Liebe Julia Neigel: Ich fänds schon wichtig, daß wir Künstler erkennen, wer unsere Interessen vertritt und wer uns nur als Vehikel benutzen möchte. Sonst sind wir nämlich nützliche Idioten.
Ich möchte mich mit Dir über diese Dinge – öffentlich! – unterhalten. Als Termin schlage ich den 9. Juni, gleich nach der Anti-ACTA-Demo in Mannheim vor. Wir werden sicher reichlich Publikum dafür finden. Du erreichst mich unter info[at]privatsphaere.org
Ich freue mich auf Deine Nachricht und verbleibe
mit herzlichem Gruß
Joachim Jakobs
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Erstveröffentlichtung: privatsphaere.org