Von Jürgen Voß
Zwei Beispiele aus dem unerschöpflichen Arsenal des neoliberalen Irrsinns
In den „Nachdenkseiten“ von heute (6. September) merkt Orlando Pascheit zu einem Artikel der Süddeutschen an: „Die SZ sollte sich schon entscheiden, ob genug Geld vorhanden ist, das allerdings zweckentfremdet der Spekulation dient, oder ob sie weiter das neoliberale Mantra wie ein Monstranz vor sich her trägt, dass „zu viele Staaten, Bürger und Banken inklusive, zu lange über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten.
Als Pascheid diese Anmerkung schrieb, hatte er wohl noch nicht die SZ vom gleichen Tag gelesen, in der die neoliberale Propagandafront der SZ gleich zweimal – und das in geradezu primitivster Weise – das älteste Argument der neoliberalen Konterrevolution („zu wenig Kinder für zu viele alte Leute“!), bekannt aus unzähligen Christiansenrunden, wieder aufwärmt und damit anschaulich demonstriert, dass sie gar nicht daran denkt, mal reflektorisch tätig zu werden, welchen Unsinn sie in den vergangen 20 Jahren verbreitet und wie stark sie sich mitschuldig gemacht hat, an dem, was uns heute alle bedroht und letztlich, da hat Erhard Eppler, in der gleichen Ausgabe vertreten, vollkommen recht, das „Ende der Politik“ und damit das Ende der Demokratie überhaupt bedeutet:
Doch der Reihe nach. Zunächst Gustav Seibt: „Dabei wäre es angezeigt, den Wirtschaftswissenschaftlersatz (Anmerkung J.V.: Von welchen Wissenschaftlern? Hüther und Sinn?), von den Verhältnissen, über die „wir“ gelebt haben, in eine möglichst kleinteilige Wirklichkeit zurückzuübersetzen. Auch eine Rentnerin, die fast nichts für ein langes Berufsleben bekommt, kann, so bitter das ist, dazu beitragen, dass ein Sozialsystem über seine Verhältnisse lebt: Wenn nämlich, wie jetzt schon, der Rentenkasse die jüngeren Einzahler ausgehen. Mitleiderregend ist die Rentnerin als Einzelschicksal; wenn aber eine junge Familie, die mit zwei Kindern in der Ausbildung, künftig auch noch zwei oder drei oder gar fünf solcher beklagenswerten alten Frauen mitfüttern muss (das steht da wirklich, J. V.), (die sie persönlich gar nicht kennt), dann stellt sich schon die Frage, wer eigentlich mehr zu bedauern ist“ Uff! Zitat Ende.
Den zweiten Hammer dieser Art – wenn auch schon bekannt als Klassiker der Demographiedebatte“ – liefert Thomas Öchsner ein paar Seiten weiter in einem an sich recht informativen Überblick über die aktuelle Situation der Rentner (die ja – wie dort zu lesen – mit Durchschnittsrenten von 857 bis 1.117 Euro monatlich, „deutlich über unsere Verhältnisse leben“ und unsere Staatsfinanzen ruinieren), indem er die Frage „Warum geht das Rentenniveau zurück? wie folgt beantwortet:
„Wegen des Geburtenrückgangs wird die Zahl der Erwerbstätigen abnehmen, der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung vergrößert sich. Sollen trotzdem die Rentenbeiträge für die Jüngeren bezahlbar bleiben und nicht viel mehr Steuergeld in die Rentenkassen fließen, muss das Rentenniveau sinken“.
Sowohl Öchsner als auch Seibt sind bekannte Autoren der Süddeutschen Zeitung. Ob sie fest angestellte Redakteure oder freie Mitarbeiter sind, weiß ich nicht, gleichwohl dürfte ein gewisses Qualifikationsniveau in jedem Falle unterstellt werden. Darum hier einige erstaunte Bemerkungen:
Nachdem allein die sog. Finanzkrise die deutsche Staatsschuldenquote von 60 auf 80 Prozent hat steigen lassen, ausgerechnet wieder das umlagefinanzierte Rentensystem als Sündenbock aus dem Koffer zu holen, ist an sich schon ein ganz starkes Stück. Doch geschenkt! Schlimmer ist, dass beide Autoren beweisen, dass sie unser Rentensystem entweder gar nicht verstanden haben oder es nicht verstehen wollen.
Die deutsche Sozialrente ist das Resultat einer mindesten 5 jährigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und der Höhe der im Rahmen dieser Beschäftigung erzielten Verdienste. Sie wird bezahlt aus den Beiträgen der gegenwärtig (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten, womit diese die Berechtigung erwerben, eines Tage selbst in den Genuss einer Rente zu kommen. Wer also jenseits der 65 (plus) ist, erhält noch lange keine Rente (von den gegenwärtig über 50 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, sind gerade 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt). Alle die sich als „sonstige“ Erwerbstätige (angeblich sollen ja über 40 Millionen Menschen erwerbstätig sein, wozu jeder Praktikant ohne Lohn, jeder 400 Euro- Jobber und jeder Ein-Euro-Jobber zählt) durchs Leben schlagen (müssen), werden im Alter von ihren Ersparnissen oder aber – was wahrscheinlicher ist - von der Grundsicherung leben müssen, erhalten also gar keine Rente.
Ob es auch in Zukunft ausreichend sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt, ist also eine Frage des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik. Dereguliert letztere jenen weiterhin, weitet sich etwa der Niedriglohnsektors noch mehr aus, und werden den Unternehmen immer neue Schlupflöcher geboten, an der Zahlung der Sozialbeiträge vorbei zu kommen, dann ist die Rente wirklich gefährdet. Nur mit der Zahl der Geburten hat dies nichts zu tun. Eine bevölkerungspolitisches Szenario, nach dem die Zahl der Erwerbsfähigen unter 35 – 40 Millionen sinkt, hat selbst das in dieser Richtung ziemlich sorglose Statistische Bundesamt noch nicht vorgelegt. Abgesehen davon, dass immer noch über 4 Millionen Menschen arbeitslos sind und in Westeuropa eine ganze Generation junger Menschen vor der Tür steht. Auf den „Hinweis“, dass Beitragszahler den Empfänger der Beiträge nicht „kennen“, wollen wir mal nicht eingehen, sondern ihn Georg Schramm als zündende Pointe bei der Betrachtung des nicht selten ins vollkommen Irrationale schießenden neoliberalen Unsinns überlassen.
Gleichermaßen seltsam die Argumentation von Öchsner. Auch er schließt von zurückgehenden Geburtenzahlen auf automatisch damit zurückgehende Erwerbstätigenzahlen, (er kennt also den Arbeitsmarkt von morgen!) heißt – um die Argumentation abzuküren – im Umkehrschluss: mehr Geburten, also mehr Erwerbstätige. Da haben wohl die geburtenstarken Jahrgänge 1957 bis 1970 aus ihrer Erfahrung ein Wort mitzureden, denn zu ihrer Alltagswirklichkeit im Berufsleben gehört(e) eben wegen ihrer großen Zahl das Gespenst Arbeitslosigkeit vom ersten Tag des Arbeitslebens mit dazu.
Die Gleichsetzung: „Mehr Kinder = mehr Beschäftigung oder weniger Kinder = weniger Beschäftigung“ ist – so blödsinnig sie angesichts der Massenarbeitslosigkeit in allen Länder der Erde und der wahnsinnigen Überbevölkerung unseres Planeten auch immer klingen mag, als Kernthese der neoliberalen Demografieerzählung wohl so unentbehrlich, dass sie einfach nicht tot zu kriegen ist.
Zwei Beispiele aus dem unerschöpflichen Arsenal des neoliberalen Irrsinns
In den „Nachdenkseiten“ von heute (6. September) merkt Orlando Pascheit zu einem Artikel der Süddeutschen an: „Die SZ sollte sich schon entscheiden, ob genug Geld vorhanden ist, das allerdings zweckentfremdet der Spekulation dient, oder ob sie weiter das neoliberale Mantra wie ein Monstranz vor sich her trägt, dass „zu viele Staaten, Bürger und Banken inklusive, zu lange über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten.
Als Pascheid diese Anmerkung schrieb, hatte er wohl noch nicht die SZ vom gleichen Tag gelesen, in der die neoliberale Propagandafront der SZ gleich zweimal – und das in geradezu primitivster Weise – das älteste Argument der neoliberalen Konterrevolution („zu wenig Kinder für zu viele alte Leute“!), bekannt aus unzähligen Christiansenrunden, wieder aufwärmt und damit anschaulich demonstriert, dass sie gar nicht daran denkt, mal reflektorisch tätig zu werden, welchen Unsinn sie in den vergangen 20 Jahren verbreitet und wie stark sie sich mitschuldig gemacht hat, an dem, was uns heute alle bedroht und letztlich, da hat Erhard Eppler, in der gleichen Ausgabe vertreten, vollkommen recht, das „Ende der Politik“ und damit das Ende der Demokratie überhaupt bedeutet:
Doch der Reihe nach. Zunächst Gustav Seibt: „Dabei wäre es angezeigt, den Wirtschaftswissenschaftlersatz (Anmerkung J.V.: Von welchen Wissenschaftlern? Hüther und Sinn?), von den Verhältnissen, über die „wir“ gelebt haben, in eine möglichst kleinteilige Wirklichkeit zurückzuübersetzen. Auch eine Rentnerin, die fast nichts für ein langes Berufsleben bekommt, kann, so bitter das ist, dazu beitragen, dass ein Sozialsystem über seine Verhältnisse lebt: Wenn nämlich, wie jetzt schon, der Rentenkasse die jüngeren Einzahler ausgehen. Mitleiderregend ist die Rentnerin als Einzelschicksal; wenn aber eine junge Familie, die mit zwei Kindern in der Ausbildung, künftig auch noch zwei oder drei oder gar fünf solcher beklagenswerten alten Frauen mitfüttern muss (das steht da wirklich, J. V.), (die sie persönlich gar nicht kennt), dann stellt sich schon die Frage, wer eigentlich mehr zu bedauern ist“ Uff! Zitat Ende.
Den zweiten Hammer dieser Art – wenn auch schon bekannt als Klassiker der Demographiedebatte“ – liefert Thomas Öchsner ein paar Seiten weiter in einem an sich recht informativen Überblick über die aktuelle Situation der Rentner (die ja – wie dort zu lesen – mit Durchschnittsrenten von 857 bis 1.117 Euro monatlich, „deutlich über unsere Verhältnisse leben“ und unsere Staatsfinanzen ruinieren), indem er die Frage „Warum geht das Rentenniveau zurück? wie folgt beantwortet:
„Wegen des Geburtenrückgangs wird die Zahl der Erwerbstätigen abnehmen, der Anteil der Rentner an der Gesamtbevölkerung vergrößert sich. Sollen trotzdem die Rentenbeiträge für die Jüngeren bezahlbar bleiben und nicht viel mehr Steuergeld in die Rentenkassen fließen, muss das Rentenniveau sinken“.
Sowohl Öchsner als auch Seibt sind bekannte Autoren der Süddeutschen Zeitung. Ob sie fest angestellte Redakteure oder freie Mitarbeiter sind, weiß ich nicht, gleichwohl dürfte ein gewisses Qualifikationsniveau in jedem Falle unterstellt werden. Darum hier einige erstaunte Bemerkungen:
Nachdem allein die sog. Finanzkrise die deutsche Staatsschuldenquote von 60 auf 80 Prozent hat steigen lassen, ausgerechnet wieder das umlagefinanzierte Rentensystem als Sündenbock aus dem Koffer zu holen, ist an sich schon ein ganz starkes Stück. Doch geschenkt! Schlimmer ist, dass beide Autoren beweisen, dass sie unser Rentensystem entweder gar nicht verstanden haben oder es nicht verstehen wollen.
Die deutsche Sozialrente ist das Resultat einer mindesten 5 jährigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und der Höhe der im Rahmen dieser Beschäftigung erzielten Verdienste. Sie wird bezahlt aus den Beiträgen der gegenwärtig (sozialversicherungspflichtig) Beschäftigten, womit diese die Berechtigung erwerben, eines Tage selbst in den Genuss einer Rente zu kommen. Wer also jenseits der 65 (plus) ist, erhält noch lange keine Rente (von den gegenwärtig über 50 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, sind gerade 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt). Alle die sich als „sonstige“ Erwerbstätige (angeblich sollen ja über 40 Millionen Menschen erwerbstätig sein, wozu jeder Praktikant ohne Lohn, jeder 400 Euro- Jobber und jeder Ein-Euro-Jobber zählt) durchs Leben schlagen (müssen), werden im Alter von ihren Ersparnissen oder aber – was wahrscheinlicher ist - von der Grundsicherung leben müssen, erhalten also gar keine Rente.
Ob es auch in Zukunft ausreichend sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt, ist also eine Frage des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik. Dereguliert letztere jenen weiterhin, weitet sich etwa der Niedriglohnsektors noch mehr aus, und werden den Unternehmen immer neue Schlupflöcher geboten, an der Zahlung der Sozialbeiträge vorbei zu kommen, dann ist die Rente wirklich gefährdet. Nur mit der Zahl der Geburten hat dies nichts zu tun. Eine bevölkerungspolitisches Szenario, nach dem die Zahl der Erwerbsfähigen unter 35 – 40 Millionen sinkt, hat selbst das in dieser Richtung ziemlich sorglose Statistische Bundesamt noch nicht vorgelegt. Abgesehen davon, dass immer noch über 4 Millionen Menschen arbeitslos sind und in Westeuropa eine ganze Generation junger Menschen vor der Tür steht. Auf den „Hinweis“, dass Beitragszahler den Empfänger der Beiträge nicht „kennen“, wollen wir mal nicht eingehen, sondern ihn Georg Schramm als zündende Pointe bei der Betrachtung des nicht selten ins vollkommen Irrationale schießenden neoliberalen Unsinns überlassen.
Gleichermaßen seltsam die Argumentation von Öchsner. Auch er schließt von zurückgehenden Geburtenzahlen auf automatisch damit zurückgehende Erwerbstätigenzahlen, (er kennt also den Arbeitsmarkt von morgen!) heißt – um die Argumentation abzuküren – im Umkehrschluss: mehr Geburten, also mehr Erwerbstätige. Da haben wohl die geburtenstarken Jahrgänge 1957 bis 1970 aus ihrer Erfahrung ein Wort mitzureden, denn zu ihrer Alltagswirklichkeit im Berufsleben gehört(e) eben wegen ihrer großen Zahl das Gespenst Arbeitslosigkeit vom ersten Tag des Arbeitslebens mit dazu.
Die Gleichsetzung: „Mehr Kinder = mehr Beschäftigung oder weniger Kinder = weniger Beschäftigung“ ist – so blödsinnig sie angesichts der Massenarbeitslosigkeit in allen Länder der Erde und der wahnsinnigen Überbevölkerung unseres Planeten auch immer klingen mag, als Kernthese der neoliberalen Demografieerzählung wohl so unentbehrlich, dass sie einfach nicht tot zu kriegen ist.