Die Niederlande haben gewählt – ein erstes Nachdenken

Die Niederlande haben gewählt, und die politische Landschaft ist zersplitterter als je zuvor. Hier sind meine ersten Gedanken einen Tag nach der Wahl.Idyllische kleine Dörfer und Städchen, Maisfelder, Kühe und Pferde, die friedlich grasen, schöne Wanderwege, freundliche Spaziergänger und Radfahrer, und abends das Kirchenglöcklein. So nimmt man die niederländische Provinz Limburg wahr, wenn man nicht in einer ihrer wenigen Städte wie Maastricht und Roermond flaniert und alte Architektur bewundert. Der niederländische Singer-Songwriter Benny Neyman sang von der burgundischen Atmosphäre der Provinz, ein anderer Musiker bezeichnete Limburg einmal als südländischen Teil der Niederlande. Ausgerechnet hier, wo man von offenherzigen und freundlichen Menschen umgeben scheint, liegt die Hochburg des Rechtspopulisten Geert Wilders, der als großer Gewinner aus den Parlamentswahlen am Mittwoch hervorging. Das für die deutschen Nachbarn inzwischen so freundlich gewordene Ländchen hat die Angst vor Überfremdung und Islamisierung gepackt, stärker noch als Deutschland selbst. Oder zumindest gehen die Niederländer mit ihren Ängsten und Aversionen offener um. 24 der 150 Sitze hat der Rechtspopulist bei den Wahlen gewonnen, damit wurde seine Partei zur drittstärksten Parlamentsfraktion. Indess ist es keineswegs sicher, dass Wilders künftig auch in der Regierung sitzen wird. Daran ist das komplizierte Parteiengeflecht und die ebenso komplizierte und auf alten Traditionen beruhende Regierungsbildung schuld.

Die Parlamentswahlen haben erdrutschartige Verschiebungen erbracht. Stärkste Partei ist die rechtsliberale VVD mit ihrem Spitzenkandidaten Mark Rutte (31 Sitze). Der 43jährige Ex-Manager wurde vor 4 Jahren noch abfällig als Jungspunt bezeichnet, der gerade dem “Hotel Mama” entlaufen sei. Jetzt hat er rund 20 Prozent der Stimmen eingefahren. Für deutsche Verhältnisse ist das nicht viel, und auch in den Niederlanden ist es eins der schlechtesten Ergebnisse für die stärkste Partei, es passt aber in die große Parteienlandschaft des kleinen Königreichs. Außerdem handelt es sich um eine liberale Partei, und die stellten seit 90 Jahren nicht mehr die führende Regierungspartei. Zweitstärkste Kraft werden die Sozialdemokraten mit nur einem Sitz weniger als die Rechtsliberalen. Der pragmatische ehemalige amsterdamer Bürgermeister Job Cohen ist ihr Spitzenkandidat. Politisch können Cohen und Rutte überhaupt nicht miteinander, es könnte aber nötig werden, dass sie miteinander koalieren. Cohen ist als volksnaher, wenn auch etwas spröder Politiker beliebt und holte die Sozialdemokraten aus einem Umfragetief. Dann erst, mit sechs Sitzen weniger als die Sozialdemokraten, kommt Geeert Wilders. Auf dem vierten Platz landeten die Christdemokraten mit dem bisherigen Ministerpräsidenten Balkenende an der Spitze (21 Sitze). Sie verloren 20 Sitze und damit knapp die Hälfte ihrer bisherigen Mandate. Balkenende zog die Konsequenz und trat als Spitzenkandidat zurück. Er wird auch dem neuen Parlament nicht mehr angehören und sich vermutlich aus der Politik zurückziehen. Neben diesen vier Parteien gibt es eine sozialistische (15 Sitze), eine linksliberale (10 Sitze), eine grüne (10 Sitze) und eine Tierschutzpartei (2 Sitze). Außerdem gehören dem Parlament zwei streng religiöse Parteien an, eine christlich-soziale (5 Sitze) und eine rechtskonservativ-calvinistische (2 Sitze). Theoretisch wäre es nun möglich, ein rechtes Kabinett zu bilden. Dazu würden die Christdemokraten, die Rechtsliberalen und die Rechtspopulisten gehören. Sie hätten rein rechnerisch 76 der 150 Sitze im Parlament, ihre Mehrheit wäre extrem dünn. Vermutlich wird Rutte dies zuerst versuchen. Experten vermuten aber, dass Geert Wilders in Wirklichkeit gar nicht regieren, sondern weiterhin Sammelbecken der Unzufriedenen bleiben will. Dann würde Mark Rutte nichts anderes übrig bleiben, als mit den Sozialdemokraten, den Linksliberalen und den Grünen zusammenzuarbeiten. Die politischen Unterschiede in einer derartigen Koalition sind aber so groß, dass ich fürchte, dass sie bald zerbricht und erneut Neuwahlen notwendig werden. Eine solche Entwicklung könnte dazu führen, dass Geert Wilders doch noch die stärkste Kraft wird und dann selbst die nächste Regierung bilden kann. Auch könnte Rutte versuchen, eine Art große Koalition aus Rechtsliberalen, Christdemokraten und Sozialdemokraten zu bilden, wobei die ungeschriebenen Gesetze der Niederländischen Politik dies fast unmöglich machen. Da die Christdemokraten extrem stark verloren haben, stehen sie für eine Regierungsbildung eigentlich nicht zur Verfügung.

Wie man sieht, ist das Wahlergebnis kein Zuckerschlecken für Jeden, der mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Was also geschieht jetzt?

Jetzt ruft die Königin ihre festen Berater zusammen: Der stellvertretende Vorsitzende des Staatsrates erscheint, und die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Danach kommen die neuen Fraktionsvorsitzenden, soweit sie bereits gewählt sind, ansonsten kommen die Alten. Alle geben der Königin Ratschläge, wie eine künftige Regierung aussehen könnte, und wer in der Lage wäre, eine mögliche Zusammenarbeit auszuloten. Dann benennt die Königin einen sogenannten Informateur, der mit den einzelnen Fraktionen spricht und ein mögliches Regierungsprogramm aushandelt. Zunächst einmal geht es in der Regel nur darum, festzustellen, welche Parteien miteinander können und wer bereit ist, welche Abstriche zu machen. Dann erst, in der zweiten Phase, geht es ans Regierungsprogramm. Im Durchschnitt dauert die Regierungsbildung in den Niederlanden 87 Tage, es kann sich hin und wieder auch fünf Monate hinziehen. Mark Rutte hat bereits angekündigt, dass er bis zum 1. Juli ein neues Kabinett formieren will. Das halten viele Experten aber für unwahrscheinlich.

Die Wahlen haben ein Problem aufgezeigt, das wir auch hier in Deutschland nicht vernachlässigen sollten. Die politischen Bindungen der Bürger an ihre angestammten Parteien werden geringer, man zappt sozusagen durch die Stimmungsdemokratie und macht sein Kreuz einmal hier und einmal dort. Vor allem bei den Parteien, die dem Establishment gegenübertreten, ob sie nun tatsächlich etwas zu bieten haben oder nicht. Geert Wilders mit seinen radikalen Ansichten strahlt Klarheit und Deutlichkeit aus. Nicht um Mohamed und Fatima soll es gehen in den Niederlanden, sagt er, sondern um Henk und Ingrid. Das versteht jeder, obwohl keiner weiß, was es genau bedeuten soll. Weil die Aussage so radikal ist, hält man sie für klar, man findet endlich wieder ein unkompliziertes Programm. Die anderen Parteien haben einfach viel zu lange aus Machtkalkül und Selbstherrlichkeit heraus Ehrlichkeit und Tatkraft vermissen lassen. Und die meisten Menschen kommen mit der komplizierter werdenden Politik nicht mehr klar. Also suchen sie sich immer wieder neue Helden, diesmal Geert Wilders. Diese Entwicklung zeichnet sich auch in Deutschland ab. Wichtig wäre daher, wieder mit einem Politikstil zu beginnen, der nicht nur parteitaktisch begründet ist, sondern wieder mehr Offenheit und Bürgernähe beinhaltet.


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