Die Nerven: Anhaltende Aufruhr

Die Nerven: Anhaltende AufruhrDie Nerven
„Fake“
(Glitterhouse)
Manchmal kommt man schon darüber ins Grübeln, warum das denn so sein muß, dass die richtig guten Sachen meistens auch die richtig schwierigen sind. Solche also, die Kopfarbeit einfordern, die anstrengend, unbequem, unnachgiebig sein und einem den letzten Nerv (sic!) rauben können. Das gilt für Bücher, Filme und für die Musik, wo nur nachhaltig bleibt, was Unruhe zu erzeugen vermochte. Eine erschöpfende Antwort ist nicht so schnell zu finden, wohl aber mit dem neuen, vierten Album der Band Die Nerven ein Beispiel zur Untermauerung der These. Einfach zu haben war das Trio noch nie, Max Rieger, Julian Knoth und (später) Kevin Kuhn bewegten sich in ihren Anfangstagen allerdings ein wenig unter dem Wahrnehmungsradar, was vielleicht etwas damit zu tun hatte, daß viele Leute Punk und Stuttgart nicht ganz so einfach übereinander brachten wie beispielsweise Hamburg oder Berlin. So zu tun, als ob die Band gerade einen Überraschungscoup gelandet hat, wäre dennoch ungerecht, denn auch Fluidum, Fun und OUT, ihre bisherigen Platten, waren kleine Meisterwerke. Nur eben weitgehend unentdeckte respektive ignorierte.
Das jedenfalls, soviel ist sicher, wird ihnen nun nicht mehr passieren, denn nachdem sie live seit Jahren schon eine eigene Kategorie definieren (die sie erst kürzlich mit einer phänomenalen Pressung untermauerten), gibt es nun sogar internationale Aufmerksamkeit und Beifall, hierzulande sollte „Fake“ den Durchbruch bringen. Auch oder gerade weil es – siehe oben – wieder ein zorniges, ein aufrührendes Werk geworden ist. Das waren zwar die drei Vorgänger auch schon, doch kommen jetzt zu Wut und Frust noch deutliche Anflüge von Wehmut und Melancholie hinzu. Und eine hörbare stilistische Auffächerung des Sounds, die den musikalischen Nebenschauplätzen von Max Rieger (All diese Gewalt) und Julian Knoth (Peter Muffin) Rechnung trägt. Mehr Elektronik also, wenn auch sparsam eingesetzt, mehr Mut zur tragenden Melodie und häufiges Spiel mit Pausen, Rhythmus- und Tempowechseln. Wer unbedingt einen Vergleich braucht, kann in Deutschland möglicherweise bei den Münsteranern von Messer fündig werden.
Leiser wird es deswegen trotzdem nicht. Wenn der Einstieg mit „Neue Wellen“ und „Niemals“ vielleicht etwas gemäßigter geraten ist und eher dem Etikett Post-Punk genügt, wer sich wie Die Nerven entschieden hat, in seiner Arbeit das Gegenwärtige, und sei es auch noch so unangenehm, zu spiegeln (Stichwort: What a time to be alive), der muß wehtun. Und so finden sich natürlich viele beißende Kommentare zum dem, was uns fälschlicherweise als soziales Netzwerk verkauft wird und doch nur eine kalte, künstliche Parallelwelt ist, die gleichwohl die Kraft hat, Leben zu manipulieren und im schlimmsten Falle gar zu zerstören. „Frei“ zeichnet hier ein ebenso düsteres Bild wie der Titelsong „Fake“, es geht um Deutungshoheit und Meinungsmache, um Multiplikatoren und Algorithmen für die Lügen und den Neid, um den ungezügelten Hass auf alles und jeden (und nicht von ungefähr werden beide Stücke von der Band in eine Doppelsingle gepackt). Dagegen nimmt sich der ferngesteuerte Konsumwahn der Jetztzeit („Skandinavisches Design“) fast schon harmlos aus.
Die neuen Töne sind die traurigen, die rat- und auch mal mutlosen. „Wir machen alles falsch, wir machen alles richtig“ heißt es an einer Stelle und natürlich kommt die Frage, ob früher wirklich alles besser, einfacher war. „Kann es nicht gestern sein?“, eines der stärksten Stücke, spinnt den Faden weiter – wo ist sie denn, die Rückrufaktion für diesen Planeten, für diese Gesellschaft, wo jeder meint, alles richtig, alles korrekt machen zu müssen und dann doch nur wegrennt oder eben Amok läuft. Ist das olympische Motto „Dabeisein ist alles“ der einzige Trost, weil wir uns wenigstens als Zeitzeugen für diesen ganzen Irrsinn fühlen dürfen? Doch wem sollen wir berichten, wenn wir staunend inmitten der „Explosionen“ stehen? Diese und andere Fragen provozieren die Songs, es ist ein kluges, schonungsloses, ernüchterndes Werk geworden. Und auch wenn uns die Antworten dazu fehlen – genauer hinzuhören wäre schon mal ein erster Schritt.
21.04.  Berlin, Festsaal Kreuzberg
22.04.  Hamburg, Hafenklang
23.04.  Köln, Gebäude 9
27.04.  Schorndorf, Manufaktur
28.04.  München, Strom
29.04.  Wien, Fluc

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