Die Mutter des Verräters

DIE RACHE AN EINEM TÄTER MAG SÜSS SEIN. DIE RACHE AN DESSEN ANGEHÖRIGEN JEDOCH IST EINFACH NUR SCHÄBIG.
(Vincent-Deeg)
Viele Monate waren seither vergangen, seit Christa in einem unendlich erscheinenden und demütigenden Verhör der Staatssicherheit erfahren musste, dass Ihr Sohn Kay bei dem Versuch, über die grüne Grenze in den Westen zu fliehen, von den dortigen Grenztruppen gestellt und verhaftet wurde.
Der Beginn eines Spießrutenlaufes, der die schon damals verzweifelte Frau buchstäblich durch die Hölle führen sollte. Und das nicht nur der furchtbaren Tatsache wegen, dass sich das Ministerium für Staatssicherheit Rostock weigerte, ihr zu sagen, was mit ihrem Sohn geschehen war und wohin man ihn verschleppt hatte. Nein. Auch auf Grund der Tatsache, dass man Christa immer wieder zu stundenlangen Verhören zitierte oder abholte, um sie, die Mutter eines undankbaren Hurensohnes, Volksverräters und dreckigen Staatsfeindes wieder und wieder an die schändliche Tat ihres missratenen und kriminellen Sohnes zu erinnern und natürlich, um sie mit gemeinen Beleidigungen und an den Haaren herbei gezogenen Vorwürfen zu erniedrigen.
*
Es ist sicher nicht schwer, sich vorzustellen, welch eine schreckliche Zeit Christa, eine Mutter, die nicht wusste, wo sich ihr Sohn befand und ob es ihm gut ging, damals durchlebt haben muss. Eine Frau, die man immer wieder quälte und erniedrigte. Deren direkte Umgebung man vergiftete, so dass sich die meisten ihrer Freunde, Nachbarn und Kollegen nach und nach von ihr abwandten und sie fast allein war.
Eine Finsternis, die sich, gleich einem giftigen Nebel um sie herum ausgebreitet hatte und die sie mit Sicherheit irgendwann erstickt hätte, wäre da nicht eines Tages dieser Brief gekommen, der Christa, wenn auch nur für ein kleines Stück ins Licht zurück holte.
Der Brief, dessen Absender ein ihr bis dahin unbekanntes Jugendhaus in Halle war, das den seltsamen und recht makaberen Namen „Frohe Zukunft“ trug und das ihr in ein paar Zeilen mitteilte, dass sie ihren Sohn, von dem sie nun endlich wusste, wo er sich aufhielt, in ein paar Wochen besuchen dürfe.
*
Ein paar Wochen sind schnell verflogen, wenn man eine schöne Zeit in ihnen verbringt. Nicht jedoch, wenn man von der ständigen Sorge und der Sehnsucht gequält wird. Dann werden aus Minuten Stunden, aus Stunden Tagen und aus Wochen Jahre. So war es auch bei Christa, die sich immer wieder an den Nachmittag zurück erinnerte, an dem sich Kay, ohne ihr zu sagen, was er vor hatte, das letzte Mal mit einer langen Umarmung bei ihr verabschiedete. Die sich immer wieder fragte, was sie in diesem Jugendhaus in Halle, was sie bei dem Wiedersehen mit ihrem Sohn erwarten würde.
Dann war es endlich so weit. Endlich war die Zeit des Wartens vorbei und der von Christa so lang ersehnte Tag gekommen, an dem sie ihren Kay wieder sehen durfte. Das jedoch war nicht so einfach, wie man es sich vielleicht vorstellen mag. Denn nicht nur, dass sich Christa, um zum Besuchstermin, welcher am Morgen stattfinden sollte, pünktlich zu sein, fast die ganze Nacht mit der Bahn gefahren war. Sie hatte sich auch, von ihrem Betrieb als Mutter eines Verräters beschnitten und seitdem nur noch wenig verdienend, das Geld, das sie für die Fahrkarte brauchte von einem noch übrig gebliebenen Freund leihen müssen.
Strapazen, die, zumindest für den Moment, in dem sich Christa auf das Wiedersehen mit ihrem Sohn freute, ebenso, wie die Qualen der vorangegangenen Monate, die furchtbaren Verhöre durch die Staatssicherheit und die Missachtung, die man ihr in ihrem Betrieb und in Teilen ihres Verwandten und Bekanntenkreises entgegen brachte vergessen waren.
Eine Vorfreude, die selbst der beklemmende, ja erschreckende Anblick der grauen, von dichtem und endlosem Stacheldraht gekrönten und von hohen Wachtürmen umstellten Mauern des Jugendhauses, dessen von außen sichtbare Fenster wie die leeren Augen eine Totenschädels aussahen, nicht verhindern konnte. Die selbst dann noch anhielt, als Christa bereits seit einer Stunde auf einem der alten und teilweise recht zerschlissenen Stühle saß, die man in dem ebenfalls grau gestrichenen Raum aufgestellt hatte, den man für die Besucher als Warteraum benutzte.
Es war der selbe Warteraum, in dem man Christa noch weitere zwei Stunden warten ließ. Bevor man ihr endlich im arroganten Ton sagte, dass ihr Sohn, der Strafgefangene Kay Herer das Jugendhaus Halle/Saale bereits vor zwei Wochen verlassen habe, sie ihn also nicht besuchen könne und stattdessen nach Hause fahren solle. Was man Christa an diesem Morgen verheimlichte, war, dass man Kay in das Stasi-Gefängnis in Karl-Marx-Stadt verlegt hatte, um ihn von dort aus in die Bundesrepublik Deutschland auszuweisen.
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Christa hatte sich damals nicht nur umsonst auf ein Wiedersehen mit ihrem Sohn gefreut und alle Strapazen umsonst auf sich genommen. Es sollten auch noch zwei weitere, vom Stasiterror geprägte Jahre hinzu kommen, bis sie Kay, der inzwischen in Hannover wohnte und sich von den Folgen der Gefangenschaft halbwegs erholt hatte, wieder in ihre Arme schließen konnte.
Kay wohnt heute, diese schreckliche Zeit niemals vergessend, in Hamburg. Und Christa. Sie durfte sich dank des Mauerfalls 1989 noch ganze elf Jahre an ihrem Sohn und an ihrer Freiheit erfreuen. Bevor sie in Folge einer schweren Krebserkrankung für immer die Augen schloss.
Ihr ist diese Geschichte gewidmet.

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