Misconceivable von Erwin Wurm im 3. Bezirk in Wien (Foto: Hotel Daniel)
Die Misconceivable ist vor Anker gegangen. Auf dem Dach des DANIEL, am Landstraßer Gürtel. Und von dort – so erweckt sie den Eindruck – möchte sie sich am liebsten in die Tiefe stürzen. Dass dies aber nicht passiert, dafür haben Statiker und der Denkmalschutz gesorgt, der dem Segelboot von Erwin Wurm 4 Jahre fixen Ankerplatz in luftiger Höhe zugestanden hat. Florian Weitzer, Hausherr des gleichnamigen Hotels, das kein Hotel sein möchte, sondern sich lieber mit dem Begriff „urban stay“ schmückt, hat sich als viertes „Hotel“ unter seiner Ägide das ehemalige Verwaltungs- und Produktionsgebäude von Hoffmann-La Roche ausgesucht, ohne à priori zu wissen, dass dieses Haus denselben Architekten hat wie das Hotel Daniel am Hauptbahnhof in Graz, das ihm auch gehört. Georg Lippert plante ab 1959 für den Schweizer Pharmakonzern dieses Gebäude, das sich durch eine der frühesten „Curtainwall-Fassaden“ Österreichs auszeichnete, derentwegen es gleich nach seiner Fertigstellung von Architektinnen und Architekten aus der ganzen Welt aufgesucht wurde und mittlerweile – immerhin handelt es sich bei dem Gebäude bereits um ein denkmalgeschütztes – wieder wird.
Seit nunmehr einem halben Jahr zieht das DANIEL nun Publikum an, das bei seinem Besuch in Wien anders übernachten möchte. „Anders sein“ könnte man auch als Motto von Florian Weitzer bezeichnen, der sich bei den Überlegungen, wie denn sein neues Haus mit Kunst in Verbindung gebracht werden könnte, strikt gegen eine Behübschung in den Zimmern aussprach. „Kunst in jedem Zimmer, das kam für mich überhaupt nicht infrage“ verkündete er mit Nachdruck bei der Pressekonferenz, bei welcher die Verankerung des Wurm-Segelschiffes in luftiger Höhe präsentiert wurde. Gemeinsam mit der Art Consulting Expertin Alexandra Grubeck und dem Architekten Christian Heiss, der das DANIEL für die jetzige Bestimmung adaptierte, machte man sich auf die Suche nach einem einzigen Kunstwerk, einem Künstler oder Künstlerin, welche dem Haus einen markanten Stempel aufdrücken konnten. Und wurde bald fündig. Erwin Wurm war dem Hauseigentümer ein Begriff und an gegenseitiger Sympathie mangelte es schon nach kurzem Kennenlernen nicht. So verließ sich Weitzer auf Wurms Erfahrung und nahm dessen Vorschlag an, das Hausdach kurzerhand als Bootsanlegestelle der anderen Art zu begreifen.
Und diese Idee kann man getrost als genial bezeichnen. Vor allem dann, wenn man die Location als Bindeglied zwischen Belvedere und 21er Haus versteht, was sie ja tatsächlich ist. Von Kunst sozusagen umzingelt, steht ihr das Werk von Erwin Wurm ausgezeichnet, das der Hausherr auch als weit sichtbares Signum für eine andere urbane Herbergsidee bezeichnet. Die Arbeit „Misconceivable“, von der eine Auflage von insgesamt 3 Stück angedacht ist, wurde hier in Wien jedoch erst zum zweiten Mal verwirklicht. Ihr Zwillingsbruder ging im Skulpturenpark des Middelheim-Museums in Antwerpen vor Anker. In Wien war ein 30 Meter hoher Kran notwendig und die Mithilfe von 8 Männern, um sie sicher in ihrem jetzigen Hafen zu vertauen. Wer Lust dazu hat, kann sich Bilder der spektakulären Installierung auf dem Dach auf der Homepage der Firma „Kunsttrans“ ansehen, die sich um den Antransport des Schiffes kümmerte. Die Besonderheit – abgesehen von der luftigen Höhe, in der sich das Segelboot befindet – ist seine gekrümmte Form. Diese Organik, die Wurm wie selbstverständlich in ganz normale Gegenstände implantiert, ist zu einem seiner Markenzeichen geworden. Der „Telekinetically Bent VW Bus“, das „Fat Car“, das „Fat House“ oder der „Truck“ sind Vorgängerbeispiele die zeigen, dass der Künstler Undenkbares real werden lassen kann. Zufall oder nicht: Im benachbarten 21er Haus ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, in welcher Wurm mit einem kurzen Film vertreten ist. Und in diesem, 2008 entstandenenWerk mit dem Titel „tell“ zeigt er, wie leicht es doch geht, mit einem Pkw Hausmauern auf- und abzufahren. Da ist die Platzierung eines Segelbootes auf dem Flachdach eines denkmalgeschützten Hauses ja schier ein Kinderspiel.
Das Boot, dessen Bewegung – so hat es den Anschein – gerade in jenem Moment einfror, in welchem es sich vom Dach selbst in die Tiefe stürzen wollte, evoziert viele Fragen. Was es wiederum als „echten“ Wurm klassifiziert. Auf den ersten Blick kurios, kann es zum Lachen anregen. Bei längerer Betrachtung jedoch kann es schon passieren, dass sich Frage um Frage eröffnet, auf die es jedoch keine schlüssigen Antworten gibt. Was hat das Boot auf dem Hausdach zu tun und warum will es von dort offenbar mit aller Macht wieder herunter? Warum bewegen sich die Menschen am Boden völlig unbeeindruckt angesichts der von oben drohenden Masse? Weit und breit befindet sich kein Gewässer, warum hat sich das Segelschiff dann dieses Haus als Ankerplatz ausgesucht? Wird das Boot von Uneingeweihten als Kunstwerk identifiziert? Darf sich ein Kunstwerk überhaupt ein „Spaßmäntelchen“ umhängen?
Dass die Arbeit “Misconceivable“ als Glücksfall sowohl für Erwin Wurm als auch für Florian Weitzer angesehen werden kann ist offenkundig. Für einen Künstler gibt es nichts Besseres als die Sichtbarmachung des Werkes im öffentlichen – pardon, hier: privaten Raum. So wird es sicherlich, alleine schon durch die internationale Klientel, die Fotos und Videoaufnahmen machen wird, weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt werden. Und das wiederum schadet dem Hausbesitzer nicht, der sich auf diese Art und Weise auch vieler Seitenzugriffe und in Folge wahrscheinlich auch der einen oder anderen daraus resultierender Buchung sicher sein kann.
Eine Win-Win-Situation, wie es so schön heißt, bei der nicht einmal die Kunst zu kurz kommt. Und das ist ein Kunststück für sich.
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