Die Lila Pause

Wechseljahre Lila Pause

Es dauert lange, bis ich zum Arzt gehe. Mein Körper schnurrt seit über fünf Jahrzehnten brav vor sich hin. Die Geburten meiner Töchter habe ich ohne Rückenmarksspritze absolviert. Ich bin eine „ich horche erst mal in mich hinein“-Spezialistin, auch der alternativen Medizin fühle ich mich verbunden und wenn es gar nicht mehr geht, schmeiß ich ‘ne Ibu ein.

Aber dann.

Es begann mit einer gewissen Ängstlichkeit den ganz normalen Dingen des Lebens gegenüber. Ach ja, der gleichmäßige Stress, dachte ich, mach halt noch mehr Yoga und meditiere regelmäßig, geh früher schlafen. Die Angst zog als Untermieterin bei mir ein, es fühlte sich an, als würden in meinem Körper fiese Kobolde einen Hahn aufdrehen, aus dem intervallartig eine Chemie aus Sorge, Unsicherheit und Gereiztheit strömte. Nach einer Weile sprachen die Blicke meiner Töchter Bände. Über die freiverkäuflichen Passionsblume-Lavendel-Johanniskraut-Komplexmittel, die ich verzweifelt in immer höheren Dosen lutschte, lachten die Kobolde nur hämisch. Das war Phase 1 – sie dauerte ein ganzes Jahr.

Dann setzte die Phase 2 ein. Zu der nervlichen Anspannung und meinen sorgsam gepflegten Angst-Vermeidungs-Strategien gesellte sich eine zuverlässige Schlafstörung. Klapp! Jede Nacht, gegen 3 Uhr, schlug ich die Augen auf und war hellwach, aber nicht ausgeschlafen. Großartig in der Stille der Nacht zu liegen. Jetzt mutierte ich zum Gespenst. Denn der gesunde Schlaf war schon immer meine Rettung gewesen. Selbst während der Rushhour des Lebens mit greinenden Säuglingen, hoch fiebernden Kindern, Dispo-Fasching und Trennungs-Dramen war ein tiefer Schlaf stets mein bester Freund, mein Doktor, meine Akku-Station gewesen. Gewesen.

Ich wurde noch dünnhäutiger, weinte bei jeder passenden und auch unpassenden Gelegenheit. Und weil das alles noch nicht ausreichte mich endgültig in die Hysterie zu treiben, setzten schlagartig die sagenumworbenen Hitzewallungen ein. Die hatte ich bei meiner Mutter immer so verachtet. Die wollte ich nicht haben. Das hatte ich mir in meine Frauenbiografie mit großen Lettern eingemeißelt, ach Quatsch, es war ein in Lila leuchtendes Graffiti in der Größe der Elbphilharmonie: keine Hitzewallungen! Nicht ich. „Doch“, wisperten nachts die Kobolde, das Gespenst und die heiße Hexe. Nach nur wenigen Wochen fühlte ich mich als wäre ich von innen abgeschabt. War ich noch eine Frau? Nicht wirklich. Ich fühlte mich wesenlos, mein Esprit war verduftet und ich war tatsächlich bereit zu sterben. Das wäre gar nicht schlimm, fand ich, denn die transzendente Dimension fürchtete ich weniger als die nächste Nacht. Mein Rotweinkonsum wurde sportlich, „von nun an geht’s bergab“, summte ich den Knef-Klassiker.

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Dann begann der Ärzte- und Heilpraktiker-Reigen. In der Retrospektive, muss ich resümieren, war das leider keine Hilfe. Es kann nicht daran gelegen haben, dass ich in der jeweiligen Sprechstunde noch immer einen passablen Eindruck machte, denn ich hatte mich in ein Klageweib verwandelt. Ich hatte in wenigen Monaten sieben Kilo verloren und trug schwarze Halbmonde unter den Augen spazieren; mein einziger Trost war Schokoladenkuchen, den ich täglich in Kindergeburtstags-Portionen verdrückte. Meine besorgten Töchter kochten Gemüse für mich – total verdrehte Welt. Ich machte absolut kein Geheimnis aus meinem Dilemma, weder bei meiner Hausärztin, noch bei meinem Gynäkologen (der mich seit 21 Jahren kennt!), auch nicht bei meiner Heilpraktikerin, noch bei dem TCM-Meister. Ich bekam profane Ernährungs-Tipps (iss Avocado mit Spiegelei), Pillen aus sibirischem Rhabarber (die wirken in circa acht Wochen ... so viel Zeit hatte ich nicht mehr), eine Salbe aus Yams-Wurzel (unbedingt auf den Oberarm einreiben ... why?), Sepia-Tropfen (Tintenfisch gegen das Auflösungs-Gefühl) und den Rat, unter einem Baum stehend meine Schutzheiligen anzurufen. Ich hatte die Nummer verlegt.

Noch zynischer fand ich die Kommentare gleichaltriger Frauen, die mir eindringlich dazu rieten, die unausweichlichen Wechseljahre tapfer durchzustehen, schließlich sei das eine Transformation und gehöre zum Frausein dazu. Nach weiteren sehr langen Monaten fand ich mich in einer kalten Höhle aus Dogmen wieder. Die Emanzipation hörte offenbar zeitgleich mit der Menstruation auf. Dass mich diese evolutionsbiologischen Märtyrerinnen nicht Memme nannten, war wohl noch gnädig. Die Kobolde tanzten kichernd ums Feuer - die Hexe warf rechthaberisch noch etwas Reisig nach. Im Januar legte ich mich zur finalen lila Pause aufs Sofa. Egal, alles egal, dachte ich.

Und wie ein Aufblitzen im Jammertal fiel mir plötzlich eine alte Freundin ein die in Berlin als Hormonspezialistin arbeitet. Am nächsten Tag rief ich sie an und in wenigen Sätzen war mein Zustand zumindest ansatzweise analysiert. Einige Tage später zapfte sie mir gefühlte 20 Röhrchen Blut ab, ermahnte mich zur Mammografie zu gehen und verordnete mir Progesteron-Kapseln und ein Östrogen-Gel. Obendrein erklärte sie mir – angemessen humorvoll und zugewandt - das Zusammenspiel der Hormone, die Phase 1 (der Verlust des Progesterons: Unruhe und Angst) und die Phase 2 (das radikale Absinken des Östrogenspiegels: Schlafstörung und Hitze). Eben diese zwei Phasen, die sich zwei Jahre lang überdeutlich abgezeichnet, meinen Körper und meine Psyche in einen Ausnahmezustand versetzt hatten. Eigentlich kein Buch mit sieben Siegeln. Ein Zustand, den ich, aus ihrer Sicht, nicht zwingend durchleiden müsste, die Hormonersatz-Therapie sei immerhin ein optimal erforschter Weg. Nicht sibirischer Rhabarber. Nicht die Yams-Wurzel. Nicht Sepia Tropfen. Nicht Gott oder eine Avocado am Tag. Beim ersten Auftragen des Östrogen-Gels summte ich zuversichtlich eine Melodie. Die Progesteron-Kapsel schluckte ich mit positivem Schwung. „Bald geht es dir wieder richtig gut“, erinnerte ich die Worte meiner Freundin. „Du wirst dich nicht so fit wie eine 19-Jährige vor dem Eisprung fühlen, aber auf jeden Fall wie ausgewechselt.“ Ich konnte es kaum erwarten.

Nur wenige Tage nach der ersten Einnahme meines Hormon-Cocktails schlief ich tatsächlich die erste Nacht neun Stunden lang durch. Das kam für mich einem Wunder gleich. Menschen, die unter Schlafstörungen leiden oder gelitten haben, wissen wovon ich schreibe, dieses unbezahlbare und großartige Gefühl des ausgeschlafen seins. Und es hält an. Meine Nebenwirkungen sind bis dato: Appetit auf Sex und andere gesunde Sachen. Ich schmiede Pläne, renoviere meine Wohnung und bin jeden Tag dankbar für meine zurück gekehrte Unbekümmertheit. Und was das Großartigste ist: die Angst-Kobolde sind beschwichtigt, das Progesteron macht sie hübsch artig, sie halten die Klappe. Über die Risiken der Hormonersatz-Therapie wurde ich aufgeklärt; aber zurzeit bin ich einfach nur dankbar mich wieder als vollständiger Mensch fühlen zu dürfen. Die Nebenwirkungen der Lila Pause hätte ich vermutlich keinen weiteren Monat ertragen. Ich wäre einfach liegen geblieben. 

 Grün wie die Hoffnung - Autorin Steffi sieht wieder Positiv in die Zukunft

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