Die liebe Bürokratie & das liebe Gold (sogar etwas noch viel Besseres)

Lange, lange ist es her, dass ich diesen Blog mit einem Eintrag beglückt habe. Der Zeitmangel hat es sogar nach Sibirien geschafft. Dafür gibt es heute gleich zwei Punkte, die ich auf dieser Seite wissen möchte.

Erstens: Es gibt sie noch, die Bürokratie. Nach einem wochenlangen Dämmerschlaf gab sie in den letzten Tagen wieder kräftige Lebenszeichen von sich.

Ich habe Ende letzter Woche ein Multivisum beantragt. Mein derzeitiges Visum gilt nämlich nur bis Ende November; es ist ein Einwegprodukt: Ich darf Russland zwar verlassen, wollte ich aber wieder einreisen, bekäme ich ein „njet“ zu hören. Mit einem Multivisum sollte dies kein Problem mehr darstellen, dachte ich mir. Unbegrenzte Aus- und Einreisen, Gültigkeit bis Ende Juni – herrlich unkompliziert. Ich würde mich – abgesehen von Visaanträgen für meine Reiseziele – frei und einigermaßen spontan bewegen können, es schwirrten schon zahllose Pläne durch meinen Kopf; China, die Mongolei, ich wähnte alles in meinen Händen.

Was ich in meine Reisepläne nicht einbezog, war der Haken, der in zu einfach klingenden Chosen doch immer steckt. Es stellte sich heraus, dass ich – obwohl mit einem wohlklingenden Multivisum ausgestattet – nur eingeschränkt frei und spontan verreisen würde können. Konkret bedeutet dies, dass ich vor jeder Reise, die mich ins Ausland führt, bei der internationalen Abteilung der Universität vorstellig werden und die Daten der Ab- und Anreise nennen muss. Komme ich wieder zurück, muss ich sofort wieder dorthin, bekomme eine neue Registrierung für meinen Aufenthalt in Irkutsk und bin verpflichtet, eine bestimmte Pauschale für jeden Tag, den ich im Ausland war, zu bezahlen. Dieses erst seit Kurzem geltende Gesetz bringt selbst Einheimische zum Schmunzeln.

Was ich noch für das Multivisum benötigte, war ein AIDS-Test. Ich fuhr deshalb heute in die Poliklinik und ließ mir Blut abnehmen. Abgesehen davon unterzog ich mir noch einer Röntgen-, HNO- und Augenuntersuchung, sowie einer neurologischen und allgemeinen Visite. Um den hypochondrischen Beiklang aus dem Weg zu räumen: mein vierstündiger Ausflug in die Poliklinik fand nicht wirklich auf freiwilliger Basis statt; um im Studentenheim wohnen zu dürfen, braucht man all diese Untersuchungen. Gut, hierbei von „Untersuchungen“ zu sprechen, ist etwas übertrieben. Großteils handelt es sich um reine Formalitäten: „Mund-auf-Mund-zu“, „Haben Sie irgendwelche Beschwerden?“, Stempel auf das Formular gedrückt, „Vielen Dank und Aufwiedersehen“. Ein nur eingeschränkt nutzbringender Bürokratismus, also.

 

Zweitens: Ein Schwenk von der Stadt 70 Kilometer nach Südosten, an den Baikalsee. Dort ging vor einigen Wochen die Expedition „Mir“ zu Ende. Zwei Jahre lang waren zwei U-Boote im Baikalsee unterwegs. Dort suchte man nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, nach einer noch tieferen Stelle, nach verschwundenem Zarengold.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse wurden erlangt, eine noch tiefere Stelle im See wurde gefunden; das Zarengold, das nach der Oktoberrevolution 1917 spurlos verschwand und am Grund des Baikalsees vermutet wird, bleibt allerdings verschollen. Nichtsdestotrotz wurde wertvolle wissenschaftliche Arbeit zur Erforschung des Sees geleistet, dachte ich mir.

Eine Äußerung einer Professorin ließ aber meine Alarmglocken leise schrillen. Es soll auch eine neue und zukunftsträchtige Energiequelle gefunden worden sein: Gashydrat, eine Mischung aus Wasser und (viel) Gas, das sich unter hohem Druck und bei tiefen Temperaturen bildet. Eine Substanz, um ein Vielfaches wertvoller als Hunderte Tonnen von Zarengold. Umsonst und ohne Hintergedanken scheint das Engagement diverser Energiekonzerne bei der Finanzierung der Mission also nicht gewesen zu sein. Zumal es sich um eine Form von Gashydrat handelt, das direkt am Seeboden – ohne von einer Sedimentschicht bedeckt zu sein – lagert. Die beteiligten Wissenschaftler jedenfalls ließen verlauten, dass das im Baikalsee gefundene Gashydrat lediglich zu wissenschaflichen Untersuchungen verwendet werden würde und keinesfalls ein Abbau im Raum stehe. Dieses Mal vertraue ich wirklich auf die Vernunft.



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