Begebenheiten aus 48 Stunden Ulan-Ude. Erster Teil.

Zeit- und Rückenprobleme, viele Nadeln, Lenins Kopf, Lamas (nicht die Paarhufer aus den Anden) und Gespräche mit der burjatischen Intelligenzija: 48 Stunden können unglaublich ereignisreich sein.

Freitag, 00:48 Uhr. Ich, der Italiener, stehe mit einem Engländer, einer Französin und einer Tschechin im Irkutjaner Hauptbahnhof. Neben uns dösen aufgedunsene Köpfe schnaufend und schnarchend vor sich hin. Ich gähne, blicke voller Tatendrang auf die Anzeigetafel. 01:16 – Wladiwostok, steht dort. Noch eine knappe halbe Stunde und ich bin im Zug nach Ulan-Ude, denke ich mir, und die Gleisnummer, die wird auch noch aufscheinen.

01:00 Uhr. Ich, der Engländer, die Französin und die Tschechin stehen auf dem Bahnsteig. Die Gleisnummer, die wissen wir immer noch nicht. Ein wenig ratlos schwenke ich meinen Blick über Gleisstränge, Bahnsteige, Güterzüge und Anzeigetafeln.

01:05 Uhr. Wir stehen auf der Treppe zur Eingangshalle. D0ch die Anzeigetafel schweigt. „Fritz, kann es sein – „, sagt der Engländer und schaut mich erschrocken-grinsend an, „dass hier überall die Moskauer Zeit angegeben wird?“ Und da war er wieder, dieser mir wohlbekannte Moment, in dem es mir wie Schuppen von den Augen fällt, in dem mein Inneres laut „Nein“ schreit, um darauf „Das wusste ich doch!“ zu kreischen. „Genau“, antwortete ich, „verdammt.“

Als wäre ich ein totaler Russland-Anfänger. Natürlich fahren alle russischen Züge nach Moskauer Zeit. Egal, ob in St. Petersburg, Nowosibirsk, Irkutsk oder Wladiwostok – überall gilt die Moskauer Zeit; auf den Anzeigetafeln, auf den Uhren, auf den Tickets. An dieses Russland-Spezifikum hatte ich bei der Reisevorbereitung aus irgendwelchen mir bis jetzt unbegreiflichen Gründen nicht gedacht.

01:15 Uhr. Unser Zug fährt also erst in fünf Stunden ab. Gut. Wir wägen ab, was wir als nächstes tun. Zum Heim zurück zu fahren: sinnlos, ist es doch versperrt. Im Bahnhof zu schlafen: die einzige der ansonsten nicht vorhandenen Alternativen. Wieder blicke ich auf die aufgedunsenen, lärmend schlafenden Köpfe in der Bahnhofshalle. Naja, was soll’s, eine Nacht neben Obdachlosen soll auch zu meinen Russland-Erfahrungen gehören, denke ich mir.

5:30 Uhr. Mein Wecker klingelt. Wie bequem diese Kunstledercouch doch ist. Die Standby-Anzeige des großen LCD-Fernsehers in der Ecke leuchtet rot. Es ist dunkel, die Kronleuchter wurden vor zweieinhalb Stunden ausgeschaltet. Ich drehe mich noch einmal um und drehe die Musik lauter; das Schnarchen und Röcheln von anderen gestrandeten Passagieren höre ich immer noch. Egal, ich sitze sowieso bald im Zug.

Trotzdem sind sie erstklassig, die Ruhe- und Schlafsäle auf russischen Bahnhöfen. Wir harrten nicht in der Bahnhofshalle aus. Keine Nacht mit Obdachlosen; das hätte natürlich auch seinen Reiz gehabt. Stattdessen zahlten wir fünf Euro pro Kopf und betteten unsere Häupter auf die besagten Kunstledersofas.

6:16 Uhr. Als der Zug, aus dem westrussischen Pensa kommend und mit Ziel Wladiwostok, vom Irkutjaner Hauptbahnhof abfährt, schwinge ich mich gerade auf mein Klappbett. Es ist eng und kurz, meine Füße reichen noch ein Stück weit in den Korridor. Ich schlafe sofort ein.

Irgendwann. Ich wache auf, schaue aus dem Fenster. Bäume über Bäume sehe ich. Die Russin auf dem Klappbett unterhalb von mir schläft noch hörbar. Ich richte mich auf, mein Blick fällt durch das gegenüberliegende Fenster direkt auf eine dunkelblaue, in der Sonne glitzernde Fläche. Guten Morgen, Baikal. Die restliche Zeit verbringe ich gegenüber der Toilette, blicke aus dem Fenster und genieße die stundenlange Fahrt entlang des östlichen Baikalufers; ich sehe kleine Dörfer, Flüsse, schneebedeckte Berge, rauchende Fabrikschlote.

12:30 Uhr. Wir haben den Baikalsee hinter uns gelassen und fahren durch das Selenga-Tal weiter in Richtung Ulan-Ude. Auch hier ist es traumhaft schön, die Selenga schlängelt sich ausladend durch das breite Tal. Kaum vorstellbar, dass dieser Fluss für 60 Prozent der Gesamtverschmutzung des Baikalsees verantwortlich ist.

13:20 Uhr. Ulan-Ude, die Hauptstadt der Republik Burjatien. Sie begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein und Frost. Wir begrüßen sie mit einem „Hurra, endlich haben wir es geschafft“. Ulan-Ude, eine Stadt, die uns in Irkutsk als nicht besonders sehenswert beschrieben wurde; Ulan-Ude, eine Stadt, vor deren Bewohnern uns in Irkutsk gewarnt wurde – sie seien aggressiv, äußerst konservativ und Nicht-Burjaten oft nicht freundlich gesinnt. All dies sollte sich nicht bewahrheiten – ich hatte zugegebenermaßen auch nie daran geglaubt und ein großes Maß an Unkenntnis von Seiten derer, die solche Äußerungen getätigt hatten, dafür verantwortlich gemacht. Ignorantentum, das macht auch vor einigen russischen Professoren nicht Halt.

14:30 Uhr. Wir stehen auf dem zentralen Platz, dem Platz der Räte. Vor uns ragt die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit Ulan-Udes in den blauen Himmel: Ein fünf Meter hoher Kopf. Jener von Wladimir Iljitsch Uljanow. Lenin. Seinen Blick in die Ferne gerichtet steht er da, am Platz der Räte, eingerahmt von Amtsgebäuden der burjatischen Republik und jenes des russischen Geheimdienstes FSB. Ob Einbildung oder nicht, aber seine Augen scheinen leicht burjatisch-mongolische Züge zu haben. Mich schaudert es, als ich vor der großen Halb-Büste stehe und nach oben schaue. Gleichzeitig bin ich beeindruckt.

Was in Ulan-Ude noch auf mich wirkt, ist die Ruhe und die Entspanntheit, die von allem ausgeht. Keine Spur vom Irkutjaner Lärm. Der Verkehr ist weniger dicht als in Irkutsk, die Leute schlendern gemächlich durch die Stadt und die einzelnen schon eindeutig asiatischen Elemente üben einen zusätzlichen Reiz auf mich aus. In Ulan-Ude, so sagt man, hat man in Russland das erste Mal das Gefühl, nicht mehr in Europa, sondern in Asien zu sein. Gebäude mit burjatischen Verzierungen, buddhistische Tempel und die Burjaten und Burjatinnen an sich – all das erzeugt diesen Eindruck. Ja, Ulan-Ude, die Stadt am Zusammenfluss von Uda und Selenga, umgeben und erbaut auf Hügeln, sie gefällt.



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