Ach, es ist doch immer wieder schön, wenn etwas bleibt, wenn etwas über den Tag hinausreicht, wenn Dinge Gültigkeit behalten über die "Stunden hektischer Krisendiplomatie" (SZ) hinaus. Im Mai 2010, als eine endlose Kette von erfolgreichen Rettungsunternehmen für den "schwächelnden" (Spiegel) und manchmal auch "kriselnden" (FAZ) Euro seinen Anfang nahm, schilderte eine PPQ-Fernreportage die Dinge ein für alle Mal.
Wenig müsste heute begradigt werden, denn die Gesichter auf den Bildern aus den Fluren der Rettungskonferenzen sind dieselben wie damals, ebenso wie die Sprüche der Kommentatoren und die Ratschläge der Opposition dieselben sind. Verschwunden sind einzig und allein die sagenumwobenen "Spekulanten", denen Fachblätter wie die Süddeutsche Zeitung noch vor einem Jahr alle Schuld am griechischen Drama zugewiesen hatten. Zur Erinnerung an gewisse "ernste Attacken" aber, mit denen namenlose Europafeinde angeblich kaltherzig einen ganzen Kontinent bedrohten, soll auch diese Passage stehenbleiben. Bis zur nächsten Rettung jedenfalls, die nicht alnge auf sich warten lassen wird.
So muss Egon Krenz geschaut haben, als er gerade die Sozialistische Einheitspartei der DDR vor dem Untergang gerettet hatte. Auch Gorbatschow sah so aus, nachdem es ihm gelungen war, Mütterchen Rußland aus den Klauen von Bürokratie, Alkohol und Korruption zu reißen: Der Mund siegesgewiss verspannt, die Augen mutig zusammengekniffen, das Haar kampflustig verstrubbelt.
So treten auch Angela Merkel und Nikolas Sarkozy vor die Kameras, nachdem sie in "Stunden hektischer Krisendiplomatie retten konnten, was von der Idee Europa übrig ist. Wenn zuviel Gemeinsamkeit die europäische Einigkeit bedroht, braucht es noch mehr Gemeinsamkeit, um sie zu bewahren. Unbedingt noch bevor in der Nacht zum Montag die Börsen in Fernost öffnen, musste ein Rezept geschrieben werden für die Heilung dessen, was am Freitagmittag noch als kerngesundes Opfer dubioser Spekulanten ausgegeben wurde: Die Euro-Zone, vor zehn Jahren in einem politischen Großversuch zusammengekleistert, steht über Nacht im "Endspiel um den Euro", es geht "längst nicht mehr um die Griechen, es geht um den Euro als solchen" (FAZ), und damit um alles, was den Kontinent zusammenhält.
Problematisch bislang, dass die europäischen Regierungen jede "Krisenhilfe" vor ihrem jeweiligen Staatsvolk zu rechtfertigen haben. Kredite für Griechen wecken den Volkszorn und kosten Wählerstimmen, keine Kredite für Griechen führen in den Abgrund - und kosten Wählerstimmen. "In der Not", analysiert die FAZ, "opfert die Europäische Union heilige Prinzipien der Währungsunion". Natürlich fand sich - wie immer übers Wochenende - ein wunderbarer Ausweg: Die Anonymisierung der Krisenhilfe durch eine Verlegung der Kreditaufnahme in die Verantwortung der EU-Kommission, die keinem Wahlvolk Rechenschaft pflichtig ist.
"Die Teilnehmer des Sondergipfels waren sich einig, dass der Euro durch eine ernste Attacke von Spekulanten bedroht wird", schreibt die SZ in einem Anflug von Gemeinschaftseuphorie, "die Euro-Zone müsse sich mit einem Gemeinschaftsinstrument dagegen wehren", folgt das Blatt der klassischen Argumentationslinie, die schon Egon Krenz im Herbst 1989 mächtige anonyme Gegner hinter den zunehmenden "Angriffen des Feindes auf die DDR" (Krenz) hatte entdecken lassen. Die Fachbegriffe sind andere, der Satzbau ist derselbe: Der Gegner wolle "uns so eine zerstörerische Diskussion aufzwingen", meinte Krenz, sein Ziel sei, "dass der Sozialismus weltweit von seinem Kurs abgeht". "Es geht hier um eine weltweit organisierte Attacke gegen den Euro", findet der sieht das der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker zwei Jahrzehnte später nicht viel anders: "Wir sind der Auffassung, dass nicht nur Griechenland, Spanien, Portugal und Italien unter Angriff stehen, sondern die gesamte Eurozone bedroht wird."
Schon mit der Beschreibung einer "ernsten Attacke" wird das Thermometer fürs Fieber verantwortlich gemacht: Gab es Spekulation bisher erfolgreich nur dort, wo es etwas zu spekulieren gibt, wird jetzt so getan, als sei Spekulation der einzige Grund für Spekulation. So als zeige erhöhte Temperatur auf dem Fieberthermometer keine Krankheit, sondern die dringende Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes aller Ärzte, Pfleger und Gesundheitspolitiker gegen die Thermometerindustrie.
Noch ehe das Bundesverfassungsgericht eine endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit der Griechenland-Hilfen getroffen hat, ist das Urteil obsolet geworden. "Die EU-Kommission selbst wird in Zukunft Geld am Kapitalmarkt aufnehmen können, um Ländern in Not zu helfen - mit einer expliziten Garantie der Mitgliedstaaten", heißt es bei dpa. Bürgen dürfen dabei weiter die Mitgliedsstaaten und deren Steuerzahler, verantworten müssen deren gewählte Volksvertreter die Kreditaufnahmen nicht mehr.
Noch mäkelt die SZ "griechische, portugiesische und spanische Staatsanleihen sind die Subprime-Kredite 2010", denn "die global eng vernetzten Banken und Börsen" hätten "überhaupt nichts gelernt". Aber bald richtet sich die EU-Kommission eine EU-eigene Ratingagentur ein, in der dann altgediente Politiker die von ihren noch aktiven Kollegen ausgegebenen Staatsanleihen endlich "objektiv" bewerten werden. Auch Papiere aus Griechenland werden dann endlich wieder etwas wert sein.