Vor zehn Jahren wurde der Abschlußbericht der Hartz-Kommission übergeben – Über die geheimen Netzwerke hinter den Arbeitsmarktreformen
„… Schon immer war auffällig, daß diejenigen, die die damaligen Vorgänge erforschen, weniger auf die Analyse von öffentlich zugänglichen Dokumenten zurückgreifen konnten, sondern auf die Auswertung von Insiderinformationen, meist anonymisierte Interviews mit Akteuren der damaligen Zeit, angewiesen waren. Diese Untersuchungen sind inzwischen ergänzt durch die Arbeit von Anke Hassel und Christof Schiller1, die wiederum Insider interviewt haben, die mit zunehmendem zeitlichen Abstand auch immer unbefangener geplaudert haben. Hassel absolvierte 2003/2004 einen Forschungsaufenthalt in der Leitungs- und Planungsabteilung des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit unter Wolfgang Clement, wo sie eigentlich an einer Analyse der Grenzen deutscher Reformkapazität arbeiten wollte. Ihre Beobachtungen zur Entstehung von Hartz IV haben sie jedoch von der »Reformfähigkeit« des deutschen Sozialstaats und insbesondere der Ministerialbürokratie überzeugt. Sie betrachtet die Vorgänge allerdings weniger kritisch aus demokratischer, rechtsstaatlicher oder gar sozialer Sicht, sondern mit einer gewissen Faszination für das strategische Arbeiten der Bürokratie, wo sie einen neuen Typ politischer Unternehmer erkennt, also aus einer Elitenperspektive. Jetzt ist sie Professorin für Public Policy an der privaten Hertie School of Governance in Berlin und dort Kollegin von Jobst Fiedler, der 2004 zum Professor für Public and Financial Management ernannt wurde und als Mitglied der Hartz-Kommission noch in Diensten der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants stand.
…Speziell Hartz IV sowie die verbliebene Restarbeitslosenversicherung und Restsozialhilfe haben wir nicht in erster Linie der Hartz-Kommission oder gar dem Namensgeber Peter Hartz persönlich zu verdanken, sondern einer geheimen Staatsaktion, einer recht undemokratischen, handstreichartigen Hintergrundarbeit aus dem Bundesarbeitsministerium (BMA) und dem Bundeskanzleramt – einverständlich koordiniert und gelenkt durch die Bertelsmann Stiftung.
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Die »Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe« war für sie von Anfang an die Chiffre für die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, erheblichen Leistungsabbau in der Arbeitslosenversicherung und ein neues System einer rechtloseren Sozialhilfe, die nicht mehr dem Ziel der Schaffung menschenwürdiger Lebens- und Arbeitsverhältnisse verpflichtet ist – was letztlich auch einer Abschaffung der bisherigen Sozialhilfe gleichkam. Die damals durchaus vorhandenen Schwachstellen bei der Verwaltung von Leistungen für Erwerbslose hätte man auch ohne eine Systemänderung beheben können. Konzeptionell zwingend war die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe nur für diejenigen, die den Druck auf arbeitserfahrene, deshalb oft selbstbewußtere und etwas teurere Arbeitslose verschärfen wollten.
Daß ausgerechnet die Servicewüste Jobcenter – in der Dokumente und Akten unauffindbar sind, Mitarbeiter verheizt werden und wechseln wie im Taubenschlag, sich ohne Telefonnummer im »Back-office« verschanzen und unlesbare Bescheide verschicken müssen, und wo aus den unterschiedlichsten Gründen inzwischen eigentlich auf beiden Seiten des Schreibtisches Begleitschutz organisiert werden muß – vor zehn Jahren unter dem Stichwort: »Moderne Dienstleistungen« der staunenden Bevölkerung empfohlen wurde, war schon ein Coup der Unternehmensberaterbranche, der sich mit feinem Gespür für das Machbare auf wehrlose Arbeitslose konzentriert hat. …“
Quelle und gesamter Text: http://www.jungewelt.de/2012/08-16/022.php