Die Geschichte einer unbekannten Dame - Die wahre Armut

Die Geschichte einer unbekannten Dame - Die wahre Armut

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"Nimm ein Kind an die Hand und lass dich führen, betrachte die Steine, die es aufhebt, und  lausche und hör aufmerksam zu, was es dir erzählt und es wird dich in eine Welt entführen, die du schon längst vergessen hast."
UnbekannterAutor

Ihr Lieben,

heute möchte ich Euch die Geschichte einer unbekannten Dame erzählen:
"Die wahre Armut"

„Nie vergaß ich diesen einen Ausflug im Herbst, zu dem unser Vater meine drei Geschwister und mich mitnahm. Damals muss ich so zehn Jahre alt gewesen sein und wir fuhren hinaus aufs Land.

Denn unser Vater wollte, wie er sagte, uns einmal zeigen, wie arm Menschen sein können. So verbrachten wir einen ganzen Tag auf einem - für unsere Verhältnisse – sehr ärmlichen Bauernhof. Vor allem erinnere ich mich daran, dass wir vier Kinder noch nie zuvor ein Plumsklo gesehen, geschweige denn benutzt hatten! Auf dem Bauernhof befand es sich gleich hinter dem Schweinestall und mein jüngster Bruder war davon so beeindruckt, dass es sofort zurücklief, um es uns Geschwistern zu zeigen. Aber dann ging es zu der Bauernfamilie aufs Feld.
Die Feldarbeit war schwer, zumal wir es gar nicht gewohnt waren, so lange gebeugt Runkelrüben aus dem Boden zu ziehen ... Reihe um Reihe. Mittags ging es zum Hof zurück und es gab deftige Hausmannskost auf Suppentellern am einfachen Küchentisch, so ganz ohne Servietten und Tischdecke, ganz anders, als es bei uns daheim üblich war. Gleich nach dem Essen ging es mit den Bauersleuten wieder aufs Feld hinaus. Abends waren wir vier Stadtkinder müde, aber stolz, bei der Rübenernte mit der Bauernfamilie halbwegs mitgehalten zu haben.
Spät abends kehrten wir von unserem Ausflug aufs Land nach Hause zurück. Da fragte uns unser Vater: "Nun, Kinder, wie war der Ausflug?" Worauf wir Kinder einstimmig riefen: "Ach, Vati, das war so schön dort!" Unser Vater sah uns etwas verwundert an, hatte er doch eine ganz andere Antwort erwartet. So fragte er uns: "Habt ihr denn gar nicht gesehen, wie arm diese Bauernfamilie war?" "Ja, das schon!", antworteten meine Geschwister und ich so einstimmig und so einig wie nie zuvor. "Ja, aber was habt ihr denn daraus gelernt?", wollte unser Vater wissen.
Da antwortete ich: "Vati, wir dürfen hier zu Hause keinen Hund haben, aber dort auf dem Bauernhof hatten sie eine Hündin und fünf dieser süßen Welpen."Mein mittlerer Bruder sagte: "Wir haben einen Goldfischteich im Garten, aber auf dem Land haben sie den Bach, der in den Fluss und von dort weit, weit bis ins Meer fließt."
Meine ältere Schwester schaute in die Dämmerung hinaus. "Wir hängen nur für Feste Lampions im Garten auf, aber auf dem Bauernhof haben sie jede Nacht die vielen Sterne.
Unsere Terrasse reicht nur bis zum Garten, aber sie haben den großen weiten Himmel über sich."
Traurig sagte unser Jüngster: "Vati, die Bauernkinder sehen ihren Vater viel öfter als wir dich. Morgens dürfen wir dich nicht stören und abends kommst du oft erst heim, wenn ich schon schlafe." Und dann schluchzte er auf: "Vati, ich wusste gar nicht, wie arm wir sind."
Die alte Dame blickte leise schmunzelnd auf: "Muss ich noch sagen, dass unser Vater dastand und sprachlos war?"
Ihr Lieben,

diese Geschichte kennen wahrscheinlich bereits viele von Euch in einer kürzeren Fassung.Ich liebe diese längere Fassung, weil sie mich in manchen Passagen an einen meiner Großväter erinnert, der Bauer im Hessischen war und bei dem ich manche schöne Ferien verleben durfte.
Er konnte mir zwar nicht dabei helfen, dem Horror und Grauen meiner Kindheit und Jugend zu entgehen, aber die Ferien bei ihm auf dem Bauernhof waren für mich Inseln des Glücks, in denen ich Kraft schöpfen und meine kleine Seele sich erholen konnte.
Ich weiß noch, wenn ich bei ihm reiten oder Trecker fahren durfte, welch großes inneres Glück mich erfüllte, auch wenn ich erst 12 Jahre alt war.
Ich weiß noch, wie gut die selbst gemolkene Milch schmeckte und wie gut ich abends schlief, wenn ich auf dem Feld bei der Heuernte geholfen hatte.
Niemals in meinem Leben haben mir die mit frischer Wurst belegten Brote und die aus Sirup hergestellte Erdbeer- oder Himbeerlimonade so gut geschmeckt wie damals, wenn wir während der Heuernte eine Pause machten. Und zum Abschluss des Tages durfte ich dann hoch oben auf dem Heuwagen mit nach Hause fahren!
Zu diesen Zeiten können und wollen wir nicht mehr zurück, aber wir können dennoch unseren Kindern und Enkelkindern die Schönheiten der Natur vermitteln.
Wir sollten uns für unsere Kinder und Enkelkinder Zeit nehmen und mit ihnen auf Abenteuertour gehen. Lasst Euch von Ihnen einmal führen, verharrt mit ihnen bei der Schönheit eines glitzernden Steines, lasst wie früher die flachen Steine über das Wasser hüpfen und legt Euch im Sommer zusammen mit Euren Kindern und Enkelkindern ins grüne Gras und beobachtet den Himmel und die vorüberfliegenden Vögel.
Diese Stunden werden zu unvergesslichen Stunden für Eure Kinder und Enkelkinder und für Euch und zeigen Euch und Euren Kindern und Enkelkindern den wahren Reichtum dieses Lebens.
Ihr Lieben,

ich wünsche Euch ein erlebnisreiches Wochenende und ich grüße Euch alle ganz herzlich aus dem sonnigen Bremen.
Euer fröhlicher Werner

Die Geschichte einer unbekannten Dame - Die wahre Armut

Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt


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