Quelle: Rotbuch
Wenn nun dieser Tage Joseph Ratzinger seinen Pileolus an den Nagel hängt, dann verlässt einer die Bühne, die er innerkirchlich als reformfreudiger junger Mann betreten hatte. Im Fahrwasser des Vaticanum II sprach er sich für eine transparente Kurie aus und stand der Öffnung des Katholizismus, wie es dem damaligen Papst Johannes XXIII. vorschwebte, recht aufgeschlossen gegenüber. Mit Abgabe des Fischerrings geht schließlich ein Ratzinger ab, der von seiner damaligen Offenheit nichts mehr an sich hatte, teils reaktionär und teils einfach nur verstockt an der Starrheit seiner Kirche festhielt.Leute, die Positionen aufgeben, um das glatte Gegenteil zu verkündigen, gibt es in jeder Haltung, in jeder Weltanschauung. Vielleicht aber hat keine so viele Abweichler erdulden müssen wie die politische Linke. Heute zumal. Marco Carini hat ein Buch über diese Renegaten geschrieben. Die Achse der Abtrünnigen: Über den Bruch mit der Linken hat er es genannt.
Carini spannt darin einen weiten Bogen. Das Renegatentum hatte zu jeder Zeit andere Motive und zeitigte letztlich auch immer andere Folgen. Er beginnt mit den ersten Abweichlern, die sich dank Stalin und etwas später aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes abwandten und kommt dann zu den Abtrünnigen im Dickicht des Kalten Krieges, schwenkt sodann auf die Wechsel innerhalb der deutsch-deutschen Beziehung hinüber, um danach einige aktuelle Zeitgenossen abzuhandeln. Grüße an Broder und Fleischhauer. Zuletzt handelt er allerlei Thesen der Linken und Gegenthesen der Renegaten ab.
Schrecklich unaufgeregt und neutral wittert Carini den Folgen der Abweichung nach - und er beschreibt, wie die Renegaten selbst mit ihrem Überlaufen umgingen. Für manche war der Sozialismus zu einen Gesellschaftsentwurf geworden, den man ausrotten sollte - andere glaubten, dass mit dem Stalinismus die eigentliche Idee derart pervertiert wurde, dass eine Reform grundlegend nötig wäre oder aber gar nicht mehr denkbar. Sie nannten sich weiterhin Sozialisten, auch wenn sie nicht mehr im Sozialismus lebten, sondern rübermachten. Insofern wurden sie zu ungeliebten Mitbürgern hüben wie drüben, zu Grenzgängern zwischen den Ideologien.
Die Renegatenliteratur ist ein breites Spektrum. Es reicht von Bekenntnissen und Erweckungsrufen, die einem Augustinus alle Ehre machen, von Eingeständnissen der Verfehlung und der Einsicht, nun endlich wieder klar zu sehen, bis hin zur gnadenlosen Abrechnung mit jenem Dschugaschwili, der den real existierenden Sozialismus mit Arbeitslagern und Säuberungen ausstattete und ins Verbrechen und damit ins Absurde rutschen ließ. Die Thesen der Renegaten wurden immer auch von denen aufgegriffen, die Interesse daran hatten, ihre Ablehnung für die politische Linke von solchen untermauern zu lassen, die Einblicke in diese Linke hatten, von jenen Abtrünnigen eben. Dem deutschen Faschismus dienten die Anti-Stalinisten als Beleg für die Rückständigkeit der Moskowiter Steppenmenschen; für die Kalten Krieger des Westens waren sie der Beleg dafür, grundlegend unfehlbar zu sein - die Bundesrepublik lauschte den Berichten der Enttäuschten Ostdeutschlands mit Wonne. Und die heutigen Ex-Linken, die meist nicht mehr als reine Befindlichkeitskonservative sind, ohne irgendeinen Stalinismus je erlebt zu haben, der ihre Abneigung nach Links erklärbar und nachvollziehbar machen könnte, werden als Prediger des Neokonservatismus und Neoliberalismus rekrutiert.
Carini liefert Biographien verschiedenster Renegaten. Die einen sind Überläufer - Röhl beispielsweise. Die anderen nicht so richtig - Havemann. Die einen sind sofort gegen das, wofür sie unmittelbar vorher noch waren - Giordano zum Beispiel. Andere brauchen länger für diesen Wandel - Biermann. Manche wandeln sich nie, sondern fühlen sich als die richtigen Sozialisten, die den falschen Sozialisten nun aus der Ferne die Leviten lesen - so wie Heym. Manche eigneten sich blendend, um gegen die politische Linke in Stellung gebracht zu werden - Buber-Neumann sei hier genannt. Und andere werden auch von den Linkenhassern nicht verehrt, als sie zum Renegaten wurden - Bahro.
Es ist ein kurzweiliger und informativer Streifzug durch die Geschichte der Abweichler, die ja eben nicht alle abwichen, sondern fanden, dass der real existierende Sozialismus die Abweichung war. Carini bietet da einen spannenden und beileibe nicht trocken lesbaren Einblick in die Geschichte der politischen Linken.
Gerhard Schröder und Joschka Fischer, und dies sei nun zum Abschluss gesagt, werden im Buch nicht genannt. Wahrscheinlich konnte Marco Carini am Ex-Juso und am Ex-Sponti nichts Linkes in der Vergangenheit finden. Mal am Tor zum Bundeskanzleramt zu rütteln oder unpolitischen Krawall mit Pflastersteinen zu machen, reicht nicht aus, um als Linker in Betracht zu kommen. Da ist der scheidende Papst ihnen voraus - der hat sich wenigstens verändert, wenn auch nicht ins Gute; der Koch und sein Kellner, wie sich diese Macht- und Männerfreundschaft zwischen 1998 und 2005 mal nannte, blieben immer wie sie vorher schon waren.
Die Achse der Abtrünnigen: Über den Bruch mit der Linken von Marco Carini ist im Rotbuch Verlag erschienen.