Die Einflußsphären der USA vs. die Einflußsphäre Rußlands.Amerika spricht empört: "He, was bildest du dir ein!"
Fortsetzung von Teil 1
Die Putin-Rede vom 18. März
Der Wutausbruch von Samantha Powers ist nur die Nachwirkung einer anderen, vergangenen Epoche. "Danke, daß ich nicht länger in einem besiegten Land lebe" schrieb denn auch die russische Journalistin Uljana Skojbeda. Zwei Dekaden der Demütigung und Einkreisung Rußlands gehören der Vergangenheit an. Die endgültige Unterwerfung und Zerstückelung des Landes, über die manche im Westen seit über hundert Jahren phantasieren, ist erneut nicht gelungen und wird, daran besteht kein Zweifel, auch in Zukunft nicht gelingen.
Am 18. März, zwei Tage nach dem Referendum auf der Krim und in Sewastopol, hat Präsident Putin eine überaus wichtige Rede gehalten (hier auf Deutsch), deren Lektüre sich lohnt. Sie wird, ebenso wie seine Ansprache auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, in die Geschichte eingehen. Anstatt ernsthaft auf die von ihm vorgetragenen Bedenken einzugehen, wurde ihm seinerzeit im Westen vorgeworfen, "gepoltert" zu haben. Rußland hätte sich wieder an den Katzentisch zu begeben und die Herrscher der Welt machen zu lassen.
Doch jetzt zu seiner jüngsten Rede. Zunächst ein ausführlicher Blick in die Geschichte, auf die Versuche, die russischen Bürger zu ukrainifizieren und auf die chaotische Lage, die seit zwei Jahrzehnten in der Ukraine herrscht. Unter anderem:
Dagegen helfen weder Schnappatmung noch Sanktionen, denn Volk und Regierung sind sich, wie alle Meinungsumfragen belegen, einig und die realen Fähigkeiten der RF sind weitaus besser als es sich der Westen jahrzehntelang eingeredet hat. Mit Staunen blicken z.B. US-Offiziere auf die Handlungen des rußländischen Militärs und der örtlichen Selbstverteidigungskräfte auf der Krim. Diese Schnelligkeit, Präzision, Geheimhaltung und Professionalität, verbunden mit praktisch keinen Verlusten, hätten sie nicht erwartet. Das steht schon in krassem Gegensatz zur Blutspur der NATO.
Das Budapester Memorandum
Der Rußländischen Föderation ist vorgeworfen worden, sie hätte durch die Aufnahme der Republik Krim in ihren Staatsverband das sog. Budapester Memorandum aus dem Jahre 1994 verletzt. Allerdings ist dieses Memorandum kein völkerrechtlicher Vertrag und von keinem der Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden, nicht einmal von der Ukraine selbst. Folglich ist es rechtlich nicht bindend - genau so unverbindlich, wie die 1990 gemachten Zusagen der NATO-Staaten, das Militärbündnis nicht nach Osten erweitern zu wollen.
Ein solches unverbindliches Dokument ist zudem nicht fähig, das in mehreren völkerrechtlichen Verträgen wie der UN-Charta und dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker auszuhebeln. Das würde auch gelten, falls das Memorandum tatsächlich ein Vertrag wäre. Einige Beispiele: Im Jahre 1975 wurde die Schlußakte von Helsinki u.a. von der DDR, der Tschechoslowakei und Jugoslawien unterzeichnet. Keines dieser ehemaligen Völkerrechtssubjekte existiert heute noch, obwohl sie zahlreiche internationale Verträge geschlossen hatten. Die Geschichte ist über diese Staaten hinweggegangen.
Ferner sollten sich jene Staaten, die einen angeblichen Völkerrechtsverstoß durch Rußland behaupten, an die eigene Nase fassen. Denn sie selbst haben das Memorandum verletzt, indem sie einen Staatsstreich initiierten, was eine Verletzung der Souveränität der Ukraine war.
(Des weiteren ist es absurd, wenn in diesem Kontext behauptet wird, die Ukraine habe 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet. Das Land hatte zu keinem Zeitpunkt eigene Atomwaffen. Nach der Auflösung der UdSSR unterstanden alle strategischen Streitkräfte der RF. Es waren also lediglich rußländische Atomwaffen zeitweise auf ukrainischem Staatsgebiet stationiert. Eine andere Lösung hätten die USA und ihre "Partner" seinerzeit auch gar nicht zugelassen.)
Diplomatieunfähigkeit
Gäbe es in der EU heute einen Bismarck, dann wäre die Ukraine-Krise schon einer Lösung, vergleichbar etwa dem Berliner Kongreß von 1878, zugeführt worden. Stattdessen gebärden sich USA und EU kompromißlos und bestehen weiterhin auf ihrer Vormachtstellung, der sich Rußland und die Einwohner der Südostukraine zu fügen hätten. Sie sehen die Ukraine als Beute an, die sie sich von Rußland nicht wegnehmen lassen wollen. In der deutschen Presse war im Zusammenhang mit den verhängten Sanktionen wörtlich davon die Rede, die RF müsse "bestraft" werden. D.h. Kanzlerin Merkel wird nicht nur als Regierungschefin der BRD, sondern als oberste Richterin Europas gesehen, deren Verdikt sich alle unterordnen müssen. Diese irreale Wahrnehmung gibt es auch in den USA. Was gut für Amerika ist, ist gut für die Welt.
Die daraus folgende Selbstüberschätzung führt freilich zu einer strukturellen Dilomatieunfähigkeit des Westens. Denn er kann nicht verhandeln, sondern nur diktieren; in anderen Staaten sieht er weniger Verhandlungspartner als vielmehr Befehlsempfänger, deren Wohl und Wehe allein von seiner Gnade abhängt. Dieser Ansatz ist heute endgültig gescheitert. Doch es fällt den politischen Eliten in der EU und Nordamerika sehr schwer, dies einzusehen. Vielfach dominieren auch heute noch überlebte Vorstellungen einer hierarchischen, unipolaren Weltordnung. Doch je mehr sich die Welt weiterentwickelt und je wichtiger Asien und Lateinamerika werden, desto stärker wird der Westen weiter an Bedeutung verlieren. Von einer westlichen Dominanz kann schon heute keine Rede mehr sein. Die multipolare Welt ist kein Wunschtraum, sondern Realität. Es wird Zeit, daß sich unsere Außenministerien daran gewöhnen.
(Die Diplomatieunfähigkeit ist im Syrienkonflikt ebenfalls deutlich zu Tage getreten. Während das Moskauer Außenministerium unermüdlich sowohl mit der Regierung in Damaskus als auch mit Vertretern der verschiedenen Oppositionsgruppen verhandelt hat, war aus dem Westen immer nur die Forderung "Assad muß weg" zu hören. Daß man damit angesichts des Rückhaltes, den Assad nach wie vor in seinem Land genießt, keinen Erfolg haben konnte, ist mittlerweile offenkundig. Zudem hat sich der Westen nun ein neues Islamistenproblem geschaffen, welches auf ihn selbst zurückfallen wird.)
Zudem hat die EU, wie die letzten Wochen gezeigt haben, nunmehr fast jegliche Eigenständigkeit auf der internationalen Bühne aufgegeben und ist zu einem Anhängsel der USA geworden. Washington wird sich darüber freuen, viele Europäer hingegen nicht.
Die Krim zwischen der Ukraine und Rußland. Merkel spricht: "Verfluchte Barbaren! In der zivilisierten Welt entscheidet der schwarze Herrscher darüber, wer mit wem zusammenlebt."
Neuer Gaskonflikt
Unterdesssen ist das Kiewer Regime erneut auf Konfrontationskurs gegangen. Ein Rada-Abgeordneter hatte letzte Woche stolz verkündet, er brauche die russische Sprache nur, um Gefangene zu vernehmen. Doch am letzten Freitag weilte eine Delegation des ukrainischen Gasversorgers Naftogas in Moskau und die Unterredungen wurden selbstverständlich in russischer Sprache geführt. Naftogas hat nicht nur mitgeteilt, daß die geschuldeten Zahlungen für bereits erbrachte Gaslieferungen in Höhe von aktuell 2 Milliarden US-Dollar nicht geleistet werden können. Nein, man wollte darüber hinaus von Rußland einen weiteren Kredit über 2 bis 3 Milliarden USD erhalten - Rückzahlung völlig ungewiß.
Dann hat Jazenjuk stolz verkündet, daß er kein Erdgas mehr aus der RF beziehen wolle, weil der neue Preis zu hoch sei. Außerdem sollen vorerst keine Gasschulden beglichen werden. Stattdessen soll die EU, insbesondere die Slowakei, einspringen. Nach dem Willen Kiews soll rußländisches Erdgas, welches die Slowakei bezieht, in die Ukraine zurückgeleitet werden.
Das stößt zum einen auf technische Schwierigkeiten, denn es ist fraglich, inwieweit dafür die Pipelines, die für den Gastransport nach Westen gedacht sind, genutzt werden können. Deswegen hat gestern die slowakische Regierung die Junta in Kiew schon der Lüge bezichtigt. Die Sloawkei sei mitnichten bereit, sofort Erdgas zur Verfügung zu stellen. Man könne dies zwar tun und beginne schon mit einigen Vorbereitungen, doch müsse zunächst geklärt werden, wer die technischen Maßnahmen finanziert. Ferner möge Kiew darlegen, wie es denn für das aus der Slowakei bezogene Gas bezahlen wolle, Geschenke gebe es nicht. Und drittens dürfte das gesamte Rückleitungskonstrukt an Rechtsproblemen scheitern, denn in den Verträgen zwischen Gasprom und seinen Geschäftspartnern in der EU ist ein Weiterverkauf des aus Rußland bezogenen Erdgases ausgeschlossen.
Nun beklagen sich die Putschisten darüber, daß der seit dem 1. April geltende Preis von Gasprom zu viel hoch sei, deutlich höher als die für die EU-Staaten geltenden Preise. Insofern dürfen drei wichtige ASpekte nicht vergessen werden. Erstens ergibt sich die Berechnung des Preises aus dem 2009 geschlossenen Vertrag, an dessen Aushandlung u.a. Julia Timoschenko beteiligt war. Zweitens haben Energieversorgungsunternehmen aus der EU selbst Geld in Rußland investiert, es existieren zahlreiche gemeinsame Projekte wie etwa die North-Stream-Pipeline durch die Ostsee. Und drittens bezahlen die Abnehmer in der EU regelmäßig ihre Rechnungen, ohne öffentlich angemahnt werden zu müssen. Das ist wie auf dem Kreditmarkt: Je höher das Ausfallrisiko, desto höher der Preis (bzw. die Zinsen), damit überhaupt ein bißchen Geld in die Kasse kommt, sofern der Kunde ausnahmsweise einmal liquide ist.
Und weil das neue Regime in Kiew seinen eigenen Verlautbarungen zufolge keinen Wert auf ein gutes Verhältnis zu Rußland legt, hat Moskau auch keinen Grund mehr, aufgrund brüderlicher Gefühle das von der Ukraine verbrauchte Erdgas zu subventionieren. Dies um so mehr, als 50 % der Aktien von Gasprom nicht dem Staat, sondern privaten Aktionären gehören, darunter auch ausländische Teilhaber. Diese Privatpersonen können weder von den USA noch von der EU dazu verpflichtet werden, die ukrainische Wirtschaft zu fördern.
Zudem darf nicht vergessen werden, daß Rußland durch seine Kredite in den vergangenen Monaten die Ukraine vor dem totalen finanziellen Kollaps bewahrt hat, was auch von der IWF-Chefin Lagarde ausdrücklich gewürdigt wurde. (Soviel zum Märchen, die bösen Russen wollten die armen Ukrainer versklaven.) Währenddessen haben die westlichen Regierungen, die den Staatsstreich aktiv gefördert haben, ihren Vasallen in Kiew bis jetzt noch keine nennenswerte Finanzhilfe zur Verfügung gestellt. Das ist ein weiteres Paradoxon der gegenwärtigen Lage!
Gleichwohl hat Präsident Putin am Freitag betont, daß Gasprom der Ukraine nicht das Gas "abdrehen" werde. Trotzdem müßten sich nun die EU-Mitgliedsstaaten bewegen und rasch mit Rußland und anderen Staaten zu einer Konferenz zusammentreten, damit die Ukraine vor dem vollständigen ökonomischen Chaos bewahrt werde. Trotzdem wird die Ukraine ab sofort nur noch soviel Erdgas erhalten, wie sie tatsächlich bezahlt hat, sprich: Lieferung per Vorkasse. Auch das ist eine durchaus marktübliche Praxis.
(Mehr zum Thema Erdgas hier und hier.)
Vorschläge Rußlands und die aktuelle Situation
Die rußländische Regierung hat zur Lösung der Ukraine-Krise folgende Vorschläge unterbreitet:
1. Durchführung von Volksabstimmungen in allen Regionen des Landes über den zukünftigen Status der jeweiligen Region. D.h. Regionen, die sich vom ukrainischen Gesamtstaat lösen wollen, können das auf geordnete und zivilisierte Weise tun. Oder, wenn sie in der Ukraine verbleiben wollen, können die Bürger für einen Übergang des Landes zu einer föderalen Staatsordnung votieren.
2. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, welche dazu führen soll, daß die strukturellen innenpolitischen Probleme, Blockaden, Schlägereien im Parlament usw., die es während der letzten 23 Jahre ständig gab, aufhören. Danach soll die neue Verfassung ebenfalls in einem Referendum bestätigt werden.
3. Die neue Verfassung sollte folgendes beinhalten: Festschreibung der Rechte der nichtukrainischen Bevölkerungsteile (insbesondere staatlicher Status der russischen Sprache); sehr weitgehende Föderalisierung des Landes, damit die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nach ihren eigenen Vorstellungen leben können und keine die andere dominiert oder gar unterdrückt; wie bisher, so soll auch zukünftig die Blockfreiheit der Ukraine verfassungsrechtlich abgesichert sein (also kein Beitritt zur NATO).
4. Nach Verabschiedung der neuen Verfassung Neuwahlen für alle Staatsorgane, damit diese wieder eine zweifelsfreie demokratische Legitimation erhalten. Eine isolierte Neuwahl des nach der Verfassung von 2004 (die jetzt angeblich wieder gelten soll) weitgehend machtlosen Präsidenten am 25. Mai sei hingegen sinnlos.
Das sind angesichts der derzeitigen Lage in der Ukraine sehr vernünftige Ansätze. Bemerkenswert ist, daß der angebliche "Unrechtsstaat" Rußland auf der Durchführung von Volksabstimmungen besteht, während die sog. "Demokratien" des "freien Westens" solche Abstimmungen nicht zulassen wollen, sondern darauf beharren, daß der von ihnen initiierte Putsch legal und legitim sei.
Leider haben Vertreter der Putschisten diese Vorschläge schon weitgehend zurückgewiesen. Aber immerhin deutet sich jetzt das langsame Aufkeimen einer gewissen Verhandlungsbereitschaft an, denn nächste Woche soll in der Schweiz eine erste Konferenz mit der Teilnahme des Kiewer Regimes, der USA, der EU und Rußlands beginnen. Moskau besteht zudem darauf, daß auch Vertreter der Südostukraine an den Verhandlungen teilnehmen, denn die Junta repräsentiere nur die Bürger der West- und Zentralukraine. Man wird sehen, wie dieses Spiel in den nächsten Tagen weitergehen wird.
Die aktuellen Ereignisse in Donezk und Lugansk haben heute dazu geführt, daß "Premierminister" Jazenjuk überraschend nach Donezk gereist ist. Dort hat er sich zwar mit einigen Politikern und Oligarchen aus der Region getroffen, doch Vertreter der Aufständischen waren nicht darunter. Jazenjuk selbst hat dort zwar auch Russisch gesprochen und diverse Versprechungen gemacht (ein landesweites Referendum war nicht darunter), doch ist der Mann bekannt dafür, daß sich seine Meinung sehr schnell ändern kann. (Das hat er mit Steinmeier gemein.) Die Bürger der Südostukraine sind jedenfalls skeptisch und in den beiden Städten denkt niemand ans Aufgeben, solange keine substanziellen Zusagen auf dem Tisch liegen.
Auch heute war in der Obersten Rada wieder die Rede von "Erschießungen" und anderen Gewaltakten gegen die Einwohner von Donezk und Lugansk. Die Anhänger der "europäischen Integration" leiden offenbar unter besonderen Gewaltphantasien. Allerdings rennt ihnen die Zeit davon. Gestern hat die Spezialeinheit "Alfa" des SBU sich geweigert, die besetzten Verwaltungsgebäude zu stürmen. Zwanzig Prozent der Polizeibeamten in Donezk haben bereits den Dienst quittiert, ein Teil ist zu den Aufständischen übergegangen. Der Junta fehlt es zunehmend an qualifiziertem Personal zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen. In der Armee sieht es noch schlechter aus. Schlecht ausgerüstet, schlecht versorgt und mit einem Kampfgeist, der in vielen Einheiten gegen Null geht. Kaum ein Soldat ist bereit, gegen seine Mitbürger vorzugehen oder gegen Rußland Krieg zu führen, aller Propaganda der westukrainischen Nationalisten zum Trotz.
Realistischerweise haben die Putschisten im Prinzip nur noch zwei Optionen: Entweder stimmen sie den von den Bürgern der Südostukraine sowie Rußland erhobenen Forderungen zu. Dann kann die Krise einigermaßen friedlich gelöst werden, auch wenn sich einige Regionen in den Referenden für ein Ausscheiden aus dem ukrainischen Staat aussprechen sollten. Oder aber sie verbauen sich diesen Weg und schlagen den Aufstand gewaltsam nieder. Doch einem Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung der Südostukraine, wie ihn manche Vertreter der Putschisten offen fordern, wird die RF nicht tatenlos zusehen. Mithin käme es dann zum Einmarsch rußländischer Truppen.
Egal für welche Option sie sich entscheiden, die Junta hat durch ihre eigene Politik und gestützt auf ihre ausländischen Sponsoren, den ukrainischen Staat in seiner bisherigen Form und Gestalt zerstört. Und zwar endgültig. Daran können auch die Verrenkungen westlicher Politiker nichts mehr ändern.
Obama bei seinem Psychologen. Er phantasiert: "Russische Panzer auf der Krim! Russische Panzer auf der Krim!" Sein Arzt sagt: "Was für reichhaltige Halluzinationen! Irak, Libyen und Afghanistan haben ihn nicht krank gemacht."
Innere Probleme der Putschisten
Man könnte vielleicht meinen, die Lage in der West- und Zentralukraine, wo sich die politische Basis der Usurpatoren befindet, wäre ruhiger. Doch dem ist nicht so. z.B. wurde diese Woche in Lwow das Gebäude der Staatsanwaltschaft von Demonstranten gestürmt.
In Kiew gab es dieser Tage erneut Demonstrationen, diesmal gegen die Finanz- und Sozialpolitik der "Regierung". Um die Sparvorgaben des IWF zu erfüllen, wurden nicht nur Renten, Stipendien für Studenten und andere Leistungen gekürzt, sondern es wird auch massiv Personal im öffentlichen Dienst abgebaut. Allein im Geschäftsbereich des Innenministeriums 80.000 Stellen, in den sozialen Diensten müssen 18.000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Usw. usf. D.h. daß in den nächsten Wochen hunderttausende Bürger der Ukraine ohne Beschäftigung und damit ohne Geld dastehen werden. Auch die Industrie hat Probleme, z.T. aufgrund der selbstverordneten Embargopolitik gegenüber Rußland.
Zugleich sind in Kiew und anderen Städten immer noch "Aktivisten" des "Euromaidan" versammelt, leben in ihren Zeltlagern und führen paramilitärische Übungen durch. Zugleich schimpfen sie offen darüber, daß sie kein Geld mehr bekommen, weil die neuen Machthaber sie nur benutzt haben, um sich selbst in Amt und Würden zu bringen. Jetzt fühlen sich die Maidan-Kämpfer fallengelassen, weil man ihrer nicht mehr bedarf. Die Oligarchen wollen auch sie nicht an der Macht sehen.
Man kombiniere diese beiden Faktoren und stelle sich vor, was in Kiew in einigen Wochen geschehen könnte. Nämlich neue, diesmal echte soziale Unruhen, getragen von verarmten Bürgern, Rentnern, Studenten und erfahrenen Maidan-Kämpfern, die dann wieder ein Ziel haben. Auch insofern befinden sich die Putschisten also in einer gewissen Zeitnot.
Es könnte sogar zu einem Szenario kommen, was aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich erscheint: Bürger aus der West- und Zentralukraine sowie aus der Südostukraine schließen sich zusammen, um das derzeitige Regime zu verjagen und teilen danach ihren Staat auf.
Jedenfalls dürfte sich der Einfluß der Vaterlandspartei und Timoschenko und Jazenjuk demnächst stark verringern. In den Umfragen für die Präsidentenwahl liegt der Oligarch Poroschenko von der Parteu Udar (Klitschko) deutlich vor der Oligarchin Timoschenko. Der drohende Einflußverlust könnte die Timoschenko-Fraktion zu drastischen Maßnahmen verleiten, um länger an der Macht zu bleiben. Eine solche Maßnahme könnte die Anzettelung eines internationalen Konflikts sein, zumal sich diese Partei der besonderen Förderung der USA erfreut.
Neuer Konfliktherd Transnistrien und Auswirkungen auf die GUS
Abschließend soll noch ein Blick in die Weiten Eurasiens geworfen werden. Aktuell hat sich ein neuer Konfliktherd in Transnistrien aufgetan. Das Gebiet hatte sich Anfang der 1990er Jahre von Moldawien abgespalten und lebte seither de facto selbständig, war jedoch von keinem anderen Staat anerkannt worden (siehe auch hier). Doch jetzt haben die ukrainischen Putschisten und Moldawien de facto eine Blockade über Transnistrien verhängt. Die Grenze zur Ukraine ist geschlossen. Das steigert natürlich die Spannungen und die Regierung Transnistriens hat deshalb schon mit dem Gedanken gespielt, ebenfalls der Rußländischen Föderation beitreten zu wollen. Auch andere Regionen Moldawiens sind vom Pro-EU-Kurs ihrer Regierung nicht begeistert und würden lieber der Zollunion beitreten.
Hier dürfte sich in den nächsten Monaten noch weiterer Konfliktstoff ergeben. Ein neuer Berliner Kongreß wäre möglicherweise dazu fähig, auch diesen bisher "eingefrorenen" Konflikt einer endgültigen Lösung, welche die Zustimmung der betroffenen Bürger findet, zuzuführen. Doch dafür fehlt den heutigen deutschen Diplomaten leider das Format.
Die Auswirkungen des "Euromaidans" auf die übrigen GUS-Staaten könnten ganz anders sein, als von Brüssel und Washington erhofft. So etwa in Aserbaidshan. Dort verhandelt man zwar noch mit der EU über ein Assoziierungsabkommen. Zudem befindet sich die Erdöl- und Erdgasförderung fest in westlicher Hand. Dennoch sind die ökonomischen Beziehungen an Rußland nach wie vor eng, nicht zuletzt durch den Export von Arbeitskräften. Spätestens seit dem Libyen-Krieg sollte man sich jedoch auch in Baku vor den angriffslustigen Westlern fürchten. Zwar hatte Ghaddafi den Wahlkampf des französischen Präsidenten Sarkozy finanziert, doch hat ihn das nicht vor dem Angriff der NATO bewahrt.
Ergo könnte sich Aserbaidshan stärker als bisher in Richtung Moskau orientieren. Denn die oben auszugsweise zitierte Rede Wladimir Putins vom 18. März enthielt eine verklausulierte Sicherheitsgarantie für die GUS-Staaten: Rußland wird, sofern von den Einheimischen gewünscht, nicht einfach zusehen, wie ihnen von außen mit Gewalt Standards aufgezwungen werden, die nicht ihrer Lebensweise, Kultur und Tradition entsprechen. Das dürfte das Ende der "farbigen Revolutionen" bedeuten.
Dies könnte für Georgien ebenfalls ein Grund sein, sich künftig wieder etwas stärker an die RF anzulehnen. Zwar scheint der politische Konsens in Georgien, unabhängig von den jeweils an der Macht befindlichen Parteien, recht eindeutig auf eine Integration in EU und NATO hinzudeuten. Doch ist die innenpolitische Lage im Augenblick ähnlich der Ukraine 2010: Im vergangenen Jahr ist Michail Saakaschwili von seinem Volk abgewählt worden. Kurz danach tauchte er in Kiew auf, um bei einer neuen Revolution mitzuwirken. Nach Auskunft georgischer Militärkreise waren vier Scharfschützen aus Georgien, die früher zu Saakaschwilis Leibwächtern gehört hatten, in Kiew am Massaker des 20. Februar beteiligt.
Zudem ist Saakaschwili ein eindeutiger Agent der USA, die sich mit seiner Abwahl wohl nicht abfinden können. Der Ex-Präsident ist in ein Ermittlungsverfahren involviert, in dem es um die Tötung eines Politikers während seiner Amtszeit geht. Er weigert sich jedoch, nach Tiflis zu reisen, um dort mit den Ermittlern zu sprechen. Zudem wurden in der georgischen Hauptstadt bereits Emissäre aus der Ukraine festgestellt. Deshalb geht man in Tiflis davon aus, daß dort in den nächsten Monaten nach den Kommunalwahlen der nächste "Maidan" angezettelt werden könnte, der das Ziel verfolgt, Saakaschwili wieder an die Macht zu bringen. Sicher kein beruhigendes Szenario für die gewählte Regierung.
Ansonsten steht die Republik Belarus ganz oben auf der Abschußliste des Westens. Doch erscheint das Land, anders als die Ukraine, zu gefestigt, als daß es einem ähnlichen Angriff erliegen würde. Die Phantasie mancher westlicher Politiker, einen Maidan auf dem Roten Platz in Moskau anzuzetteln, ist ähnlich absurd. Zwar plant die marginale, aus dem Ausland unterstützte "außersystemische Opposition" schon wieder große Auftritte. Doch ihr Ansehen in der Bevölkerung geht mittlerweile gegen Null. Nawalnyj, auf den noch vor einigen Monaten viele ausländische Beobachter große Hoffnungen gesetzt hatten, ist nach seiner Mitwirkung bei der Ausarbeitung der US-Sanktionen gegen die RF politisch tot.
Resümee
So haben sich der "Euromaidan", die Unruhen und der Putsch in Kiew bereits jetzt zum Eigentor für die auswärtigen Sponsoren in den USA und der EU entwickelt. Die erhoffte Beute in Form der Ukraine werden sie nicht einfahren können. Entsprechend groß ist der Katzenjammer etwa in Polen, das schon angekündigt hat, eine dritte ukrainische Revolution nach 2004 und 2014 nicht unterstützen zu wollen. Und die Ausweitung der "Revolutionen" auf andere GUS-Staaten wird wohl nahezu zwangsläufig dazu führen, daß sich diese wieder enger an Rußland anschließen - also genau das tun, was durch die ganzen Manöver eigentlich verhindert werden sollte. In Gestalt der Zollunion, der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft und der OVKS stehen geeignete Instrumente für diesen Prozeß zur Verfügung.
Die einzigen, die von dem stärkeren Chaos in Eurasien profitieren könnten, sind die Vereinigten Staaten von Amerika. im Sinne ihrer Strategie von der "Verwaltung des Chaos" könnten sie sowohl Rußland als auch die EU gewissermaßen in Schach halten und damit ihren eigenen Abstieg hinauszögern. Fragt sich nur, ob die EU und ihre Bürger die ihnen in Washington zugedachte Rolle spielen wollen.
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Am 18. März, zwei Tage nach dem Referendum auf der Krim und in Sewastopol, hat Präsident Putin eine überaus wichtige Rede gehalten (hier auf Deutsch), deren Lektüre sich lohnt. Sie wird, ebenso wie seine Ansprache auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007, in die Geschichte eingehen. Anstatt ernsthaft auf die von ihm vorgetragenen Bedenken einzugehen, wurde ihm seinerzeit im Westen vorgeworfen, "gepoltert" zu haben. Rußland hätte sich wieder an den Katzentisch zu begeben und die Herrscher der Welt machen zu lassen.
Doch jetzt zu seiner jüngsten Rede. Zunächst ein ausführlicher Blick in die Geschichte, auf die Versuche, die russischen Bürger zu ukrainifizieren und auf die chaotische Lage, die seit zwei Jahrzehnten in der Ukraine herrscht. Unter anderem:
"Millionen von Russen gingen in einem Land schlafen, und wachten hinter einer Grenze auf; sie wurden in einem Augenblick zu einer nationalen Minderheit in den ehemaligen Sowjetrepubliken, und das russische Volk wurde damals zum größten geteilten Volk der Welt.Dann geht Putin auf den Staatsstreich vom 22. Februar 2014 und dessen gewaltsame Folgen für die Ukraine im Allgemeinen und für die Krim im Besonderen ein. Wichtig war hier vor allem das erneute Zugehen auf die Krimtataren, denn die Ukraine hat es in den 23 Jahren ihrer Unabhängigkeit nicht geschafft, dieses Volk zu rehabilitieren und seine Lage substanziell zu verbessern. Das Programm des Präsidenten ist der Gegenentwurf zur gegenwärtigen Ukraine, wo es nur noch eine Amtssprache gibt:
Heute, viele Jahre später, hörte ich, wie die Einwohner der Krim sagten, dass sie damals, 1991, wie ein Sack Kartoffeln einfach aus den einen Händen in andere übergeben wurden. Es ist schwer, dem zu widersprechen. Der russische Staat tat was? Er senkte sein Haupt und fand sich damit ab, schluckte diese Beleidigung. Unser Land befand sich damals in einer kritischen Lage, es konnte einfach nicht für seine Interessen einstehen. Doch die Menschen konnten sich mit dieser himmelschreienden historischen Ungerechtigkeit nicht abfinden. All diese Jahre haben sowohl die Bürger, als auch viele Persönlichkeiten der Gesellschaft dieses Thema oft angesprochen, indem sie sagten, dass die Krim seit jeher russische Erde sei, und Sewastopol eine russische Stadt. Ja, wir haben all das gut verstanden und im Herzen und in der Seele nachfühlen können, aber man musste von den Gegebenheiten ausgehen und nun auf einer neuen Grundlage gutnachbarliche Beziehungen mit der unabhängigen Ukraine aufbauen. Die Beziehungen zur Ukraine, mit dem ukrainischen Brudervolk waren und bleiben für uns höchst wichtig – ganz ohne Übertreibung."
"Übrigens sind von den 2.200.000 Einwohnern der Krim heute fast anderthalb Millionen Russen, 350.000 Ukrainer, die überwiegend die russische Sprache als ihre Muttersprache betrachten, sowie ungefähr 290-300.000 Krimtataren, ein bedeutender Teil derer, wie das Referendum gezeigt hat, sich ebenfalls in Richtung Russland orientiert.Dann folgt eine juristische Analyse:
Ja, es gab eine Zeit, als man den Krimtataren, wie auch anderen Völkerschaften der UdSSR gegenüber mit Härte und Ungerechtigkeit aufgetreten ist. Ich will eines sagen: Millionen von Menschen verschiedener Nationalitäten wurden Opfer der damaligen Repressionen, vor allem natürlich auch Russen. Die Krimtataren sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt. Ich bin der Ansicht, dass es notwendig ist, alle politischen und rechtlichen Schritte dazu zu unternehmen, die Rehabilitation der Krimtataren zu vollenden und ihren guten Namen in vollem Umfang wiederherzustellen.
Wir achten Vertreter aller Nationalitäten, die auf der Krim leben. Das ist ihr gemeinsames Haus, ihre kleine Heimat, und es wäre sicher richtig – denn ich weiß, dass die Einwohner der Krim das unterstützen – gäbe es dort nebeneinander drei gleichberechtigte Landessprachen: Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch."
"Bei der Unabhängigkeitserklärung und der Ausrufung eines Referendums hat der Oberste Rat der Krim sich auf die UN-Charta berufen, in der davon die Rede ist, dass eine Nation über Selbstbestimmungsrecht verfügt. Übrigens hat die Ukraine selbst sich textlich fast identisch darauf berufen, als sie aus der UdSSR ausschied – das sei angemerkt. Die Ukraine nahm dieses Recht für sich in Anspruch, und den Bewohnern der Krim wird es verwehrt. Aus welchem Grund?Dann geht der Präsident auf die Entwicklung der Weltordnung und die Position Rußlands in dieser ein:
Außerdem stützte sich die Regierung der Krim auf den bekannten Präzedenzfall mit Kosovo, ein Präzedenzfall, den unsere westlichen Partner selbst geschaffen haben, quasi mit eigenen Händen, und zwar in einer Lage, die der in der Krim ganz analog ist; man erklärte die Trennung des Kosovo von Serbien für legitim und versuchte die Beweisführung, dass es keines Einverständnisses der Zentralmacht für solche unilateralen Unabhängigkeitserklärungen bedürfe. Der Internationale Gerichtshof der UN hat auf Grundlage von Artikel 1 Punkt 2 der UN-Charta sein Einverständnis damit erklärt und in seiner Entscheidung am 22. Juli 2010 folgendes erklärt. Ich zitiere wörtlich: „Es besteht kein allgemeines Verbot einseitiger Unabhängigkeitserklärungen, das aus der Praxis des Sicherheitsrates resultieren würde“ – und weiter: „Das allgemeine Völkerrecht beinhaltet keinerlei anwendbares Verbot von Unabhängigkeitserklärungen“. Wie man so schön sagt, alles glasklar.
Ich mag es nicht besonders, Zitate anzubringen, aber kann doch nicht davon absehen, noch einen Auszug aus einem offiziellen Dokument zu bringen, diesmal ist das ein schriftliches Memorandum der USA vom 17. April 2009, das diesem Internationalen Gerichtshof im Zusammenhang mit der Anhörung zu Kosovo vorgelegt wurde. Wieder Zitat: „Unabhängigkeitserklärungen können, wie das auch häufig passiert, das innere Recht verletzen. Aber das bedeutet nicht, dass dadurch das Völkerrecht verletzt wird“. Zitat Ende. Sie haben es selbst geschrieben, der ganzen Welt verkündet, alles zurechtgebogen, und nun regen sie sich auf. Worüber denn? Das, was die Bewohner der Krim tun, passt exakt in diese Instruktion – eine solche ist es ja faktisch. Das, was die Albaner im Kosovo (denen wir mit Achtung begegnen) dürfen, wird den Russen, Ukrainern und Krimtataren auf der Krim verwehrt. Wieder die Frage: Warum?
Von genau den gleichen – von den Vereinigten Staaten und von Europa – hören wir, dass Kosovo angeblich ein Sonderfall gewesen sei. Worin besteht denn das Besondere nach Meinung unserer Kollegen? Es stellt sich heraus, dass es darin besteht, dass es im Verlauf des Kosovokonflikts viele menschliche Opfer gegeben hat. Was ist das denn – ein juristisches Argument? In der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs ist davon überhaupt keine Rede. Wissen Sie, das sind schon nicht einmal mehr doppelte Standards. Das ist ein frappierend primitiver und unverhohlener Zynismus. Es kann doch nicht sein, dass man alles so grob für seine Interessen zurechtbiegt, ein und dieselbe Sache heute „schwarz“ und morgen „weiß“ nennt. Denn soll daraus etwa folgen, dass man einen jeden Konflikt bis zu menschlichen Opfern vorantreiben muss?"
"Im Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine spiegelt sich all das, was derzeit, aber auch bereits in den vergangenen Jahrzehnten in der Welt passiert. Nach dem Verschwinden der bipolaren Welt ist diese Welt nicht etwa stabiler geworden. Wichtige und internationale Institutionen erstarken nicht, im Gegenteil, häufig ist es so, dass sie an Bedeutung verlieren. Unsere westlichen Partner, allen voran die Vereinigten Staaten, ziehen es vor, in ihrer praktischen Politik nicht vom Völkerrecht, sondern vom Recht des Stärkeren Gebrauch zu machen. Sie glauben an ihre Erwähltheit und Exklusivität, daran, dass sie die Geschicke der Welt lenken dürfen und daran, dass immer nur sie allein Recht haben können. Sie handeln so, wie es ihnen einfällt: mal hier, mal da wenden sie Gewalt gegen souveräne Staaten an, bilden Koalitionen nach dem Prinzip „wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“. Um ihren Aggressionen das Mäntelchen der Rechtmäßigkeit zu verleihen, erwirken sie entsprechende Resolutionen bei internationalen Organisationen, und wenn das aus irgendeinem Grunde nicht gelingt, dann ignorieren sie sowohl den UN-Sicherheitsrat, als auch die UNO als Ganzes. [...]
Es gab auch eine ganze Serie an gesteuerten „farbigen“ Revolutionen. Es ist klar, dass die Menschen in den Ländern, in denen sie passierten, müde waren von der Tyrannei, von der Armut, von der Perspektivlosigkeit, doch diese Gefühle wurden zynisch ausgenutzt. Diesen Ländern wurden Standards aufgezwungen, die in keinerlei Weise den Lebensweisen, den Traditionen oder der Kultur dieser Völker entsprachen. Im Endeffekt herrscht anstelle von Demokratie und Freiheit das Chaos, Gewalt und eine Abfolge an Staatsstreichen. Der „Arabische Frühling“ wurde zum „Arabischen Winter“.
Ein ähnliches Szenario kam in der Ukraine zur Anwendung. Im Jahr 2004 erfand man eine von der Verfassung nicht vorgesehene dritte Runde bei den Präsidentschaftswahlen, um den genehmen Kandidaten damit durchzubringen. Das ist ein Absurdum und ein Hohn gegenüber der Verfassung. Jetzt wurde eine vorab ausgebildete, gut ausgerüstete Armee aus bewaffneten Radikalen in das Szenario eingebracht.
Wir verstehen sehr gut, was hier abläuft, wir wissen, dass diese Aktionen sowohl gegen die Ukraine, als auch gegen Russland gerichtet waren, ebenso auch gegen eine Integration im eurasischen Raum. Und das während einer Zeit, in der Russland aufrichtig um Dialog mit unseren Kollegen im Westen bemüht war. Wir schlagen ständig Kooperation in Schlüsselfragen vor, wir wollen das gegenseitige Vertrauen fördern, wir wünschen, dass unsere Beziehungen auf Augenhöhe stattfinden, dass sie offen und ehrlich seien. Aber wir sehen keinerlei Entgegenkommen.
Im Gegenteil, wir wurden Mal ums Mal betrogen, es wurden Entscheidungen hinter unserem Rücken getroffen, man stellte uns vor vollendete Tatsachen. So war es mit der NATO-Osterweiterung, mit der Installation von militärischer Infrastruktur an unseren Grenzen. Uns wurde immer ein und dasselbe erzählt: „Na, das hat nichts mit euch zu tun.“ Es ist leicht gesagt, es habe nichts mit uns zu tun.
So war es auch mit der Entfaltung der Raketenabwehrsysteme. Ungeachtet all unserer Befürchtungen bewegt sich die Maschinerie vorwärts. So war es auch mit dem endlosen In-die-Länge-Ziehen der Verhandlungen zu Fragen der Visafreiheit, mit den Versprechen eines ehrlichen Wettbewerbs und eines freien Zugangs zu den globalen Märkten. [...]Dann geht es um die Rolle der NATO:
Kurz, wir haben allen Grund zu der Annahme, dass die sprichwörtliche Eindämmungspolitik gegen Russland, die sowohl im 18., im 19. und im 20. Jahrhundert betrieben wurde, auch heute noch fortgeführt wird. Man versucht ständig, uns in irgendeine Ecke zu drängen, und zwar dafür, dass wir eine unabhängige Position vertreten, dafür, dass wir diese verteidigen, und dafür, dass wir die Dinge beim Namen nennen und nicht heucheln. Im Falle der Ukraine haben unsere westlichen Partner eine Grenze überschritten, handelten grob, verantwortungslos und unprofessionell.
Sie waren doch ausgezeichnet im Bilde darüber, dass sowohl in der Ukraine, als auch auf der Krim Millionen russischer Menschen leben. Wie sehr muss man denn politisches Feingefühl und Augenmaß eingebüßt haben, um die Folgen seiner Handlungen nicht vorauszusehen? Russland ist an eine Grenze gelangt, hinter die es nicht mehr zurück konnte. Wenn man eine Feder bis zum Anschlag zusammendrückt, wird sie sich irgendwann einmal mit Gewalt ausspannen. Dessen sollte man immer gewahr sein.
Heute ist es notwendig, die Hysterie abzustellen, die Rhetorik aus Zeiten des Kalten Kriegs zu beenden und eine offensichtliche Sache anzuerkennen: Russland ist ein selbständiger, aktiver Faktor der internationalen Gemeinschaft, es hat, wie andere Länder auch, nationale Interessen, die man berücksichtigen und achten muss."
"Ich möchte ebenso daran erinnern, dass es in Kiew bereits schon Erklärungen über einen Beitritt der Ukraine zur NATO gegeben hat. Was würde diese Perspektive für die Krim und Sewastopol bedeuten? Es würde bedeuten, das in einer Stadt der russischen militärischen Ehre die NATO-Flagge weht, dass es eine Bedrohung für den gesamten Süden Russlands gäbe – keine vorübergehende, sondern eine ganz konkrete. Alles, was hätte passieren können, ist eben das, was hätte passieren können, gäbe es die Wahl der Bewohner der Krim nicht. Dafür sei ihnen großer Dank.Und auch die geplanten Gegenschläge des Westens werden bedacht:
Übrigens sind wir nicht gegen eine Zusammenarbeit mit der NATO, ganz und gar nicht. Wir sind dagegen, dass eine Militärallianz – und die NATO ist und bleibt bei allen internen Prozessen immer noch eine Militärallianz – vor unserem Zaun, an unserem Haus und auf unseren historischen Territorien das Sagen hätte. Wisst ihr, ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass wir nach Sewastopol zu Besuch bei NATO-Seeleuten fahren. Sie sind übrigens überwiegend ganz wunderbare Jungs, aber sollen sie lieber nach Sewastopol zu uns zu Besuch kommen, als wir zu ihnen."
"Wir werden es mit Sicherheit auch mit äußeren Gegenmanövern zu tun bekommen, doch wir müssen für uns selbst entscheiden, ob wir dazu bereit sind, unsere nationalen Interessen konsequent zu verteidigen, oder ob wir sie mehr und mehr aufgeben und uns wer weiß wohin zurückziehen. Manche westliche Politiker schrecken uns bereits nicht nur mit Sanktionen, sondern auch mit der Perspektive einer Verschärfung der inneren Probleme. Es wäre interessant zu erfahren, was sie damit meinen: Aktivitäten einer gewissen „Fünften Kolonne“ – also verschiedener „Vaterlandsverräter“ – oder rechnen sie damit, dass sie die soziale und wirtschaftliche Lage Russlands verschlechtern können und damit eine Unzufriedenheit der Menschen hervorrufen? Wir betrachten solche Verlautbarungen als unverantwortlich und offen aggressiv, und werden entsprechend darauf reagieren. Dabei werden wir selbst niemals nach einer Konfrontation mit unseren Partnern – weder in Ost, noch in West – streben; ganz im Gegenteil, wir werden alles Notwendige unternehmen, um zivilisierte, gutnachbarliche Beziehungen aufzubauen, so, wie es sich in der heutigen Welt gehört."Die Zeit der Demütigung und des Rückzugs ist für Rußland vorbei. Nationale (Sicherheits-)Interessen werden nicht nur formuliert, sondern auch verteidigt. Eine Unterwerfung unter einseitig vom Westen gemachte Regeln wird es nicht mehr geben. Zusammenarbeit sehr gerne, aber keine Subordination.
Dagegen helfen weder Schnappatmung noch Sanktionen, denn Volk und Regierung sind sich, wie alle Meinungsumfragen belegen, einig und die realen Fähigkeiten der RF sind weitaus besser als es sich der Westen jahrzehntelang eingeredet hat. Mit Staunen blicken z.B. US-Offiziere auf die Handlungen des rußländischen Militärs und der örtlichen Selbstverteidigungskräfte auf der Krim. Diese Schnelligkeit, Präzision, Geheimhaltung und Professionalität, verbunden mit praktisch keinen Verlusten, hätten sie nicht erwartet. Das steht schon in krassem Gegensatz zur Blutspur der NATO.
Das Budapester Memorandum
Der Rußländischen Föderation ist vorgeworfen worden, sie hätte durch die Aufnahme der Republik Krim in ihren Staatsverband das sog. Budapester Memorandum aus dem Jahre 1994 verletzt. Allerdings ist dieses Memorandum kein völkerrechtlicher Vertrag und von keinem der Unterzeichnerstaaten ratifiziert worden, nicht einmal von der Ukraine selbst. Folglich ist es rechtlich nicht bindend - genau so unverbindlich, wie die 1990 gemachten Zusagen der NATO-Staaten, das Militärbündnis nicht nach Osten erweitern zu wollen.
Ein solches unverbindliches Dokument ist zudem nicht fähig, das in mehreren völkerrechtlichen Verträgen wie der UN-Charta und dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker auszuhebeln. Das würde auch gelten, falls das Memorandum tatsächlich ein Vertrag wäre. Einige Beispiele: Im Jahre 1975 wurde die Schlußakte von Helsinki u.a. von der DDR, der Tschechoslowakei und Jugoslawien unterzeichnet. Keines dieser ehemaligen Völkerrechtssubjekte existiert heute noch, obwohl sie zahlreiche internationale Verträge geschlossen hatten. Die Geschichte ist über diese Staaten hinweggegangen.
Ferner sollten sich jene Staaten, die einen angeblichen Völkerrechtsverstoß durch Rußland behaupten, an die eigene Nase fassen. Denn sie selbst haben das Memorandum verletzt, indem sie einen Staatsstreich initiierten, was eine Verletzung der Souveränität der Ukraine war.
(Des weiteren ist es absurd, wenn in diesem Kontext behauptet wird, die Ukraine habe 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet. Das Land hatte zu keinem Zeitpunkt eigene Atomwaffen. Nach der Auflösung der UdSSR unterstanden alle strategischen Streitkräfte der RF. Es waren also lediglich rußländische Atomwaffen zeitweise auf ukrainischem Staatsgebiet stationiert. Eine andere Lösung hätten die USA und ihre "Partner" seinerzeit auch gar nicht zugelassen.)
Diplomatieunfähigkeit
Gäbe es in der EU heute einen Bismarck, dann wäre die Ukraine-Krise schon einer Lösung, vergleichbar etwa dem Berliner Kongreß von 1878, zugeführt worden. Stattdessen gebärden sich USA und EU kompromißlos und bestehen weiterhin auf ihrer Vormachtstellung, der sich Rußland und die Einwohner der Südostukraine zu fügen hätten. Sie sehen die Ukraine als Beute an, die sie sich von Rußland nicht wegnehmen lassen wollen. In der deutschen Presse war im Zusammenhang mit den verhängten Sanktionen wörtlich davon die Rede, die RF müsse "bestraft" werden. D.h. Kanzlerin Merkel wird nicht nur als Regierungschefin der BRD, sondern als oberste Richterin Europas gesehen, deren Verdikt sich alle unterordnen müssen. Diese irreale Wahrnehmung gibt es auch in den USA. Was gut für Amerika ist, ist gut für die Welt.
Die daraus folgende Selbstüberschätzung führt freilich zu einer strukturellen Dilomatieunfähigkeit des Westens. Denn er kann nicht verhandeln, sondern nur diktieren; in anderen Staaten sieht er weniger Verhandlungspartner als vielmehr Befehlsempfänger, deren Wohl und Wehe allein von seiner Gnade abhängt. Dieser Ansatz ist heute endgültig gescheitert. Doch es fällt den politischen Eliten in der EU und Nordamerika sehr schwer, dies einzusehen. Vielfach dominieren auch heute noch überlebte Vorstellungen einer hierarchischen, unipolaren Weltordnung. Doch je mehr sich die Welt weiterentwickelt und je wichtiger Asien und Lateinamerika werden, desto stärker wird der Westen weiter an Bedeutung verlieren. Von einer westlichen Dominanz kann schon heute keine Rede mehr sein. Die multipolare Welt ist kein Wunschtraum, sondern Realität. Es wird Zeit, daß sich unsere Außenministerien daran gewöhnen.
(Die Diplomatieunfähigkeit ist im Syrienkonflikt ebenfalls deutlich zu Tage getreten. Während das Moskauer Außenministerium unermüdlich sowohl mit der Regierung in Damaskus als auch mit Vertretern der verschiedenen Oppositionsgruppen verhandelt hat, war aus dem Westen immer nur die Forderung "Assad muß weg" zu hören. Daß man damit angesichts des Rückhaltes, den Assad nach wie vor in seinem Land genießt, keinen Erfolg haben konnte, ist mittlerweile offenkundig. Zudem hat sich der Westen nun ein neues Islamistenproblem geschaffen, welches auf ihn selbst zurückfallen wird.)
Zudem hat die EU, wie die letzten Wochen gezeigt haben, nunmehr fast jegliche Eigenständigkeit auf der internationalen Bühne aufgegeben und ist zu einem Anhängsel der USA geworden. Washington wird sich darüber freuen, viele Europäer hingegen nicht.
Die Krim zwischen der Ukraine und Rußland. Merkel spricht: "Verfluchte Barbaren! In der zivilisierten Welt entscheidet der schwarze Herrscher darüber, wer mit wem zusammenlebt."
Neuer Gaskonflikt
Unterdesssen ist das Kiewer Regime erneut auf Konfrontationskurs gegangen. Ein Rada-Abgeordneter hatte letzte Woche stolz verkündet, er brauche die russische Sprache nur, um Gefangene zu vernehmen. Doch am letzten Freitag weilte eine Delegation des ukrainischen Gasversorgers Naftogas in Moskau und die Unterredungen wurden selbstverständlich in russischer Sprache geführt. Naftogas hat nicht nur mitgeteilt, daß die geschuldeten Zahlungen für bereits erbrachte Gaslieferungen in Höhe von aktuell 2 Milliarden US-Dollar nicht geleistet werden können. Nein, man wollte darüber hinaus von Rußland einen weiteren Kredit über 2 bis 3 Milliarden USD erhalten - Rückzahlung völlig ungewiß.
Dann hat Jazenjuk stolz verkündet, daß er kein Erdgas mehr aus der RF beziehen wolle, weil der neue Preis zu hoch sei. Außerdem sollen vorerst keine Gasschulden beglichen werden. Stattdessen soll die EU, insbesondere die Slowakei, einspringen. Nach dem Willen Kiews soll rußländisches Erdgas, welches die Slowakei bezieht, in die Ukraine zurückgeleitet werden.
Das stößt zum einen auf technische Schwierigkeiten, denn es ist fraglich, inwieweit dafür die Pipelines, die für den Gastransport nach Westen gedacht sind, genutzt werden können. Deswegen hat gestern die slowakische Regierung die Junta in Kiew schon der Lüge bezichtigt. Die Sloawkei sei mitnichten bereit, sofort Erdgas zur Verfügung zu stellen. Man könne dies zwar tun und beginne schon mit einigen Vorbereitungen, doch müsse zunächst geklärt werden, wer die technischen Maßnahmen finanziert. Ferner möge Kiew darlegen, wie es denn für das aus der Slowakei bezogene Gas bezahlen wolle, Geschenke gebe es nicht. Und drittens dürfte das gesamte Rückleitungskonstrukt an Rechtsproblemen scheitern, denn in den Verträgen zwischen Gasprom und seinen Geschäftspartnern in der EU ist ein Weiterverkauf des aus Rußland bezogenen Erdgases ausgeschlossen.
Nun beklagen sich die Putschisten darüber, daß der seit dem 1. April geltende Preis von Gasprom zu viel hoch sei, deutlich höher als die für die EU-Staaten geltenden Preise. Insofern dürfen drei wichtige ASpekte nicht vergessen werden. Erstens ergibt sich die Berechnung des Preises aus dem 2009 geschlossenen Vertrag, an dessen Aushandlung u.a. Julia Timoschenko beteiligt war. Zweitens haben Energieversorgungsunternehmen aus der EU selbst Geld in Rußland investiert, es existieren zahlreiche gemeinsame Projekte wie etwa die North-Stream-Pipeline durch die Ostsee. Und drittens bezahlen die Abnehmer in der EU regelmäßig ihre Rechnungen, ohne öffentlich angemahnt werden zu müssen. Das ist wie auf dem Kreditmarkt: Je höher das Ausfallrisiko, desto höher der Preis (bzw. die Zinsen), damit überhaupt ein bißchen Geld in die Kasse kommt, sofern der Kunde ausnahmsweise einmal liquide ist.
Und weil das neue Regime in Kiew seinen eigenen Verlautbarungen zufolge keinen Wert auf ein gutes Verhältnis zu Rußland legt, hat Moskau auch keinen Grund mehr, aufgrund brüderlicher Gefühle das von der Ukraine verbrauchte Erdgas zu subventionieren. Dies um so mehr, als 50 % der Aktien von Gasprom nicht dem Staat, sondern privaten Aktionären gehören, darunter auch ausländische Teilhaber. Diese Privatpersonen können weder von den USA noch von der EU dazu verpflichtet werden, die ukrainische Wirtschaft zu fördern.
Zudem darf nicht vergessen werden, daß Rußland durch seine Kredite in den vergangenen Monaten die Ukraine vor dem totalen finanziellen Kollaps bewahrt hat, was auch von der IWF-Chefin Lagarde ausdrücklich gewürdigt wurde. (Soviel zum Märchen, die bösen Russen wollten die armen Ukrainer versklaven.) Währenddessen haben die westlichen Regierungen, die den Staatsstreich aktiv gefördert haben, ihren Vasallen in Kiew bis jetzt noch keine nennenswerte Finanzhilfe zur Verfügung gestellt. Das ist ein weiteres Paradoxon der gegenwärtigen Lage!
Gleichwohl hat Präsident Putin am Freitag betont, daß Gasprom der Ukraine nicht das Gas "abdrehen" werde. Trotzdem müßten sich nun die EU-Mitgliedsstaaten bewegen und rasch mit Rußland und anderen Staaten zu einer Konferenz zusammentreten, damit die Ukraine vor dem vollständigen ökonomischen Chaos bewahrt werde. Trotzdem wird die Ukraine ab sofort nur noch soviel Erdgas erhalten, wie sie tatsächlich bezahlt hat, sprich: Lieferung per Vorkasse. Auch das ist eine durchaus marktübliche Praxis.
(Mehr zum Thema Erdgas hier und hier.)
Vorschläge Rußlands und die aktuelle Situation
Die rußländische Regierung hat zur Lösung der Ukraine-Krise folgende Vorschläge unterbreitet:
1. Durchführung von Volksabstimmungen in allen Regionen des Landes über den zukünftigen Status der jeweiligen Region. D.h. Regionen, die sich vom ukrainischen Gesamtstaat lösen wollen, können das auf geordnete und zivilisierte Weise tun. Oder, wenn sie in der Ukraine verbleiben wollen, können die Bürger für einen Übergang des Landes zu einer föderalen Staatsordnung votieren.
2. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, welche dazu führen soll, daß die strukturellen innenpolitischen Probleme, Blockaden, Schlägereien im Parlament usw., die es während der letzten 23 Jahre ständig gab, aufhören. Danach soll die neue Verfassung ebenfalls in einem Referendum bestätigt werden.
3. Die neue Verfassung sollte folgendes beinhalten: Festschreibung der Rechte der nichtukrainischen Bevölkerungsteile (insbesondere staatlicher Status der russischen Sprache); sehr weitgehende Föderalisierung des Landes, damit die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nach ihren eigenen Vorstellungen leben können und keine die andere dominiert oder gar unterdrückt; wie bisher, so soll auch zukünftig die Blockfreiheit der Ukraine verfassungsrechtlich abgesichert sein (also kein Beitritt zur NATO).
4. Nach Verabschiedung der neuen Verfassung Neuwahlen für alle Staatsorgane, damit diese wieder eine zweifelsfreie demokratische Legitimation erhalten. Eine isolierte Neuwahl des nach der Verfassung von 2004 (die jetzt angeblich wieder gelten soll) weitgehend machtlosen Präsidenten am 25. Mai sei hingegen sinnlos.
Das sind angesichts der derzeitigen Lage in der Ukraine sehr vernünftige Ansätze. Bemerkenswert ist, daß der angebliche "Unrechtsstaat" Rußland auf der Durchführung von Volksabstimmungen besteht, während die sog. "Demokratien" des "freien Westens" solche Abstimmungen nicht zulassen wollen, sondern darauf beharren, daß der von ihnen initiierte Putsch legal und legitim sei.
Leider haben Vertreter der Putschisten diese Vorschläge schon weitgehend zurückgewiesen. Aber immerhin deutet sich jetzt das langsame Aufkeimen einer gewissen Verhandlungsbereitschaft an, denn nächste Woche soll in der Schweiz eine erste Konferenz mit der Teilnahme des Kiewer Regimes, der USA, der EU und Rußlands beginnen. Moskau besteht zudem darauf, daß auch Vertreter der Südostukraine an den Verhandlungen teilnehmen, denn die Junta repräsentiere nur die Bürger der West- und Zentralukraine. Man wird sehen, wie dieses Spiel in den nächsten Tagen weitergehen wird.
Die aktuellen Ereignisse in Donezk und Lugansk haben heute dazu geführt, daß "Premierminister" Jazenjuk überraschend nach Donezk gereist ist. Dort hat er sich zwar mit einigen Politikern und Oligarchen aus der Region getroffen, doch Vertreter der Aufständischen waren nicht darunter. Jazenjuk selbst hat dort zwar auch Russisch gesprochen und diverse Versprechungen gemacht (ein landesweites Referendum war nicht darunter), doch ist der Mann bekannt dafür, daß sich seine Meinung sehr schnell ändern kann. (Das hat er mit Steinmeier gemein.) Die Bürger der Südostukraine sind jedenfalls skeptisch und in den beiden Städten denkt niemand ans Aufgeben, solange keine substanziellen Zusagen auf dem Tisch liegen.
Auch heute war in der Obersten Rada wieder die Rede von "Erschießungen" und anderen Gewaltakten gegen die Einwohner von Donezk und Lugansk. Die Anhänger der "europäischen Integration" leiden offenbar unter besonderen Gewaltphantasien. Allerdings rennt ihnen die Zeit davon. Gestern hat die Spezialeinheit "Alfa" des SBU sich geweigert, die besetzten Verwaltungsgebäude zu stürmen. Zwanzig Prozent der Polizeibeamten in Donezk haben bereits den Dienst quittiert, ein Teil ist zu den Aufständischen übergegangen. Der Junta fehlt es zunehmend an qualifiziertem Personal zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen. In der Armee sieht es noch schlechter aus. Schlecht ausgerüstet, schlecht versorgt und mit einem Kampfgeist, der in vielen Einheiten gegen Null geht. Kaum ein Soldat ist bereit, gegen seine Mitbürger vorzugehen oder gegen Rußland Krieg zu führen, aller Propaganda der westukrainischen Nationalisten zum Trotz.
Realistischerweise haben die Putschisten im Prinzip nur noch zwei Optionen: Entweder stimmen sie den von den Bürgern der Südostukraine sowie Rußland erhobenen Forderungen zu. Dann kann die Krise einigermaßen friedlich gelöst werden, auch wenn sich einige Regionen in den Referenden für ein Ausscheiden aus dem ukrainischen Staat aussprechen sollten. Oder aber sie verbauen sich diesen Weg und schlagen den Aufstand gewaltsam nieder. Doch einem Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung der Südostukraine, wie ihn manche Vertreter der Putschisten offen fordern, wird die RF nicht tatenlos zusehen. Mithin käme es dann zum Einmarsch rußländischer Truppen.
Egal für welche Option sie sich entscheiden, die Junta hat durch ihre eigene Politik und gestützt auf ihre ausländischen Sponsoren, den ukrainischen Staat in seiner bisherigen Form und Gestalt zerstört. Und zwar endgültig. Daran können auch die Verrenkungen westlicher Politiker nichts mehr ändern.
Obama bei seinem Psychologen. Er phantasiert: "Russische Panzer auf der Krim! Russische Panzer auf der Krim!" Sein Arzt sagt: "Was für reichhaltige Halluzinationen! Irak, Libyen und Afghanistan haben ihn nicht krank gemacht."
Innere Probleme der Putschisten
Man könnte vielleicht meinen, die Lage in der West- und Zentralukraine, wo sich die politische Basis der Usurpatoren befindet, wäre ruhiger. Doch dem ist nicht so. z.B. wurde diese Woche in Lwow das Gebäude der Staatsanwaltschaft von Demonstranten gestürmt.
In Kiew gab es dieser Tage erneut Demonstrationen, diesmal gegen die Finanz- und Sozialpolitik der "Regierung". Um die Sparvorgaben des IWF zu erfüllen, wurden nicht nur Renten, Stipendien für Studenten und andere Leistungen gekürzt, sondern es wird auch massiv Personal im öffentlichen Dienst abgebaut. Allein im Geschäftsbereich des Innenministeriums 80.000 Stellen, in den sozialen Diensten müssen 18.000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Usw. usf. D.h. daß in den nächsten Wochen hunderttausende Bürger der Ukraine ohne Beschäftigung und damit ohne Geld dastehen werden. Auch die Industrie hat Probleme, z.T. aufgrund der selbstverordneten Embargopolitik gegenüber Rußland.
Zugleich sind in Kiew und anderen Städten immer noch "Aktivisten" des "Euromaidan" versammelt, leben in ihren Zeltlagern und führen paramilitärische Übungen durch. Zugleich schimpfen sie offen darüber, daß sie kein Geld mehr bekommen, weil die neuen Machthaber sie nur benutzt haben, um sich selbst in Amt und Würden zu bringen. Jetzt fühlen sich die Maidan-Kämpfer fallengelassen, weil man ihrer nicht mehr bedarf. Die Oligarchen wollen auch sie nicht an der Macht sehen.
Man kombiniere diese beiden Faktoren und stelle sich vor, was in Kiew in einigen Wochen geschehen könnte. Nämlich neue, diesmal echte soziale Unruhen, getragen von verarmten Bürgern, Rentnern, Studenten und erfahrenen Maidan-Kämpfern, die dann wieder ein Ziel haben. Auch insofern befinden sich die Putschisten also in einer gewissen Zeitnot.
Es könnte sogar zu einem Szenario kommen, was aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich erscheint: Bürger aus der West- und Zentralukraine sowie aus der Südostukraine schließen sich zusammen, um das derzeitige Regime zu verjagen und teilen danach ihren Staat auf.
Jedenfalls dürfte sich der Einfluß der Vaterlandspartei und Timoschenko und Jazenjuk demnächst stark verringern. In den Umfragen für die Präsidentenwahl liegt der Oligarch Poroschenko von der Parteu Udar (Klitschko) deutlich vor der Oligarchin Timoschenko. Der drohende Einflußverlust könnte die Timoschenko-Fraktion zu drastischen Maßnahmen verleiten, um länger an der Macht zu bleiben. Eine solche Maßnahme könnte die Anzettelung eines internationalen Konflikts sein, zumal sich diese Partei der besonderen Förderung der USA erfreut.
Neuer Konfliktherd Transnistrien und Auswirkungen auf die GUS
Abschließend soll noch ein Blick in die Weiten Eurasiens geworfen werden. Aktuell hat sich ein neuer Konfliktherd in Transnistrien aufgetan. Das Gebiet hatte sich Anfang der 1990er Jahre von Moldawien abgespalten und lebte seither de facto selbständig, war jedoch von keinem anderen Staat anerkannt worden (siehe auch hier). Doch jetzt haben die ukrainischen Putschisten und Moldawien de facto eine Blockade über Transnistrien verhängt. Die Grenze zur Ukraine ist geschlossen. Das steigert natürlich die Spannungen und die Regierung Transnistriens hat deshalb schon mit dem Gedanken gespielt, ebenfalls der Rußländischen Föderation beitreten zu wollen. Auch andere Regionen Moldawiens sind vom Pro-EU-Kurs ihrer Regierung nicht begeistert und würden lieber der Zollunion beitreten.
Hier dürfte sich in den nächsten Monaten noch weiterer Konfliktstoff ergeben. Ein neuer Berliner Kongreß wäre möglicherweise dazu fähig, auch diesen bisher "eingefrorenen" Konflikt einer endgültigen Lösung, welche die Zustimmung der betroffenen Bürger findet, zuzuführen. Doch dafür fehlt den heutigen deutschen Diplomaten leider das Format.
Die Auswirkungen des "Euromaidans" auf die übrigen GUS-Staaten könnten ganz anders sein, als von Brüssel und Washington erhofft. So etwa in Aserbaidshan. Dort verhandelt man zwar noch mit der EU über ein Assoziierungsabkommen. Zudem befindet sich die Erdöl- und Erdgasförderung fest in westlicher Hand. Dennoch sind die ökonomischen Beziehungen an Rußland nach wie vor eng, nicht zuletzt durch den Export von Arbeitskräften. Spätestens seit dem Libyen-Krieg sollte man sich jedoch auch in Baku vor den angriffslustigen Westlern fürchten. Zwar hatte Ghaddafi den Wahlkampf des französischen Präsidenten Sarkozy finanziert, doch hat ihn das nicht vor dem Angriff der NATO bewahrt.
Ergo könnte sich Aserbaidshan stärker als bisher in Richtung Moskau orientieren. Denn die oben auszugsweise zitierte Rede Wladimir Putins vom 18. März enthielt eine verklausulierte Sicherheitsgarantie für die GUS-Staaten: Rußland wird, sofern von den Einheimischen gewünscht, nicht einfach zusehen, wie ihnen von außen mit Gewalt Standards aufgezwungen werden, die nicht ihrer Lebensweise, Kultur und Tradition entsprechen. Das dürfte das Ende der "farbigen Revolutionen" bedeuten.
Dies könnte für Georgien ebenfalls ein Grund sein, sich künftig wieder etwas stärker an die RF anzulehnen. Zwar scheint der politische Konsens in Georgien, unabhängig von den jeweils an der Macht befindlichen Parteien, recht eindeutig auf eine Integration in EU und NATO hinzudeuten. Doch ist die innenpolitische Lage im Augenblick ähnlich der Ukraine 2010: Im vergangenen Jahr ist Michail Saakaschwili von seinem Volk abgewählt worden. Kurz danach tauchte er in Kiew auf, um bei einer neuen Revolution mitzuwirken. Nach Auskunft georgischer Militärkreise waren vier Scharfschützen aus Georgien, die früher zu Saakaschwilis Leibwächtern gehört hatten, in Kiew am Massaker des 20. Februar beteiligt.
Zudem ist Saakaschwili ein eindeutiger Agent der USA, die sich mit seiner Abwahl wohl nicht abfinden können. Der Ex-Präsident ist in ein Ermittlungsverfahren involviert, in dem es um die Tötung eines Politikers während seiner Amtszeit geht. Er weigert sich jedoch, nach Tiflis zu reisen, um dort mit den Ermittlern zu sprechen. Zudem wurden in der georgischen Hauptstadt bereits Emissäre aus der Ukraine festgestellt. Deshalb geht man in Tiflis davon aus, daß dort in den nächsten Monaten nach den Kommunalwahlen der nächste "Maidan" angezettelt werden könnte, der das Ziel verfolgt, Saakaschwili wieder an die Macht zu bringen. Sicher kein beruhigendes Szenario für die gewählte Regierung.
Ansonsten steht die Republik Belarus ganz oben auf der Abschußliste des Westens. Doch erscheint das Land, anders als die Ukraine, zu gefestigt, als daß es einem ähnlichen Angriff erliegen würde. Die Phantasie mancher westlicher Politiker, einen Maidan auf dem Roten Platz in Moskau anzuzetteln, ist ähnlich absurd. Zwar plant die marginale, aus dem Ausland unterstützte "außersystemische Opposition" schon wieder große Auftritte. Doch ihr Ansehen in der Bevölkerung geht mittlerweile gegen Null. Nawalnyj, auf den noch vor einigen Monaten viele ausländische Beobachter große Hoffnungen gesetzt hatten, ist nach seiner Mitwirkung bei der Ausarbeitung der US-Sanktionen gegen die RF politisch tot.
Resümee
So haben sich der "Euromaidan", die Unruhen und der Putsch in Kiew bereits jetzt zum Eigentor für die auswärtigen Sponsoren in den USA und der EU entwickelt. Die erhoffte Beute in Form der Ukraine werden sie nicht einfahren können. Entsprechend groß ist der Katzenjammer etwa in Polen, das schon angekündigt hat, eine dritte ukrainische Revolution nach 2004 und 2014 nicht unterstützen zu wollen. Und die Ausweitung der "Revolutionen" auf andere GUS-Staaten wird wohl nahezu zwangsläufig dazu führen, daß sich diese wieder enger an Rußland anschließen - also genau das tun, was durch die ganzen Manöver eigentlich verhindert werden sollte. In Gestalt der Zollunion, der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft und der OVKS stehen geeignete Instrumente für diesen Prozeß zur Verfügung.
Die einzigen, die von dem stärkeren Chaos in Eurasien profitieren könnten, sind die Vereinigten Staaten von Amerika. im Sinne ihrer Strategie von der "Verwaltung des Chaos" könnten sie sowohl Rußland als auch die EU gewissermaßen in Schach halten und damit ihren eigenen Abstieg hinauszögern. Fragt sich nur, ob die EU und ihre Bürger die ihnen in Washington zugedachte Rolle spielen wollen.
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