Die gaucksche Normalverpeilung

Es ist abenteuerlich. Während man sich hierzulande über die Verstöße gegen diplomatische Gepflogenheiten seitens Russlands echauffiert, reist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik in die Türkei und zeigt der Welt, was er unter Diplomatie versteht. Die Art und Weise, wie er dies tat und die Anlässe, die er wählte, sind beredte Dokumente für ein Paradigmenwechsel in der deutschen Politik. Der Schwenk von einer säkularen Strategie in der internationalen Politik zu einer irrationalen Kreuzfahrermentalität ist vollzogen. Das, was der Priester aus Rostock in der Türkei abgezogen hat, ist dazu geeignet, die Bundesrepublik international zu isolieren. Und das zu Recht.

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Gaucks Spezialdiplomatie Foto: © Tobias Kleinschmidt / MSC, This file is licensed under the Creative Commons Attribution 3.0 Germany license.

Der erste Anlass war ein gut gemeinter:
Der Präsident besuchte ein Flüchtlingslager an der syrischen Grenze und lobte die Türkei für die zweifelsohne großen Anstrengungen ihrerseits, um den Flüchtlingen aus dem kriegerischen Nachbarland zu helfen. Doch dann machte Gauck sich, von allen guten Geistern verlassen, bei einem Besuch der deutschen Truppe vor Ort, die zum Nato-Krisenmanagement gehört, über Russland her und klage dessen Doppelzüngigkeit und Zynismus angesichts der Situation in der Ukraine an. In der Türkei! Vor einer Formation des deutschen Militärs! Eine Anklage gegen Russland! Ohne Vorlage von Beweisen! Das sind „diplomatische“ Akte, die das Zeug haben, in tödliche Spiralen zu führen. Chapeau!

Dann, einen Tag später, hat Gauck den nächsten Auftritt, in einer Universität, vor handverlesenen Studenten, hält er einen Vortrag über das Wesen von Demokratie, über die Rolle einer kritischen Presse und über die Bedeutung einer unabhängigen Justiz. Er, der Mann aus der zweiten deutschen Diktatur in einem einzigen Jahrhundert, fährt mal eben zum Bosporus und erklärt den zurück gebliebenen Anatolen, wie die Demokratie funktioniert. Chapeau!

Dass dieser Mann ins Amt gekommen ist, weil sein aus Eitelkeit verklebter Vorgänger bei seinen Auftritten nur noch kollektiven Schmerz auslöste, macht ihn tatsächlich nicht automatisch zu einer qualitativ besseren Alternative. Vielmehr ist die Nominierung Gaucks zu einem Indikator für eine politische Entwicklung in der Bundesrepublik geworden, die die Schwelle zu kriegerischen Handlungen absenkt. Dieses hat mit der Moralisierung der internationalen Politik zu tun. Im Mittelpunkt stehen tatsächlich nicht mehr staatliches Handeln, die Verfolgung nationaler Interessen und die Respektierung des Prinzips der gegenseitigen Nichteinmischung, sondern die Strategie der Belehrung, der Skandalisierung und notfalls der Intervention. Beide Auftritte Gaucks in der Türkei sind ein beredtes Dokument für diese These und in der Beschreibung möglicher Konsequenzen scheint nichts mehr übertrieben zu sein.

Vergegenwärtigt man sich die derzeitigen, angesichts des einhundertjährigen traurigen Jubiläums der Entstehung des I. Weltkrieges geschriebenen neuen Geschichtsbücher und Dokumentationen, fragt man sich schon, ob wir es mit einer kollektiven Amnesie zu tun haben, dass kein Aufschrei durchs Land geht, wenn der Präsident derartig Amok läuft oder der Außenminister ganz nonchalant darüber plaudert, im Falle der Ukraine sei man in eine unvorhersehbare Sache geschliddert. An diesem Wesen wird kein Land genesen. Nicht das eigene, und andere schon gar nicht.

Als der türkische Ministerpräsident Erdogan vor zwei Jahren Auftritte in Köln und Berlin hinlegte, bei denen er vor den dortigen türkischen Communities davor warnte, sich im Gastland zu assimilieren, da sprachen viele nicht zu Unrecht von einer groben Verletzung diplomatischer Gepflogenheiten und von einer Attitüde imperialer osmanischer Phantasie. Nun, nach Gaucks Auftritt in der Türkei, könnte man von einer imperialen deutschen Geste sprechen. Oder vielleicht doch nur von einer typisch gauckschen Normalverpeilung? Wären da nicht so fatale Konsequenzen!

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