Von Stefan Sasse
In der ZEIT wird der Gedanke formuliert, dass Angela Merkel sich von CSU und FDP trennen und stattdessen mit SPD und Grünen zusammenarbeiten sollte.
Auch hier gibt es große Unterschiede in der Bewertung der angebotenen Lösungsansätze. Doch nehmen führende Sozialdemokraten und Grüne ebenso wie entsprechende Christdemokraten – allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble – die Herausforderung in ihrer ganzen Größe an.
Mit der Einschätzung hat die ZEIT sicherlich Recht; FDP und CSU sind irgendwo zwischen Heinrich Brühning und Franz Josef Strauß stecken geblieben. Natürlich ist diese ganz große Koalition nur schwer vorstellbar. SPD, Grüne und CDU in einer Koalition? Auch die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Das wissen sicherlich auch die Journalisten bei der ZEIT, keine Frage. Es geht auch weniger um den Realitätsgehalt dieses Szenarios, sondern vielmehr um die Tatsache an sich: in der größten Krise der Bundesrepublik - und ich habe keinen Zweifel daran, dass wir uns in dieser befinden - sind zwei von drei Regierungsparteien anderer Meinung als die Hauptregierungspartei und sabotieren sie nach Kräften, während zwei von drei Oppositionsparteien sich an staatstragendem Gebahren überbieten.
Was aber erwachsen daraus für Konsequenzen? Eine Konsequenz ist sicherlich, dass die Schwarz-Gelbe Regierung ein Auslaufmodell ist, ein lame duck. Sie wird 2013 nicht wieder aufgelegt werden. Wenn etwas sicher ist, dann das. Bis dahin muss die FDP ihr blankes Überleben sichern, während die Union größtenteils darauf Wert legt, nicht zu viele eher rechtspopulistische Stammwähler zu verprellen. Für gewöhnlich hält man diese Klientel mit Forderungen nach schärferen Gesetzen und harten Einsätzen gegen Demonstranten bei Laune. Jetzt reicht das nicht mehr.
Auf der anderen Seite profitiert besonders die SPD von der aktuellen Situation. Kein Wähler erwartet von ihr ernsthaft, dass sie auf rechtspopulistische Instinkte eingeht. Sie kann sich also voll in die Bresche werfen, die die Union aus Eigeninteresse nicht ausfüllen kann. Das führt sogar noch zu Gewinnen in der Wählergunst, wohl weil man der SPD plötzlich wieder mehr zutraut, und so mancher frühere Stammwähler wieder in den Schoß der Partei findet, die Augen vor vielen Realitäten bereitwillig verschließend.
Ein möglicher Weg vor dieser Kulisse wäre für Merkel tatsächlich, in der Europafrage offiziell mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. Einen Präzedenzfall hat Nils Schmid in Baden-Württemberg mit der Kooperation in Sachen S21 bereits geschaffen. Die Koalition könnte so bis 2013 intakt bleiben, während gleichzeitig auf dem Feld der Europapolitik die Trennung vollzogen und der Wahlkampf begonnen wird. Das wäre reichlich schizophren, aber wenn wir ehrlich sind - erschien das die vergangenen zwei Jahre anders?
Es ist natürlich auch möglich, dass die FDP sich doch noch zum Koalitionsbruch entscheidet (Merkel wird das sicherlich nicht tun) und dann mit ihrem merkwürdigen Mischmaschkurs die 5%-Hürde zu nehmen hofft (was ihr gelingen sollte). In der Opposition kann sie sich dann regenerieren. Eines aber ist sicher: die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind praktisch irrelevant geworden. Die SPD bei 23%, die Grünen mit rund 10% fünftstärkste Kraft und die FDP bei über 16%? Lachhaft. Nach diesen Realitäten rechnet inzwischen keiner mehr.