Über Folter läßt sich kaum mehr streiten. Sie ist unbestreitbar als Instrument der Ermittlung und Wahrheitsfindung im Herzen der westlichen Gesellschaft angelangt. Über sie wird vorurteilslos diskutiert und sie findet einen breiten Konsens und viele Forderer. Dass sie in bestimmten Fällen eine Berechtigung hat, wird mittlerweile akzeptiert. Fraglich ist nur, in welchem expliziten Fall diese Berechtigung eintritt. So meinen (rechts-)konservative Kreise, dass man Terrorverdächtige foltern solle, um weitere Tote durch vermeintlich geplante Anschläge zu verhindern. Zu erinnern sei da nur an die Worte Wolfgang Schäubles, wonach durch Folter erzwungene Aussagen nicht zu verwerfen seien, wenn sie denn schon mal in der Welt sind. Selbst unter Linken spricht man ganz selbstverständlich von ihr. So äußerte sich selbst Oskar Lafontaine positiv zur Folter, als damals der Frankfurter Polizeipräsident einer Klage ins Gesicht sehen musste, weil er einem Entführer Folter androhte. In bestimmten Fällen sei Folter eine Option, stellte auch Lafontaine klar - und die Bestrafung des Polizisten, so führte er fort, wäre gar eine Katastrophe.
Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Folter zwar grundsätzlich ab. Es gäbe aber durchaus Ausnahmen, schiebt man dann aber nach. So wie im Fall Gäfgen damals, den der Rechtsstaat in seiner Ungerechtigkeit zum Fall Daschner machte. Oder wenn man einen Terrorverdächtigen dazu bringen möchte, weitere Komplizen und Vorhaben zu benennen. Unbemerkt bleibt dabei jedoch, dass die Hemmschwelle bereits relativ niedrig liegt, wenn man selbst schon Verdächtige foltern würde. Folter ist verwerflich, weil brutal; sie macht den gefolterten Menschen zur bloßen Verfügungsmasse seiner allmächtigen Peiniger - und: Folter ist unkontrollierbar. Nicht erst, wenn sie am Leib eines Delinquenten geschieht, sondern schon vorher, wenn man über sie beratschlagt. Aus sicheren Tätern, die gemartert werden sollen, werden schnell "ziemlich sichere Täter", dann Verdächtige, danach potenzielle Täter oder gar potenzielle Verdächtige. Das Verbot der Folter ist auch damit begründbar. Es hat seine Berechtigung, weil der folternde Mensch, wenn er erstmal gewaltsam und im beschaulichen Schutz staatlicher Legitimität am Nächsten tätig wird, keine Hemmungen, keine Barrieren, kein Mitleid mehr kennt. Das strikte Folterverbot ist notwendig, denn die leiseste Lockerung dröselt die Menschenrechte auf und installiert ein neues Rechtsbewusstsein, das keine Mäßigung, keinen Einhalt mehr kennt. "Foltert ihn!" wird dann der inflationäre Slogan, wenn man sich keine Mühe mehr machen will mit Menschen, die in die Fänge der Justiz geraten.
Der Gefolterte
Die Folter verändert in ersten Linie denjenigen, der unter ihr leidet. Es ist hierbei unerheblich, ob er als Schuldiger oder Beschuldigter und später als unschuldig Entlasteter aus dem Folterkeller getragen wird. Er wird an dieser Tortur bis an das Ende seiner Tage nagen. Der Einwand, es würde heute keine Folterkeller mehr geben, sondern lediglich - würde man sich heute dazu entschließen wieder zu foltern - "transparente Folter", kann nicht ernstgenommen werden. Gegen seinen Willen fixiert und der Gewalt anderer Menschen ausgeliefert zu sein, das ist keine Frage der Räumlichkeit. Auch die bürokratische Maskerade, die heute vermutlich anwesend wäre, also staatlich einbestellte Beobachter, die einer "Tortur zum Tode" Einhalt gebieten würden, änderte nichts am Trauma, das dort erlitten würde. Schmerz bleibt Schmerz, Ohnmacht Ohnmacht, eine durch Gewalt erzwungene Aussage bleibt eine durch Gewalt erzwungene Aussage, ganz egal, ob im miefigen Keller oder in einer smarten und modernen "Folter-Location".
Die "Tortur zum Tode" zu unterbinden, wäre ohnehin ein Akt, den sich eine folternde Gesellschaft nicht erlauben könnte. Läßt man einen ehemals Gefolterten frei, entweder gleich nach dem Akt, weil er sich plötzlich als unschuldig erwies, oder später, weil er zunächst eine Haftstrafe verbüßen musste, so würde man einen Menschen in Freiheit lassen, der nie wieder Vertrauen in das Land und seine Institutionen haben könnte. Die Radikalisierung eines solchen Menschen wäre nicht nur eine Gefahr, sie wäre vorprogrammiert und auch verständlich. Die Bereitschaft nun wirklich (oder weiterhin) Mittel des Terrors anzuwenden, dürfte niemanden verwundern und könnte dann auch nicht moralisch beanstandet werden. Dies geschähe vermutlich alles zwischen Therapien und Gewaltakten - hierbei ist an Khaled al-Masri zu denken, der nach seiner Freilassung aus einem Folterknast immer wieder straffällig wurde und keinen gesellschaftlichen Anschluss mehr findet. Zwar ist er nicht Terrorist geworden, aber vermutlich unterstreicht das nur seine Unschuld. Denn wäre er vormals in terroristischen Strukturen heimisch gewesen, nach der Tortur wäre er leidenschaftlich zurückgekehrt. So aber explodiert sein Gewaltpotenzial im alltäglichen Leben. Über kurz oder lang müsste sich der folternde Staat Gedanken über die Folgen machen, die er verursacht - und eine "Folter hin zum Tode", wenn schon nicht erlauben, so doch im Stillen befürworten.
Der Gefolterte und die Folternden
Noch ein Aspekt spricht dafür, dass eine folternde Gesellschaft immer eine durch Folter tötende Gesellschaft sein wird. Die Foltermeister und ihr Hilfspersonal wären einem lebenslangen Spießrutenlauf ausgesetzt, wenn ehemalige Opfer wieder in Freiheit gelangten. Die Angst erkannt zu werden wäre erdrückend und lähmend - ein friedliches Leben mit gutem Gewissen ausgeschlossen. Auch der Folterknecht radikalisierte sich im Laufe der Zeit. Er würde, schon aus Gründen des Selbstschutzes, großes Interesse daran haben, den Körper, den er behandelt (ein Rückgriff auf SS-Sprache: Sonderbehandlung etc.!), auch zu entleiben. Wäre er zu zimperlich, könnte es ihm eines Tages das Leben kosten, wenn eines seiner Opfer nach Rache trachtete. Natürlich könnte man sein Gesicht unter Kapuzen verfrachten, nur dann wäre der moderne Folterstaat, der transparent martert und misshandelt, wieder im stickigen Milieu des Folterkellers angelangt.
Der Folternde ist zunächst ein Täter. Aber im Laufe seiner Tätigkeit wird er zum Opfer voller Ängste, Zwänge und Traumata. Man darf davon ausgehen, dass Folterknechte eine geringe Lebensarbeitszeit hätten. Zwar haben in Vorzeiten auch Menschen lebenslang gefoltert, doch die Sozialisierung damaliger Tage ist mit der heutigen Sozialisierung unmöglich vergleichbar. Ein Menschenleben galt damals wenig - es lag außerdem nicht in der Hand des Folterknechts, es lag in der Hand Gottes, auch während der Tortur. Heute sprechen wir viel vom Schutz des Lebens, für den wir dann sogar foltern. Klar ist natürlich, dass in einer folternden Gesellschaft das menschliche Leben über kurz oder lang weniger Wert besitzt. Dann würde man sich Foltermeister züchten, die keine Skrupel mehr kennen, die nicht mehr humanitätsduselig (Achtung, wieder Nazi-Jargon!) wären. "Für die Menschenwürde foltern" wäre dann als gute Absicht schnell zu den Akten gelegt, die Unantastbarkeit der Menschenwürde müsste geradezu aufgehoben werden, damit Folternde und Gesellschaft ohne schlechtes Gewissen gutheißen könnten, was da im Namen der Sicherheit passiert.
Der Gefolterte und die Gesellschaft
Eine Gesellschaft die hinnimmt, dass ihre Justiz foltern läßt, wandelt sich eklatant. Die Annahme, es bliebe alles wie es war für jene, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist mehr als dumm. Das Klima wird nochmals merklich abkühlen, die Folter lähmt jeden einzelnen Bürger, die Furcht wird hinter jeder Handlung lauern. Was, wenn ich verdächtig werde?, wird man sich fragen. Zivilcourage und Hilfsbereitschaft werden schwinden - es könnten ja Konflikte entstehen bei der Hilfeleistung, und mit etwas Pech gerät man als Hilfsbereiter in die Mühlen der Marter. Der freie und mündige Mensch, der schon heute bedroht ist, wird dann gänzlich ausgestorben sein. Streikende oder demonstrierende Personen könnten ja unter Verdacht geraten - man könnte aus ihnen herauspressen wollen, wer die Demonstration initiiert hat. Selbst wenn für kleinere Vergehen keine Folter vorgesehen wäre - sie wäre auch gar nicht nötig bei Kleinkriminellen -, die Angst davor wäre stets präsent.
Unter Folter verändern sich nicht nur die unmittelbar beteiligten Personen, Gefolterter und Folternder - die gesamte Gesellschaft wandelt sich. Täter und Opfer leiden an Traumata wie die Gesellschaft daran litte. Auf der einen Seite Furcht vor dem staatlichen Terror, der mittels Folter verbreitet wird - auf der anderen Seite Denunziantentum und die Boshaftigkeit einzelner Bürger, die ihren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannten gerne mal der Folter aussetzen möchten, nur als Abreibung versteht sich. Die sowjetische oder aber die nationalsozialistische Gesellschaft kannten solche gesellschaftlichen Verhaltensmuster. Ein Staatswesen, das körperliche Gewalt auf seine Bürger ausübt, wird von nicht wenigen Menschen als "Mechanismus zur Abreibung unliebsamer Mitmenschen" missbraucht. Dann soll der Foltermeister ihnen zu Diensten sein - ein Staatsanwalt, der juristische Vernunft walten läßt, kann nur wenig zur Befriedigung niederer Gelüste gedrängt werden. Der Folterstaat macht aus seinen Bürgern auch dann Bestien, wenn sie nicht direkt mit der Folter zu tun haben. Er legt die niedersten Triebe frei, macht Verleumdung und Zuträgerei zur Normalität, autorisiert die Boshaftigkeit und Schadenfreude.
Ein Staat der Folter wird zum Instrument kleinkarierter Mitbürger, die ihren Gesinnungsterror oder ihren plumpen Menschenhass in die Institutionen tragen - ein Staat unter strengen rechtsstaatlichen Normen, kann nicht zum Instrument des Mobs werden. Der Folterstaat kennt nur die Angst als Urmotiv - der Rechtsstaat (ohne Folter!; denn die Apologeten der Folter würden auch den Folterstaat einen Rechtsstaat nennen) zeugt von Selbstvertrauen. Ein Klima der Angst setzt Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung in Gang, um aus Angst wiederum, Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung zu schürfen, was immer wieder in neuerliche Eskapaden mündete. Das Selbstvertrauen des Rechtsstaates benötigt diesen Mechanismus nicht, ermutigt nicht die Niedertracht und die Verleumdungswut - er schürt keine Angst und merzt somit ängstliche Verhaltensweisen weitestgehend aus.
Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Folter zwar grundsätzlich ab. Es gäbe aber durchaus Ausnahmen, schiebt man dann aber nach. So wie im Fall Gäfgen damals, den der Rechtsstaat in seiner Ungerechtigkeit zum Fall Daschner machte. Oder wenn man einen Terrorverdächtigen dazu bringen möchte, weitere Komplizen und Vorhaben zu benennen. Unbemerkt bleibt dabei jedoch, dass die Hemmschwelle bereits relativ niedrig liegt, wenn man selbst schon Verdächtige foltern würde. Folter ist verwerflich, weil brutal; sie macht den gefolterten Menschen zur bloßen Verfügungsmasse seiner allmächtigen Peiniger - und: Folter ist unkontrollierbar. Nicht erst, wenn sie am Leib eines Delinquenten geschieht, sondern schon vorher, wenn man über sie beratschlagt. Aus sicheren Tätern, die gemartert werden sollen, werden schnell "ziemlich sichere Täter", dann Verdächtige, danach potenzielle Täter oder gar potenzielle Verdächtige. Das Verbot der Folter ist auch damit begründbar. Es hat seine Berechtigung, weil der folternde Mensch, wenn er erstmal gewaltsam und im beschaulichen Schutz staatlicher Legitimität am Nächsten tätig wird, keine Hemmungen, keine Barrieren, kein Mitleid mehr kennt. Das strikte Folterverbot ist notwendig, denn die leiseste Lockerung dröselt die Menschenrechte auf und installiert ein neues Rechtsbewusstsein, das keine Mäßigung, keinen Einhalt mehr kennt. "Foltert ihn!" wird dann der inflationäre Slogan, wenn man sich keine Mühe mehr machen will mit Menschen, die in die Fänge der Justiz geraten.
Der Gefolterte
Die Folter verändert in ersten Linie denjenigen, der unter ihr leidet. Es ist hierbei unerheblich, ob er als Schuldiger oder Beschuldigter und später als unschuldig Entlasteter aus dem Folterkeller getragen wird. Er wird an dieser Tortur bis an das Ende seiner Tage nagen. Der Einwand, es würde heute keine Folterkeller mehr geben, sondern lediglich - würde man sich heute dazu entschließen wieder zu foltern - "transparente Folter", kann nicht ernstgenommen werden. Gegen seinen Willen fixiert und der Gewalt anderer Menschen ausgeliefert zu sein, das ist keine Frage der Räumlichkeit. Auch die bürokratische Maskerade, die heute vermutlich anwesend wäre, also staatlich einbestellte Beobachter, die einer "Tortur zum Tode" Einhalt gebieten würden, änderte nichts am Trauma, das dort erlitten würde. Schmerz bleibt Schmerz, Ohnmacht Ohnmacht, eine durch Gewalt erzwungene Aussage bleibt eine durch Gewalt erzwungene Aussage, ganz egal, ob im miefigen Keller oder in einer smarten und modernen "Folter-Location".
Die "Tortur zum Tode" zu unterbinden, wäre ohnehin ein Akt, den sich eine folternde Gesellschaft nicht erlauben könnte. Läßt man einen ehemals Gefolterten frei, entweder gleich nach dem Akt, weil er sich plötzlich als unschuldig erwies, oder später, weil er zunächst eine Haftstrafe verbüßen musste, so würde man einen Menschen in Freiheit lassen, der nie wieder Vertrauen in das Land und seine Institutionen haben könnte. Die Radikalisierung eines solchen Menschen wäre nicht nur eine Gefahr, sie wäre vorprogrammiert und auch verständlich. Die Bereitschaft nun wirklich (oder weiterhin) Mittel des Terrors anzuwenden, dürfte niemanden verwundern und könnte dann auch nicht moralisch beanstandet werden. Dies geschähe vermutlich alles zwischen Therapien und Gewaltakten - hierbei ist an Khaled al-Masri zu denken, der nach seiner Freilassung aus einem Folterknast immer wieder straffällig wurde und keinen gesellschaftlichen Anschluss mehr findet. Zwar ist er nicht Terrorist geworden, aber vermutlich unterstreicht das nur seine Unschuld. Denn wäre er vormals in terroristischen Strukturen heimisch gewesen, nach der Tortur wäre er leidenschaftlich zurückgekehrt. So aber explodiert sein Gewaltpotenzial im alltäglichen Leben. Über kurz oder lang müsste sich der folternde Staat Gedanken über die Folgen machen, die er verursacht - und eine "Folter hin zum Tode", wenn schon nicht erlauben, so doch im Stillen befürworten.
Der Gefolterte und die Folternden
Noch ein Aspekt spricht dafür, dass eine folternde Gesellschaft immer eine durch Folter tötende Gesellschaft sein wird. Die Foltermeister und ihr Hilfspersonal wären einem lebenslangen Spießrutenlauf ausgesetzt, wenn ehemalige Opfer wieder in Freiheit gelangten. Die Angst erkannt zu werden wäre erdrückend und lähmend - ein friedliches Leben mit gutem Gewissen ausgeschlossen. Auch der Folterknecht radikalisierte sich im Laufe der Zeit. Er würde, schon aus Gründen des Selbstschutzes, großes Interesse daran haben, den Körper, den er behandelt (ein Rückgriff auf SS-Sprache: Sonderbehandlung etc.!), auch zu entleiben. Wäre er zu zimperlich, könnte es ihm eines Tages das Leben kosten, wenn eines seiner Opfer nach Rache trachtete. Natürlich könnte man sein Gesicht unter Kapuzen verfrachten, nur dann wäre der moderne Folterstaat, der transparent martert und misshandelt, wieder im stickigen Milieu des Folterkellers angelangt.
Der Folternde ist zunächst ein Täter. Aber im Laufe seiner Tätigkeit wird er zum Opfer voller Ängste, Zwänge und Traumata. Man darf davon ausgehen, dass Folterknechte eine geringe Lebensarbeitszeit hätten. Zwar haben in Vorzeiten auch Menschen lebenslang gefoltert, doch die Sozialisierung damaliger Tage ist mit der heutigen Sozialisierung unmöglich vergleichbar. Ein Menschenleben galt damals wenig - es lag außerdem nicht in der Hand des Folterknechts, es lag in der Hand Gottes, auch während der Tortur. Heute sprechen wir viel vom Schutz des Lebens, für den wir dann sogar foltern. Klar ist natürlich, dass in einer folternden Gesellschaft das menschliche Leben über kurz oder lang weniger Wert besitzt. Dann würde man sich Foltermeister züchten, die keine Skrupel mehr kennen, die nicht mehr humanitätsduselig (Achtung, wieder Nazi-Jargon!) wären. "Für die Menschenwürde foltern" wäre dann als gute Absicht schnell zu den Akten gelegt, die Unantastbarkeit der Menschenwürde müsste geradezu aufgehoben werden, damit Folternde und Gesellschaft ohne schlechtes Gewissen gutheißen könnten, was da im Namen der Sicherheit passiert.
Der Gefolterte und die Gesellschaft
Eine Gesellschaft die hinnimmt, dass ihre Justiz foltern läßt, wandelt sich eklatant. Die Annahme, es bliebe alles wie es war für jene, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist mehr als dumm. Das Klima wird nochmals merklich abkühlen, die Folter lähmt jeden einzelnen Bürger, die Furcht wird hinter jeder Handlung lauern. Was, wenn ich verdächtig werde?, wird man sich fragen. Zivilcourage und Hilfsbereitschaft werden schwinden - es könnten ja Konflikte entstehen bei der Hilfeleistung, und mit etwas Pech gerät man als Hilfsbereiter in die Mühlen der Marter. Der freie und mündige Mensch, der schon heute bedroht ist, wird dann gänzlich ausgestorben sein. Streikende oder demonstrierende Personen könnten ja unter Verdacht geraten - man könnte aus ihnen herauspressen wollen, wer die Demonstration initiiert hat. Selbst wenn für kleinere Vergehen keine Folter vorgesehen wäre - sie wäre auch gar nicht nötig bei Kleinkriminellen -, die Angst davor wäre stets präsent.
Unter Folter verändern sich nicht nur die unmittelbar beteiligten Personen, Gefolterter und Folternder - die gesamte Gesellschaft wandelt sich. Täter und Opfer leiden an Traumata wie die Gesellschaft daran litte. Auf der einen Seite Furcht vor dem staatlichen Terror, der mittels Folter verbreitet wird - auf der anderen Seite Denunziantentum und die Boshaftigkeit einzelner Bürger, die ihren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannten gerne mal der Folter aussetzen möchten, nur als Abreibung versteht sich. Die sowjetische oder aber die nationalsozialistische Gesellschaft kannten solche gesellschaftlichen Verhaltensmuster. Ein Staatswesen, das körperliche Gewalt auf seine Bürger ausübt, wird von nicht wenigen Menschen als "Mechanismus zur Abreibung unliebsamer Mitmenschen" missbraucht. Dann soll der Foltermeister ihnen zu Diensten sein - ein Staatsanwalt, der juristische Vernunft walten läßt, kann nur wenig zur Befriedigung niederer Gelüste gedrängt werden. Der Folterstaat macht aus seinen Bürgern auch dann Bestien, wenn sie nicht direkt mit der Folter zu tun haben. Er legt die niedersten Triebe frei, macht Verleumdung und Zuträgerei zur Normalität, autorisiert die Boshaftigkeit und Schadenfreude.
Ein Staat der Folter wird zum Instrument kleinkarierter Mitbürger, die ihren Gesinnungsterror oder ihren plumpen Menschenhass in die Institutionen tragen - ein Staat unter strengen rechtsstaatlichen Normen, kann nicht zum Instrument des Mobs werden. Der Folterstaat kennt nur die Angst als Urmotiv - der Rechtsstaat (ohne Folter!; denn die Apologeten der Folter würden auch den Folterstaat einen Rechtsstaat nennen) zeugt von Selbstvertrauen. Ein Klima der Angst setzt Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung in Gang, um aus Angst wiederum, Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung zu schürfen, was immer wieder in neuerliche Eskapaden mündete. Das Selbstvertrauen des Rechtsstaates benötigt diesen Mechanismus nicht, ermutigt nicht die Niedertracht und die Verleumdungswut - er schürt keine Angst und merzt somit ängstliche Verhaltensweisen weitestgehend aus.