Die Flüchtlingskatastrophe und der imperialistische Hintergrund

Ergänzend zu meinem Artikel über die Krokodilstränen von Politik und Wirtschaft zu den sterbenden Flüchtlingen im Mittelmeer wollte ich noch einen Hintergrundartikel schreiben – aber wie ich gerade gesehen habe, hat die World Socialist Website den heute schon publiziert – da kann ich mir die Arbeit sparen:

Die Flüchtlingskatastrophe und der neue „Wettlauf um Afrika“
– 23. April 2015
Die europäischen Mächte nutzen das Massensterben im Mittelmeer, um die Rekolonialisierung Afrikas voranzutreiben.
Auf ihrem heutigen Treffen in Brüssel werden die EU-Staats- und Regierungschefs den Zehn-Punkte-Plan verabschieden, den die EU-Außen- und Innenminister am Montag in Luxemburg auf einem Sondertreffen ausgehandelt haben. Er beinhaltet im Kern eine Ausweitung der Polizei- und Militäroperationen gegen Flüchtlinge und den Ausbau der „Festung Europa“. Gleichzeitig ist er Bestandteil viel umfassenderer Pläne der ehemaligen Kolonialmächte für einen neuen „Wettlauf um Afrika“.
Das Vorgehen der EU ist so zynisch wie kriminell. Nachdem die europäischen Mächte und Washington mit ihren Kriegen in Afrika und im Nahen Osten die gesamte Region zerstört und Millionen zu Flüchtlingen gemacht haben, nutzen sie das selbst geschaffene Chaos, um unter dem Deckmantel der „Lösung des Flüchtlingsproblems“ und des „Kampfs gegen Schleuser“ in ihre alten Kolonien zurückzukehren.

Seit Tagen diskutieren die europäischen Regierungen in Brüssel, Berlin, Paris, London und Rom immer offener über Kriegsziele und Methoden. Sei streben ein UN-Mandat für Militäreinsätze vor der libyschen Küste an, um gezielt Flüchtlingsboote zu zerstören und „Spezialkräfte“ gegen Schleusergruppen im Landesinneren einzusetzen.

Daneben werden weitere Operationen ins Auge gefasst, darunter die militärische Eroberung libyscher Ölraffinerien, die Installation einer pro-europäischen Einheitsregierung in Tripolis, die „Stabilisierung von Tunesien und Marokko“, die „Flüchtlingsursachenbekämpfung“ und das Errichten von Auffanglagern auch in Ländern südlich der Sahara.
Berlin, das sich beim Nato-Bombardement Libyens vor vier Jahren noch enthalten hatte, steht nun an der Spitze der Diskussion über ein erneutes militärisches Eingreifen in Afrika. Die Aussagen führender Regierungsmitglieder sowie Berichte in den Leitmedien geben einen Einblick in die weitreichenden Pläne.

Man müsse „mehr Stabilität nach Libyen bringen“ und vor Ort den „Schlepperorganisationen das Handwerk legen“, forderte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.
Der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Roderich Kiesewetter, erklärte im Deutschlandfunk, für einen „Polizeieinsatz in Nordafrika“ werde zwar „ein UN-Mandat“ benötigt, er denke jedoch, dass dies „leichter zu erreichen [sei] als für Irak oder Syrien“.

Innenminister Thomas de Maizière forderte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „ein robustes Mandat, um gegen die Schlepper vorzugehen“. Es sei auch eine Mission denkbar, die es ermögliche, „bis an die Häfen und deren Infrastruktur heran einzugreifen“.

Es besteht kein Zweifel, dass Berlin diesmal eine führende Rolle bei der Vorbereitung einer neuen Militärintervention spielen will. Ein „robustes Mandat“ ist ein UN-Mandat, das nach Kapitel VII (Artikel 42) der UN-Charta den „Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen“ erlaubt.

In Libyen wird der Zynismus dieser „humanitären“ Propaganda deutlich. Der Krieg, der Gaddafi stürzte, das ganze Land zerstörte und dessen schrecklich Auswirkungen nun für einen neuen Militäreinsatz in Libyen bemüht werden, wurde ebenfalls mit Artikel 42 begründet!
Laut Spiegel Online laufen im deutschen Verteidigungsministerium „bereits Vorbereitungen für eine mögliche deutsche Teilnahme – sowohl an einer schnellen Seenotrettungsmission der EU als auch für die langfristige Idee für eine konzertierte Militäroperation gegen die Schleuserbanden auf dem Mittelmeer“.

Die Nachrichtenwebsite berichtet, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits Anfang der Woche bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) gemeldet habe, um für das heutige Sondertreffen der EU „eine Liste mit möglichen deutschen Angeboten für beide Operationen“ zu erstellen.

Spiegel Online schreibt: „Schon jetzt haben die Militärs der Ministerin Listen vorgelegt, welche deutschen Schiffe für die beiden Optionen verfügbar wären. Zum einen geht es um die Korvette ‚Erfurt‘, die bereits im Mittelmeer vor der Küste des Libanons im Einsatz ist. Zudem könnte man einen weiteren Klein-Verband, derzeit in der Region Dschibuti, recht schnell ins Mittelmeer verlegen.“

Die bürgerlichen Medien träumen bereits vom Einsatz der deutschen Marine vor Afrika. Unter dem Titel „Was unsere Marine im Mittelmeer leisten kann“ plädiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung für eine deutsche Führungsrolle bei einem internationalen Militäreinsatz. Das Beispiel Atalanta (der Anti-Piraterie Einsatz der EU am Horn von Afrika) zeige, „welche Rolle auf längere Sicht die deutschen Streitkräfte in einem solchen multinationalen Verband spielen könnten. Deutsche Fregatten wären in der Lage, einen solchen Verband von Kriegsschiffen oder Patrouillenbooten zu führen,“ schreibt die F.A.Z.
Dass es Berlin und Brüssel nicht um „humanitäre“ Hilfe für Flüchtlinge, sondern de facto um Krieg geht, ist so offensichtlich, dass es selbst einige bürgerlichen Medien zugeben. „Das ist nicht human, das ist keine humanitäre Initiative“ kommentiert die Süddeutsche Zeitung die geplanten Maßnahmen der EU.

Um was geht es Brüssel und Berlin?

Um das zu verstehen, genügt ein Blick die „Afrikapolitischen Leitlinien“, die die Bundesregierung im Frühjahr 2014 verabschiedet hat. Das Dokument spricht von einer „wachsenden Relevanz Afrikas für Deutschland und Europa“, die sich unter anderem aus der wachsenden, dynamischen Wirtschaft und den „reichen natürlichen Ressourcen“ des Kontinents ergebe. Die Bundesregierung will deshalb „das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt“ stärken, „früh, schnell, entschieden und substanziell“ handeln und „ressortübergreifend … das gesamte Spektrum ihrer vorhandenen Mittel einsetzen“, heißt es im Papier.

Die herrschenden Eliten betrachten die mehr als tausend Flüchtlinge, die innerhalb einer Woche ertrunken sind, als Chance. Sie schlachten den Massenmord im Mittelmeer – für den sie selbst verantwortlich sind – kaltblütig für ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen aus.

Der neue „Wettlauf um Afrika“ wirft historische Fragen auf. Anfang des 20. Jahrhunderts führte der Kampf der imperialistischen Mächte um die Kontrolle des Kontinents nicht nur zu schrecklichen Verbrechen an der einheimischen Bevölkerung, er war auch das Vorspiel zum Ersten Weltkrieg. Diesmal wird es nicht anders sein. Wenn die Arbeiterklasse nicht eingreift, ist es nur ein Frage der Zeit, bis der Kampf um Rohstoffe und Einflusssphären auch wieder zu bewaffneten Konflikten zwischen den Großmächten führt.
Eine erneute Militärintervention in Afrika und ein dritter Weltkriegs, können nur durch die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und revolutionären Programms verhindert werden. Wir rufen deshalb alle Leser auf, sich noch heute für die Internationale Online-Maifeier des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 3. Mai zu registrieren.

Die zentralen Slogans lauten:
Nieder mit Kapitalismus und Imperialismus!
Für die internationale Einheit der Arbeiterklasse gegen Krieg, Diktatur und Armut!
Für Frieden, Gleichheit und Sozialismus!
Johannes Stern



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