Die Felix Sturm Fight Card

Der Kampfabend begann mit dem Superweltergewichtler Maurice Weber (16 Kämpfe, 14 Siege, 4 durch KO, 1 Niederlage, 1 Unentschieden). Weber boxte gegen Andrei Dolhozhyieu aus Weißrussland. Wie schon in der Kampffolge angekündigt, versprach auch der Ringsprecher den Zuschauern einen Andrei Dolhozhyieu aus Weißrussland mit einem Kampfrekord von 25 Kämpfen, 14 Siegen, 6 durch KO, 8 Niederlagen, 1 durch KO und 3 Unentschieden. Nun musste ich aber feststellen, dass boxrec nur einen Andrei Dolhozhyieu kennt mit 2 Kämpfen, 1 Sieg, 1 durch KO und einen Unentschieden. So wie Dolhozhyieu dann auch boxte, hätte man auf die Idee kommen können, dass der Matchmaker von Sturm Box-Promotion womöglich dessen Kämpfe gegen seine jüngere Schwester mit in den Kampfrekord eingerechnet hat.
Der Geschehen im Ring war eine Farce. Dolhozhyieu, der überhaupt nicht boxen konnte, ging nach einem leichten Körpertreffer zu Boden. Der Ringrichter Arnold Golger zählte ihn an. Dolhozhyieu kam wieder hoch, drehte sich direkt ab und machte sich auf den Weg in seine Ecke. Weber witterte seine Chance und setzte nach, um auf dessen Hinterkopf zu schlagen. Golger übersah das grobe Foul, brach den Kampf ab und erklärte Weber zum Sieger. Der Ringsprecher verkündete dann einen KO nach 1:06. Entweder kennt der Herr den Unterschied zwischen TKO und KO nicht, oder er wollte das Publikum nicht verwirren. Wenn ich meine Mitschrift richtig entziffern kann, passierte das alles noch in Runde 1.
Im zweiten Kampf durfte ein weiterer Weißrusse von der gleichen boxerischen Güte ran, u. z. Vadzim Zmitrovich (7 Kämpfe, 2 Siege, 2 durch KO, 5 Niederlagen, 5 durch KO). Immerhin – und dies ist das Beste, was man über ihn sagen kann – trat er mit seinem realen Kampfrekord an. Er boxte einen sehr eigenwilligen Stil. Er holte für seine Schwinger weit aus, streckte das Kinn so hoch wie möglich und hielt seine Augen möglichst geschlossen. Der Schwergewichtler Adnan Redzovic (6 Kämpfe, 6 Siege, 2 durch KO) schickte ihn dann einmal durch einen Körpertreffer und einmal durch einen Kopftreffer zu Boden. Glücklicherweise wurde der Kampf nach 2:12 in der ersten Runde abgebrochen. Der Ringsprecher verkündete dann – was schon? – einen KO.
Auch im dritten Kampf trat ein Herr aus Weißrussland an. Ruslan Rodivich (18 Kämpfe, 10 Siege, 10 durch KO, 8 Niederlagen, 4 durch KO) war immerhin ein kleines bisschen besser als seine Landsleute. Er hielt gegen den Schwergewichtler Mike Keta (11 Kämpfe, 10 Siege, 9 durch KO, 1 Niederlage, 1 durch KO) fast zwei ganze Runden durch. Am Anfang wehrte sich Rodivich ein wenig und er kam sogar einmal mit einer Rechten durch. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Keta, der wie ein Kickboxer, nicht wie ein Boxer boxte, sich selber das Leben schwer machte. In der zweiten Runde schickte er seinen Gegner dann mit jeweils einen Körpertreffer zweimal zu Boden, woraufhin der Kampf abgebrochen wurde. Der Ringsprecher verkündete dann – wie könnte es auch anders sein – einen KO.
Der vierte Kampf versprach viel und hielt ziemlich wenig. Im Schwergewicht trat Denis Boytsov (31 Kämpfe, 31 Siege, 25 durch KO) gegen den erfahrenen Handlungreisenden in Sachen Boxen, Dominick Guinn (43 Kämpfe, 33 Siege, 22 durch KO, 9 Niederlagen), an. Nun erwartete keiner wirklich eine Sensation, zumal der 42jährige Amerikaner seine letzten zwei Kämpfe verloren hatte, aber die Ansetzung war im Prinzip nicht schlecht. Die drei ersten der insgesamt10 Runden waren ganz schön anzusehen. Es gab solides Boxen. Boytsov spielte seine Schnelligkeit aus und boxte variabel. Guinn konnte mit Kopf- und Aufwärtshaken punkten. Danach hörte Boytsov praktisch auf, seine Rechte zu benutzen. Bis auf zwei oder drei Schläge boxte er nur noch mit seiner linken Hand, wodurch der Kampf dann sehr ausgeglichen und langweilig wurde. Mich erinnerte er mehr an ein sehr lahmes Sparring. Dass der Kampf sehr ausgeglichen war, sahen die Punktrichter Arnold Golger, Klaus Griesel und Arno Ponkrandt nicht, denn sie werteten 100:90, 99:91 und 100-90. Diese Punktrichterleistung schließt sich für mich nahtlos an die boxerische Leistung der Herren aus Weißrussland an.
Nach dem doch eher schwachen Kampf fiel im Folgenden das Niveau wieder ins Bodenlose. Wieder kam einer der Protagonisten, nämlich Andrei Shilovich (7 Kämpfe, 1 Sieg, 6 Niederlagen, 6 durch KO), aus Weißrussland. Der arme Mann wurde sogar von den Zuschauern ausgelacht. Sicher, Menschen, die panische Angst haben, sollte man nicht auslachen. Aber sein Tun im Ring sah einfach nur nach Slapstick aus. Glücklicherweise flog relativ schnell das Handtuch. Nun hat der Schwergewichtler Adam Lautenschläger (5 Kämpfe, 5 Siege, 5 durch KO) also noch einen TKO nach 2:50 in seinem Kampfrekord.
In dem einzigen Frauenboxkampf des Abends verteidigte Nadia Raoui erfolgreich ihren Weltmeistertitel der WIBA im Weltergewicht gegen Eileen Olszewski (13 Kämpfe, 7 Siege, 4 Niederlagen, 2 Unentschieden). Es fing schon schwierig an. Bevor der Kampf los gehen konnte, musste erst mal der Punktrichter Jean-Louis Legland gesucht werden, der nur diesen einen einzigen Kampf zu punkten hatte. Er ließ sich Zeit mit seinem Erscheinen und die Boxerinnen und ein paar Tausend Zuschauer mussten also auf einen Punktrichter warten. Eine weitere Vorbelastung bestand darin, dass der Kampf seine Brisanz aus der Tatsache zog, dass Raoui am 20.12.2008 in Zürich umstritten ein Unentschieden gegen die in Honolulu geborene New Yorkerin hinnehmen musste.
Sehr schnell etablierte sich ein Muster, welches nahezu den ganzen Kampf über gleichbleibend bestimmte. Die kleinere Raoui machte Druck und trieb ihre Gegnerin vor sich her. Diese verließ sich, ihre Deckung lässig tief haltend, auf ihre guten Reflexe und boxte im Rückwärtsgang. Raoui dominierte den Kampf und ging auf Nummer Sicher. Sie ging in Olszewski rein, setzte einen Treffer und ging wieder raus. Sie setzte praktisch nie nach und wirkte insgesamt verkrampft.
Der Kampf dauerte die für WM-Kämpfe der Frauen üblichen 10 Runden, keine 8 und keine 6, sondern die üblichen 10 Runden. Die in Herne geborene Boxerin musste auch nicht zwei Runden länger boxen. Wir erinnern uns: Nadia Raoui ist wohl die erste deutsche Boxerin, die in einem acht Runden Kampf Weltmeisterin geworden war. Zwar verstieß damit der Weltverband WIBA (Women’s International Boxing Association) gegen seine eigenen Regeln, aber wofür braucht man schon Regeln?
Der Kampf wurde dann 98:93, 100:90 und 98:93 gewertet. Der WIBA Punktrichter, der jede Runde Nadia Raoui gegeben hatte, war der schon erwähnte Jean-Louis Legland. Vermutlich war ihm dadurch, dass er sich so beeilen musste, um zum Ring zu kommen, auf seinem Stuhl schwarz vor Augen geworden. Man kann nur für ihn und für die Glaubwürdigkeit der WIBA hoffen, dass er sich ein paar Jahrzehnte Zeit nimmt, um sich von seinen Anstrengungen zu erholen und sich in der Zwischenzeit der ihn so erschöpfenden Tätigkeit des Punktens enthält.
Der Kampf langweilte mich. Zwar sah ich durchaus gutes Frauenboxen. Es war ein Frauenboxen auf hohem technischem Niveau, aber der Kampf langweilte mich. Dieser Kampf war auch der letzte, den der deutsche Ringsprecher ansagte. Er hatte offensichtlich schon etwas von dem ihm nun auftretenden Michael Buffer gehört. Jedenfalls gab er sich wohl im Rahmen seiner Möglichkeiten Mühe wie dieser zu klingen. Damit konnte er ähnlich beeindrucken wie die weißrussischen Boxer.
Der Hauptkampf des Abends entschädigte – zumindest teilweise – für das Vorprogramm. Felix Sturm (41 Kämpfe, 37 Siege, 16 durch KO, 2 Niederlagen, 2 durch KO, 2 Unentschieden) verteidigte erfolgreich seinen „Super Champion“ Titel der WBA (World Boxing Association) gegen Sebastian Zbik (32 Kämpfe, 30 Siege, 10 durch KO, 2 Niederlage, 1 durch KO). Der Kampf war unglaublich schnell und bewegte sich auf einem extrem hohen boxerischen Niveau. Das Ergebnis ist bekannt: Zbik gibt nach der 10. Runde auf. Erstaunlich erschien mir, dass einem so erfahrenen Boxer wie ihm, der sich so lange auf den Kampf vorbereitet hat, auch mit Höhentraining, die Puste ausgehen konnte. Aber zu seiner Ehrenrettung muss man auch sagen, dass Felix Sturm wohl noch nie, oder zumindest seit langer Zeit nicht mehr, so gut war wie in diesem Kampf. Seine Führhand kam wieder explosiv. Er war beweglich. Ganz offensichtlich war die Trennung von seinem Trainer Clive Salz, der so auf Kraft gesetzt hat, der richtige Schritt.
Mein persönliches Resümee der Felix Sturm Fight Card: Ein sehr guter, ein recht guter, ein sehr schwacher und vier grauenerregend schlechte Kämpfe.
© Uwe Betker


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