Integrationsforscher Klaus Bade
In einem sehr lesenswerten Artikel der Deutsch-Türkischen Nachrichten meint der Integrationsfroscher Klaus Bade: “Die Deutschen jammern in Sachen Integration auf einem hohen Niveau”.
Ich meine, dass der Artikel ein gutes Bild der Lage in Deutschland abgibt. Wenngleich die Aussage am Ende des Zitates etwas mehr Differenzierung benötigt. (Doch das ist ein gesonderter Artikel.)
Wie kommt es, dass in vielen Fällen das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen in Deutschland viel besser abläuft als etwa in Frankreich, dass aber die mediale Selbstreflexion Deutschland als am Rande des Kollapses beschreibt?
[...] Integration ist in Deutschland aber auch insgesamt viel besser als ihr Ruf im Land, und zwar auch im internationalen Vergleich. Das war ein zentrales Ergebnis des Jahresgutachtens “Einwanderungsgesellschaft 2010″ des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) im Mai 2010 (www.svr-migration.de). Damit erstmals verbunden war unser “Integrationsbarometer”, in dem wir beide Seiten der Einwanderungsgesellschaft, also Zuwandererbevölkerung und deutsche Mehrheitsbevölkerung mit den gleichen empirie-orientierten und nicht etwa nur allgemeinhin meinungsbezogenen Fragen konfrontiert haben. Das Integrationsbarometer zeigte, dass im Alltag der Einwanderungsgesellschaft das gegenseitige Grundvertrauen und auch die Sicht von Integration und Integrationspolitik auf beiden Seiten bei weitem positiver sind als dies die skandalisierende, sensationalistische und miesepetrige Berichterstattung darüber seit vielen Jahren vermuten ließ. Auch die von Politik immer wieder gezeichneten Schreckbilder und Horrorszenarien von der angeblich flächendeckend ‚gescheiterten Integration‘ waren und sind abwegige Zerrbilder, die mit der Realität so viel zu tun haben wie eine Geisterbahn. Integration ist in Deutschland vielmehr relativ gut gelungen, obgleich Politik, von der kommunalen Ebene und den Mittlerorganisationen einmal abgesehen, dabei jahrzehntelang nicht nur nicht sonderlich hilfreich, sondern zuweilen sogar ausgesprochen hinderlich war.
Die Deutschen jammern in Sachen Integration also auf sehr hohem Niveau. Fraglos gibt es Schwachstellen und spannungsgeladene Dunkelzonen der Integration, insbesondere dort, wo soziale Probleme und Integrationsprobleme sich gegenseitig verstärken. Aber das sind die auffälligen Ausnahmen, die in Wirklichkeit nur die Regel der im Großen und Ganzen friedvoll und erfolgreich verlaufenden Integration bestätigen. Das Geheimnis erfolgreicher Integration aber ist, daß sie unauffällig bleibt. Auffällig sind nur die Betriebsunfälle. Und die werden von der sensationsgierigen Desintegrationspublizistik stets aufs Neue skandalisiert nach dem bekannten Motto: Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht. Aber man kann das Geheimnis des ruhig fließenden Verkehrs nicht analysieren, wenn man nur auf die Verkehrsunfälle schaut.
Einer der ganz großen Konfliktherde sind die Schulen: Was wurde hier falsch gemacht, was muß hier dringend verbessert werden?
Bildung ist ein Risikogeschäft. Staat und Gesellschaft können nur Angebote machen. Ob und wie sie genutzt werden, ist Sache der Einzelnen, die auch die Verantwortung für die Folgen ihres Verhaltens tragen müssen. Voraussetzung dafür, daß das funktioniert, sind aber gleiche Chancen. Und daran fehlt es nach wie vor. Es wird zwar auf die gleiche Bewertung gleicher Leistungen geachtet. Aber es wird zu wenig auf die sozial ganz unterschiedlichen Bedingungen geachtet, unter denen diese Leistungen erbracht werden oder eben nicht erbracht werden können. Das gilt z.B. wenn die Eltern kein Deutsch können und den Kindern auch darüber hinaus nicht das mitgeben können, was diese für einen erfolgreichen und ihren Begabungen entsprechenden Schulbesuch mitbringen müssen. Die Förderung im Vorschul- und im frühkindlichen Bereich ist aber noch bei weitem nicht hinreichend. Vieles hat sich in den letzten Jahren verbessert, aber nach wie vor gilt: Von gleichen Bildungschancen oder gar Bildungserfolgen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund kann noch immer nicht die Rede sein.
Zum Hintergrund zählt ein weiteres Dilemma: Nach dem SVR-Integrationsbarometer befürworten Eltern aus Mehrheits- wie Zuwandererbevölkerung zwar durchweg Gleichberechtigung bei den Bildungschancen und auch die Erziehung in heterogenen Schulklassen. Sie haben aber meist eine negative Einschätzung der Leistungsfähigkeit von Schulen mit ethnisch heterogener Schülerschaft; denn sie bringen ethnisch stark heterogene Schulen, oft nicht zu Unrecht, vor allem mit sozial schwachen Elternhäusern in Verbindung. Deshalb wollen sie für die eigenen Kinder nicht das “Risiko” ethnisch gemischter Schulklassen eingehen. Das gilt nicht nur für bildungsorientierte Eltern aus der Mehrheitsbevölkerung, sondern auch für Aufsteigerhaushalte mit Migrationshintergrund. Sie ziehen weg, um ihre Kinder in einer ‚besseren‘ Schule anmelden zu können. Dieses – verständliche – Verhalten von Eltern verschärft noch die Probleme vor Ort.
Forderungen nach einem Umbau des Bildungssystems zugunsten von Chancengleichheit prallen also bei wachsender Heterogenität an der Abwehrhaltung von bildungsorientierten Eltern ab. Solange sich die Einschätzung hält, dass Heterogenität der Schülerschaft und Leistungsfähigkeit der Schule weitgehend unvereinbar sind, wird sich die soziale Segregation im Bildungswesen nicht wirksam bekämpfen lassen. Dieses Dilemma kann man nur begrenzen, wenn sich durch innovatives Engagement, durch konzeptionelle, personelle und materielle Investitionen in heterogene Schulen deren Attraktivität erhöht.
Durch den 11. September 2001 ist der Islam weltweit schlagartig mit bösartigstem Terrorismus in Verbindung gebracht worden. In Deutschland hat sich dieses Thema besonders gehalten, weil einige der Terroristen lange und unbehelligt hier gelebt haben. Wo ist ein Hebel, damit die Auseinandersetzung mit dem Islam entgiftet wird?
Es gibt in Deutschland eine sich anti-islamistisch gerierende, in Wahrheit aber anti-islamische Strömung, deren publizistische Meinungsführer sehr einträglich von der ständigen Beschwörung einer angeblichen Bedrohung durch “den Islam” leben. Gegenüber diesen Denunziationskampagnen wissen viele Meinungsführer auf der muslimischen Seite gar nicht mehr, was sie tun sollen: Positionieren sie sich öffentlich, wird ihnen aggressiver Drang zu “Missionierung” zu “Unterwanderung” oder “Überfremdung” unterstellt. Ziehen sie sich zurück, wird von “Parallelgesellschaften” geredet. So macht man Integrationsbereitschaft kaputt.
Man muß dieses undifferenzierte Islam-Feindbild auflösen: Nicht “der Islam” ist eine Bedrohung. Er ist vielmehr eine mehrheitlich friedvolle, aus vielen unterschiedlichen Strömungen und Lehrtraditionen bestehende religiöse Weltdeutung, jedenfalls was die aus dem türkischen-islamischen Zusammenhang stammenden Lehrtraditionen angeht, die in Deutschland dominieren. Zweifelsohne gibt es fundamentalistische Strömungen, die die Heiligen Schriften eins zu eins übernehmen und umsetzen wollen. Aber es gibt ja schließlich auch christlich-fundamentalistische Sekten, die außer der Wort für Wort zu lebenden Bibel kein anderes Buch akzeptieren wollen. Sicher gibt es im Koran einzelne, immer wieder vorgeführte martialische Suren, aber das Alte Testament ist in manchen Stellen auch nicht gerade eine kuschelige Erzählung. [...]
[Danke, dontyoubelievethehype.com, für den Hinweis]
Nic