2,89 Promille! Im Endeffekt bedeutete das für Italo monatelangen Führerscheinentzug und 4.500 DM Geldstrafe oder ersatzweise 3 Monate Haft. Die Punkte in Flensburg waren da nur noch Makulatur.
Der Bauer, dem das Flurstück gehörte, war sehr kulant und forderte keine Entschädigung. Die Kosten für die Instandsetzung des Seitenstreifens an der Stelle, an der Italo über die Kurve hinausschoss, mussten wir übernehmen. Sehr viel war es nicht, ich kann mich aber beim besten Willen nicht mehr an den Betrag erinnern.
Das Schlimmste jedoch war der Verlust des Arbeitsplatzes.
Italo war bereits einige Jahre bei seinem Arbeitgeber, einem Baustoffhandel, angestellt. Er hatte dort auch seine Ausbildung gemacht.
Die Kündigung traf ihn sehr, sehr hart. Erst jetzt wurde ihm die Verantwortung seiner kleinen Tochter Bianca und mir gegenüber bewusst. Immer wieder sagte er: "Ich bin ein Versager!" und badete sich in seinem Selbstmitleid. Anfangs erreichte er damit genau das, was er wollte: ich versuchte ihn zu trösten, ihn aufzubauen, malte ihm Perspektiven auf, stützte ihn. Doch als er gar nicht mehr damit aufhörte sich selbst zu bemitleiden, da erwachte in mir mein gesunder Menschenverstand und aus der liebevoll tröstenden Ehefrau wurde die fordernde und treibende Partnerin, die unmissverständlich klar machte, was Sache war.
Ich brachte ihn dazu, Klage gegen die fristlose Kündigung einzureichen. Das Arbeitsgericht entschied, dass die fristlose Kündigung zu unrecht ausgesprochen worden war. Man bot ihm eine Abfindung, alternativ einen Arbeitsplatz in einer anderen Filiale im Backoffice, ohne Außendienst. Italo entschied sich für den Arbeitsplatz. Dieser war um einiges weiter entfernt als seine alte Arbeitsstelle, ohne Auto brauchte er täglich mit dem öffentlichen Nahverkehr jeweils 1,5 Stunden zur und von der Arbeit nach Hause.
Die Kollegen dort wussten alle, warum er zu ihnen "strafversetzt" wurde. Ihr Verhalten Italo gegenüber war distanziert und zurückhaltend. Hinter vorgehaltener Hand wurde über ihn getuschelt und die Arbeiten, die er zur Erledigung bekam, waren die Aufgaben, die die Kollegen nur zu gerne an ihn weiter delegierten, Ablage, umräumen, Statistiken auswerten...
Er fühlte sich dort nicht wohl und wollte nur solange bleiben, bis er eine andere Stelle gefunden hatte. Also studierte er die regionale Tageszeitung und bewarb sich bei vielen Firmen. Doch keiner wollte ihn haben.
An einem Samstag sah er eine Anzeige eines hiesigen großen Baustoffhändlers, der auch Baumärkte unterhielt. Dieser suchte Baustoffkaufleute mit Italienischkenntnissen. Na das hörte sich doch mal vielverprechend an! Italo bewarb sich sofort und wurde auch tatsächlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Er ging davon aus, dass es eine Stelle war, bei der er für die Firma Einkäufe in Italien tätigen müsse. Aber weit gefehlt! Diese Firma begann zu dieser Zeit gerade damit, eine Baumarktkette in Italien aufzubauen. Sie suchte Fachkräfte, die in Italien vor Ort bei dieser Aufgabe unterstützend tätig waren. Das in Deutschland erworbene Know-How sollte den italienischen Angestellten vermittelt werden, denn damals gab es in Italien noch so gut wie keine Baumärkte. Dieser Sektor war noch eine absolute Marktlücke und man wollte sich als einer der Ersten dort etablieren.
Als Italo mir dies erzählte reagierte ich erst ein bisschen verhalten. Dies würde für uns ja bedeuten, dass er entweder alleine nach Italien ging und ich mit Bianca in Deutschland zurück blieb. Oder ich würde mit ihm gehen, mit allen Konsequenzen, die dazu gehörten: Familie und Freunde verlassen, alleine mit meinem alkoholkranken Mann in ein für mich fremdes Land gehen, dessen Sprache ich kaum verstand. Wie gesagt, es gab noch keine Handys, keine PC's, Webcams oder Chats. Der Kontakt zu Familie und Freunden lief ausschließlich über das damals sündhaft teure Telefon oder über das gute alte Briefe schreiben.
Erst war ich von keiner der beiden Möglichkeiten begeistert. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr erwärmte ich mich für die zweite Variante. Endlich hätten wir die Möglichkeit, alles Geschehene hier zurück zu lassen und nochmals komplett neu in Italien anzufangen. So dachte ich damals zumindest. Heute weiß, ich, dass man seinen Problemen nicht davon laufen kann, irgendwann holen sie einen ein, egal wo man sich vor ihnen versucht zu verstecken.
Der Gedanke eines kompletten Neuanfangs ließ mich nicht los. Er gewann immer mehr Raum. Zudem war meine Abenteuerlust erwacht. Als Deutscher auswandern war Anfang/Mitte der Achtziger Jahre nicht gerade an der Tagesordnung. Und wenn man auswanderte, dann in die USA, nach Kanada oder in den Norden Europas. In den Süden gingen die wenigsten, denn dort gab es meist weniger Arbeit als bei uns. Trotzdem: der Gedanke reizte mich immer mehr. Da zu leben, wo andere Urlaub machten, viel Sonne, die gute italienische Küche, die wunderbare Landschaft, das Meer... alles erschien so verlockend. Außerdem wusste dort keiner von unseren Schwierigkeiten, das machte das Leben dort sicherlich auch einfacher.
Über Italo's Alkoholsucht machte ich mir zwar Gedanken, aber im Endeffekt redete ich mir ein, dass auch er sich der Chance eines Neuanfangs so bewusst war wie ich und diese Chance auch nutzen würde. Er wäre weg von seinen Kumpanen, mit denen er hier regelmäßig versumpfte, wäre weg von seiner Familie, die ihm in Bezug auf seine Alkoholkrankheit leider keine Hilfe war, sondern ihn immer wieder zum Trinken verleitete.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass diese Stelle genau das Richtige für Italo - und demzufolge auch für uns - war.
Nächtelang diskutierten wir darüber und am Ende waren wir uns einig: sollte Italo die Stelle bekommen, dann würden wir nach Italien gehen.
Nervös warteten wir die nächsten zwei Wochen auf die noch ausstehende Entscheidung der Baustofffirma.
Endlich! Die Entscheidung war gefallen: Italo bekam die Stelle! Juhuu! Wir würden also tatsächlich nach Italien ziehen, wir waren außer uns vor Freude!
Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: wir würden nicht zu dritt, sondern zu viert nach Italien ziehen. Ich war wieder schwanger!
Der Bauer, dem das Flurstück gehörte, war sehr kulant und forderte keine Entschädigung. Die Kosten für die Instandsetzung des Seitenstreifens an der Stelle, an der Italo über die Kurve hinausschoss, mussten wir übernehmen. Sehr viel war es nicht, ich kann mich aber beim besten Willen nicht mehr an den Betrag erinnern.
Das Schlimmste jedoch war der Verlust des Arbeitsplatzes.
Italo war bereits einige Jahre bei seinem Arbeitgeber, einem Baustoffhandel, angestellt. Er hatte dort auch seine Ausbildung gemacht.
Die Kündigung traf ihn sehr, sehr hart. Erst jetzt wurde ihm die Verantwortung seiner kleinen Tochter Bianca und mir gegenüber bewusst. Immer wieder sagte er: "Ich bin ein Versager!" und badete sich in seinem Selbstmitleid. Anfangs erreichte er damit genau das, was er wollte: ich versuchte ihn zu trösten, ihn aufzubauen, malte ihm Perspektiven auf, stützte ihn. Doch als er gar nicht mehr damit aufhörte sich selbst zu bemitleiden, da erwachte in mir mein gesunder Menschenverstand und aus der liebevoll tröstenden Ehefrau wurde die fordernde und treibende Partnerin, die unmissverständlich klar machte, was Sache war.
Ich brachte ihn dazu, Klage gegen die fristlose Kündigung einzureichen. Das Arbeitsgericht entschied, dass die fristlose Kündigung zu unrecht ausgesprochen worden war. Man bot ihm eine Abfindung, alternativ einen Arbeitsplatz in einer anderen Filiale im Backoffice, ohne Außendienst. Italo entschied sich für den Arbeitsplatz. Dieser war um einiges weiter entfernt als seine alte Arbeitsstelle, ohne Auto brauchte er täglich mit dem öffentlichen Nahverkehr jeweils 1,5 Stunden zur und von der Arbeit nach Hause.
Die Kollegen dort wussten alle, warum er zu ihnen "strafversetzt" wurde. Ihr Verhalten Italo gegenüber war distanziert und zurückhaltend. Hinter vorgehaltener Hand wurde über ihn getuschelt und die Arbeiten, die er zur Erledigung bekam, waren die Aufgaben, die die Kollegen nur zu gerne an ihn weiter delegierten, Ablage, umräumen, Statistiken auswerten...
Er fühlte sich dort nicht wohl und wollte nur solange bleiben, bis er eine andere Stelle gefunden hatte. Also studierte er die regionale Tageszeitung und bewarb sich bei vielen Firmen. Doch keiner wollte ihn haben.
An einem Samstag sah er eine Anzeige eines hiesigen großen Baustoffhändlers, der auch Baumärkte unterhielt. Dieser suchte Baustoffkaufleute mit Italienischkenntnissen. Na das hörte sich doch mal vielverprechend an! Italo bewarb sich sofort und wurde auch tatsächlich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Er ging davon aus, dass es eine Stelle war, bei der er für die Firma Einkäufe in Italien tätigen müsse. Aber weit gefehlt! Diese Firma begann zu dieser Zeit gerade damit, eine Baumarktkette in Italien aufzubauen. Sie suchte Fachkräfte, die in Italien vor Ort bei dieser Aufgabe unterstützend tätig waren. Das in Deutschland erworbene Know-How sollte den italienischen Angestellten vermittelt werden, denn damals gab es in Italien noch so gut wie keine Baumärkte. Dieser Sektor war noch eine absolute Marktlücke und man wollte sich als einer der Ersten dort etablieren.
Als Italo mir dies erzählte reagierte ich erst ein bisschen verhalten. Dies würde für uns ja bedeuten, dass er entweder alleine nach Italien ging und ich mit Bianca in Deutschland zurück blieb. Oder ich würde mit ihm gehen, mit allen Konsequenzen, die dazu gehörten: Familie und Freunde verlassen, alleine mit meinem alkoholkranken Mann in ein für mich fremdes Land gehen, dessen Sprache ich kaum verstand. Wie gesagt, es gab noch keine Handys, keine PC's, Webcams oder Chats. Der Kontakt zu Familie und Freunden lief ausschließlich über das damals sündhaft teure Telefon oder über das gute alte Briefe schreiben.
Erst war ich von keiner der beiden Möglichkeiten begeistert. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr erwärmte ich mich für die zweite Variante. Endlich hätten wir die Möglichkeit, alles Geschehene hier zurück zu lassen und nochmals komplett neu in Italien anzufangen. So dachte ich damals zumindest. Heute weiß, ich, dass man seinen Problemen nicht davon laufen kann, irgendwann holen sie einen ein, egal wo man sich vor ihnen versucht zu verstecken.
Der Gedanke eines kompletten Neuanfangs ließ mich nicht los. Er gewann immer mehr Raum. Zudem war meine Abenteuerlust erwacht. Als Deutscher auswandern war Anfang/Mitte der Achtziger Jahre nicht gerade an der Tagesordnung. Und wenn man auswanderte, dann in die USA, nach Kanada oder in den Norden Europas. In den Süden gingen die wenigsten, denn dort gab es meist weniger Arbeit als bei uns. Trotzdem: der Gedanke reizte mich immer mehr. Da zu leben, wo andere Urlaub machten, viel Sonne, die gute italienische Küche, die wunderbare Landschaft, das Meer... alles erschien so verlockend. Außerdem wusste dort keiner von unseren Schwierigkeiten, das machte das Leben dort sicherlich auch einfacher.
Über Italo's Alkoholsucht machte ich mir zwar Gedanken, aber im Endeffekt redete ich mir ein, dass auch er sich der Chance eines Neuanfangs so bewusst war wie ich und diese Chance auch nutzen würde. Er wäre weg von seinen Kumpanen, mit denen er hier regelmäßig versumpfte, wäre weg von seiner Familie, die ihm in Bezug auf seine Alkoholkrankheit leider keine Hilfe war, sondern ihn immer wieder zum Trinken verleitete.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass diese Stelle genau das Richtige für Italo - und demzufolge auch für uns - war.
Nächtelang diskutierten wir darüber und am Ende waren wir uns einig: sollte Italo die Stelle bekommen, dann würden wir nach Italien gehen.
Nervös warteten wir die nächsten zwei Wochen auf die noch ausstehende Entscheidung der Baustofffirma.
Endlich! Die Entscheidung war gefallen: Italo bekam die Stelle! Juhuu! Wir würden also tatsächlich nach Italien ziehen, wir waren außer uns vor Freude!
Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: wir würden nicht zu dritt, sondern zu viert nach Italien ziehen. Ich war wieder schwanger!