Die bronzezeitlicher Gesellschaften Nordeuropas - Ihre Komplexität wurde bislang unterschätzt

"Zwingen zur Korrektur" - Die Forschungen auf dem ältesten Schlachtfeld Europas im Tollensetal in Mecklenburg, 1.300 v. Ztr.

Das älteste Schlachtfeld Europas (1.300 v. Ztr.) befindet sich im Tollensetal in Mecklenburg zwischen den Dörfern Weltzin im Süden und Burow im Norden (der braun markierte Bereich beiderseits des Flüßchens auf der Karte von Abb. 1).

Man fand am südlichen Ende des Schlachtfeldes Holzreste einer Brücke jener Zeit (1; Min. 4) und vermutet, daß eines der beiden Heere, die hier aufeinander trafen, diese Brücke (von Osten aus?) überqueren wollte und daß die Brücke (von der Anhöhe im Westen aus?) erbittert verteidigt wurde, so daß die Angreifer nach Norden ausgewichen sind, um dort die Tollense zu überschreiten.

Der Autor dieser Zeilen hat sich das Schlachtfeld erstmals im Juni 2010 angesehen (2). Damals war die Gegend so verschlafen wie man sich nur immer denken kann. Ob sie das heute, neun Jahre später noch immer ist? Oder ob man schon beginnt, sie touristisch zu erschließen ähnlich wie in Kalkriese oder andernorts? In Bezug auf die weltgeschichtliche Einordnung der Schlacht an der Tollense in Mecklenburg um 1.300 v. Ztr. kommen die Archäologen allmählich nämlich zu immer wirklichkeitsnäheren Einschätzungen (3):

Die Zahl (der anzunehmenden Schlachtteilnehmer) zwingt zur Korrektur des bisherigen Wissens. (...) Sie kann nur mit der Existenz einer zentralen Herrschaft erklärt werden, die für jene Epoche bislang kaum vorstellbar schien.

Man möchte meinen, daß es vor allem die heute "übervorsichtig" gewordene Vorgehensweise der Archäologen beim Interpretieren der von ihnen vorgefundenen Befunde ist, die zu solchen "Überraschungen" führt. Oder stellen sie einfach nicht genug in Rechnung, was alles schon bekannt ist? Die größte Siedlungsdichte vor dem Frühmittelalter gab es in Europa schon mit der ersten bäuerlichen Kultur, der Bandkeramik um 5.000 v. Ztr.. Das haben wir hier auf dem Blog schon vor Jahren behandelt.

"Weitreichende Bevölkerungsverschiebungen" kinderreicher Völker

Braucht man - wenn man das weiß - nicht in der Wissenschaft auch für die Nachfolgekulturen mitunter nur einmal ein wenig Phantasie? Wenn es schon um 3.100 v. Ztr. - wie ebenfalls hier auf dem Blog berichtet - Rinderwagen-Prozessionen an den Gräbern bedeutender Vorfahren in Norddänemark gegeben hat, wenn es Prozessionsstraßen gegeben, dann hat es Herrscher gegeben, Fürsten, Könige, die zentrale Herrschaften errichtet hatten (4, 5). Alle bekannten Kulturen, die heute oder bis vor kurzem noch den Rinderwagen als Transportmittel kannten (in Südostasien vor allem), waren gesellschaftlich und wirtschaftlich sehr komplexe Kulturen. Es wird also auch schon in der Bronzezeit in Nordeuropa ein staatliches Abgabensystem gegeben haben, es gab zentrale Kult-Orte, Herrschersitze und vieles dergleichen mehr.

Außerdem werden ja auch reiche "Salzherren" für die Fürstengräber der bronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur im Süden vermutet. Wie überhaupt - erstmals von dem Archäologen Häusler und anderen - mit guten Gründen schon für die Aunjetitzer Kultur stadtähnliche Siedlungen ("Höhenburgen") angenommen werden. Angesichts all dessen überrascht es einen eher, daß man hier allseits so "überrascht" ist. - Immerhin werden allmählich auch deutlichere Bezüge zu den Vorgängen sonst in der Welt hergestellt, etwa im Mittelmeer-Raum (3):

Veränderte Begräbnisformen - Brand- statt Erdbestattung - deuten auf weitreichende Bevölkerungsverschiebungen hin. Der Einbruch des Fernhandels nahm ein Szenario vorweg, das 50 Jahre später die Hochkulturen des Vorderen Orients überwältigen sollte: Invasionen, Aufstände, Hungerkatastrophen und Ressourcenmangel machten dem hoch entwickelten Staatensystem der Bronzezeit den Garaus.

Damals gab es im Levanteraum archäologisch durch Keramik gut bezeugte Zuwanderung aus Mitteldeutschland. Die Zusammenhänge zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum sind also schon länger bekannt. Deshalb gehört auch diese Schlacht an der Tollense offensichtlich ebenfalls in das große weltgeschichtliche Szenario des Seevölkersturms im Mittelmeerraum hinein. Womit die lange verrufene These des Jürgen Spanuth weiterhin ihr Gewicht behält, nach dem die Seevölker ("Atlanter") von der Insel Helgoland gekommen seien.

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  1. Bading, Ingo: 1320 v. Ztr. - Die Schlacht an der Tollense in Mecklenburg - Ein Ortstermin, https://studgenpol.blogspot.com/2010/06/1320-v-ztr-die-schlacht-der-tollense-in.html
  2. Seewald, Berthold: Fernhandel provozierte größte Schlacht der Bronzezeit. In: Die Welt, 28.11.2017, https://www.welt.de/geschichte/article171024374/Fernhandel-provozierte-groesste-Schlacht-der-Bronzezeit.html
  3. Johannsen, N., & Laursen, S. (2010). Routes and Wheeled Transport in Late 4th-Early 3rd Millennium Funerary Customs of the Jutland Peninsula: Regional Evidence and European Context Praehistorische Zeitschrift, 85 (1), 15-58 DOI: 10.1515/PZ.2010.004
  4. Bading, Ingo: Der Rinderwagen in der Weltgeschichte, 2010, http://studgendeutsch.blogspot.de/2010/10/3100-v-ztr-der-rinderwagen-in-der.html
  5. Bading, Ingo: Schlacht mit Holzknüppeln, 2010, https://studgenpol.blogspot.com/2008/10/schlacht-mit-holzknppeln-in-der-ostsee.html

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