Die Ausrede mit dem Islam

Ein abgelehnter Asylbewerber, der sich in der letzten Zeit stark radikalisiert hat, hat in Hamburg in einem Supermarkt mit dem Messer bewaffnet einen Amoklauf begangen, einen Menschen getötet und sieben verletzt. Die erwartbare Reaktion der Politik: Abschiebegesetze verschärfen! Und sicher, in dem Fall hätte es vermutlich geholfen. Was dabei gerne ausgeblendet wird ist zweierlei: zum Einen die gewaltigen menschlichen Kosten, die das für zehntausende mit sich bringt die grundlos und unverschuldet in eine nunmehr "scharfe" Abschiebepraxis geraten (wie das aussieht kann man in den USA sehen, wo die Einwanderungsbehörde ICE sich alle Mühe gibt, wie ein faschistischer Schlägertrupp zu operieren), und zum Anderen, dass das Problem ein kriminalistisches ist, kein kulturelles, und sicherlich nicht auf Muslime begrenzt.
Was meine ich damit? In den zunehmenden Einzelattacken, die in letzter Zeit in der gesamten westlichen Welt auftreten, bietet der religiöse Hintergrund kein zuverlässiges Erkennungsmuster. Stattdessen haben alle diese Täter, von Fjotolf Hansen über Dylann Roof zu Omar Mateen zu Anis Amri zu Khuram Shazad Butt zu Darren Osborne zu David Sonboly und so viele mehr, einige auffällige Gemeinsamkeiten. Es ist nicht die Frage der Religion - es gibt Muslime aller Richtungen, fromme wie weniger fromme, es gibt Christen, Atheisten und Anhänger alter paganistischer Riten. Die Religion bestimmt lediglich die Aufmerksamkeit, die diese Täter erhalten, vor allem von den Strafverfolgungsbehörden. Über das empörende wie den Diensteid verletzende Versagen deutscher Polizeibehörden in den NSU-Fällen werden bereits Bücher geschrieben, und in den USA verfolgt die Bundespolizei zwar 91% aller islamistischen Attacken, aber nicht einmal 60% aller Rechtsterroristen, obwohl Letztere doppelt so viele Attacken verüben und nicht einmal halb so häufig an der Ausführung gehindert werden¹. Ähnlich sieht die Lage auch hierzulande aus.
Es ist wenig zielführend, sich auf die Religion des Islam oder Flüchtlinge als Hauptmerkmal dieser Täter zu konzentrieren. Zwar sind diese Gruppen überproportional vertreten, aber letztlich erledigt man hier nur das Handwerk der Hass-Profis. Diese wollen den großen Religionskonflikt, den die Rechte so eifrig befeuert, überhaupt erst herbeiführen. Da muss man nicht helfend zur Hand gehen, indem man eine Gruppe unter Generalverdacht stellt. Gleichzeitig kann es auch wenig sinnvoll sein, diese Ereignisse als etwas hinzunehmen, das so wenig beeinflussbar ist wie das Wetter, quasi als eine Naturkatastrophe, die man einfach überdauern muss.
Weit über 90% all dieser Täter, vor allem der muslimischen Täter, ist gemein, dass sie bereits vorher polizeibekannt waren. Häufig genug gab es Warnmeldungen aus ihrem Umfeld, so auch im Fall der Hamburger Messerattacke. Immer handelt es sich um Männer. Fast immer handelt es sich um solche, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht zurecht kamen. Häufig handelt es sich um Personen, die eine Vorgeschichte mit häuslicher Gewalt hatten. In praktisch allen Fällen gibt es keine vorherigen Verbindungen mit irgendeiner überspannenden Organisation, geschah die ideologische Radikalisierung kurz vor der Tat aus eigenem Antrieb.
Was will ich damit sagen? Wir sollten aufhören, der Ideologie dieser Menschen zu viel Bedeutung beizumessen. Wir haben es nicht mit einem Krieg der Kulturen zu tun, sondern mit Kriminellen, mit Gewalttätern, die sich einen ideologischen Überbau zur Rechtfertigung von Taten holen, die sie bereits vorher zu begehen bereit waren. Inzwischen steht ein ganzer Katalog solcher Ideologien zur Verfügung, aus denen diese armen Würstchen sich ihre grandiosen Rechtfertigungen für das einzige holen können, mit dem sie ihr eigenes, vollständiges Versagen überkleistern können. Wenn man es erst meint mit der Prävention gegen dieses Pack, dann muss mehr in die Früherkennung investiert werden, in Sozialarbeiter und Psychologen, und ja, auch in die Polizei und Überwachungsapparate. Aber anstatt dass man ein gigantisches Netz über das ganze Land wirft, muss man gezielt die Stätten der Radikalisierung unter Kontrolle halten und mit der psychischen Labilität quervergleichen, die all diesen Mördern gemein ist. Das wäre eine sinnvolle, zielführende Reaktion - nicht der Generalverdacht gegen riesige Gruppen.
Aber das alles ist natürlich aufwändig. Es kostet Geld, Arbeit und Zeit. Dagegen ist es viel einfacher, markig einzufordern, dass man gefälligst radikaler abschieben solle. Das geht per Federstreich. Und wer weiß, vielleicht erwischt man nach hunderttausend auseinandergerissenen Familien und zerstörten Schicksalen dann auch einen potenziellen Attentäter. Gute Polizeiarbeit und verantwortliche Politik wären das allerdings nicht.
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¹ Quelle

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