Die Angst der Eltern vor dem Pausenbrot

Für Schulkinder gehört das Pausenbrot zu den wichtigsten Mahlzeiten des Tages. Während des herausfordernden Schultages treibt es den Blutzuckerspiegel in die Höhe, damit das schulkindliche Gehirn zu Spitzenleistungen fähig ist. So kann sich das Kind im Unterricht konzentrieren, den Lernstoff schwammgleich aufsaugen und dann 40 bis 50 Jahre später den Chemie-Nobelpreis entgegennehmen.

Das einzige Problem: Kinder essen ihre Pausenstullen nicht. Egal, mit was Sie das Brot belegen, und egal, wie inständig Sie Ihr Kind anflehen, davon zu essen, die Stulle wird täglich nahezu unberührt wieder nach Hause gebracht.

Niemand hat die Absicht, ein Pausenbrot zu essen

Niemand hat die Absicht, ein Pausenbrot zu essen

Sicherlich, es gibt Eltern, die Ihnen weismachen wollen, ihre Kinder verzehrten ihre Pausenbrote immer komplett und mit großem Genuss. („Lisa-Marie liebt ihr Chia-Samen-Dinkelbrot mit veganem Käse.“) Lassen Sie sich davon nicht einschüchtern. Das ist eine dreiste Lüge! (Die gleichen Kinder gehen übrigens abends ohne zu murren ins Bett, üben freiwillig ihr Instrument und lesen lieber, als stundenlang im Internet zu surfen.) Es ist nun mal ein Naturgesetz, das schon immer Bestand hat: Kinder essen keine Pausenbrote. So ist es in der Bibel zwar nicht überliefert, aber es gilt dennoch als gesicherter historischer Fakt, dass der kleine Jesus während seines Tora-Unterrichts seine liebevoll von Maria zubereiteten Mazzen verschmäht hat.

Unsere Kinder gehen inzwischen in die 8. und 5. Klasse und wir können auf eine langjährige Pausenbrotgeschichte zurückblicken. Gerne möchte ich einige Tipps mit Ihnen teilen, wie Sie nicht länger Angst vor der nachmittäglichen Kontrolle der Brotdose haben müssen, sondern wie das Pausenbrot sogar zu Ihrem Freund wird.

Wie ich mal vor 17 Jahren ein Date hatte und jetzt jeden Morgen Pausenbrote schmiere.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 25. Juni 2014

1) Lernen Sie von thailändischen Gemüseschnitzern

Die heutige durch Hedonismus und Genusssucht geprägte Spaßgesellschaft macht auch vor dem guten alten Pausenbrot nicht halt. Dieses darf nicht mehr als gewöhnliche in Butterbrotpapier eingeschlagene Klappstulle daherkommen, sondern muss ein kulinarisches und visuelles Entertainment-Feuerwerk abbrennen. Daher stehen Millionen von Eltern unter der Woche jeden Morgen um 4 Uhr auf, um die Pausenmahlzeiten ihrer Kinder in aufwändige und künstlerische Formen zu bringen, die Food-Stylisten vor Neid erblassen lassen. Aus den Lunch-Boxen lachen den Kindern zum Beispiel zu Clowns verzierte Sandwiches oder zu Oktopussen geschnittene Würstchen entgegen, kunstvoll drapierte Obst-Spieße verlangen, verzehrt zu werden, und Gemüsescheiben werden in psychedelischen Farbfächern angeordnet, die man ansonsten allenfalls bei einem ausgedehnten LSD-Trip sieht.

Das Auge isst auch nicht mit.

Das Auge isst auch nicht mit.

Sie sollten diesen Trend unbedingt mitmachen, um nicht den unvorteilhaften Eindruck zu erwecken, Ihnen sei nicht am Wohle Ihres Kindes gelegen und Sie demütigten es willentlich durch lieblos gebuttertes und mit ordinärem Scheibenkäse belegtes Schwarzbrot. Nun ist aber nicht jedem die feinmotorische Fingerfertigkeit eines erzgebirgischen Kunsthandwerkers gegeben. Ihr erster Versuch, aus einer Brotscheibe einen lebensecht wirkenden Dinosaurier zu kreieren, sieht womöglich aus, als sei dieser von einem Meteoriten erschlagen worden.

Verzagen Sie nicht, denn Übung macht den Meister. Buchen Sie eine Reise nach Südostasien und gehen Sie vor Ort in die harte Lehre bei einem thailändischen Küchenmeister, der Sie in die hohe Kunst des Gemüseschnitzens einweist. Nach zwölf Jahren ist Ihre Ausbildung abgeschlossen und Sie sind in der Lage, aus einer Kohlrabi ein maßstabgetreues Modell des Millenium Falkens herzustellen oder aus einem Radieschen das Brandenburger Tor zu modellieren. Ihr Kind wird dann die Schule allerdings bereits verlassen haben, aber dadurch hat sich für Sie die Pausenbrot-Problematik praktischerweise quasi von alleine erledigt hat.

2) Gründen Sie einen Pausensnack-Tauschkreisel

Kinder lieben es zu tauschen. Wer einmal beobachtet hat, wie Kinder mit fiebrigen Augen um Fußball-Sammelbildchen feilschen, weiß wovon die Rede ist. Diese Lust am Tauschen macht auch vor Pausensnacks nicht Halt. Während Kinder die eigenen Jausen verschmähen, üben die Stullen der Klassenkameraden eine besondere Faszination aus. Dadurch findet auf deutschen Schulhöfen täglich ein reger vorkapitalistischer Tauschhandel statt, bei der die elterlichen Essensgaben mehrfach ihre Besitzer wechseln.

Machen Sie sich dieses Phänomen zunutze und gründen Sie mit anderen Eltern einen Pausensnack-Tauschkreisel. Dabei bringt beispielsweise der kleine Jonas die von Ihnen zubereitete Vollkornkäseschnitte mit in die Schule, die er dann bei Ihrem Kind gegen das von seiner Mutter geschmierte Schinken-Sandwich eintauscht. Mia gibt wiederum Ihrem Kind die Apfelschnitze, die Sie geschnibbelt haben, und erhält im Gegenzug Gurkenstifte, die ihr Papa vorbereitet hat. Schließlich tritt Philipp die von Ihnen gemischte Fruchtsaftschorle an Ihr Kind ab, wofür er den von seiner Mama gekochten Früchtetee bekommt.

Dieses Tauschsystem höchst komplex und muss neben den veränderlichen kulinarischen Vorlieben der Kinder auch das filigrane Interaktionsgeflecht der Klassengemeinschaft unter Einbeziehung der Variablen ‚Freundschaften‘ und ‚soziale Hierarchien‘ berücksichtigen. Stellen Sie ein Team aus Sozialpsychologen, Informatikern und Ernährungswissenschaftlern zusammen, das eine Software programmieren, mit der jeden Tag neue optimale Tauschpärchen und Snacks errechnet werden.

Pausensnack-Tauschkreisel-Software. Selbst optimierend.

Pausensnack-Tauschkreisel-Software. Selbst optimierend.

Für die rechtzeitige Verteilung der Tauschsnacks im gesamten Stadtgebiet arbeiten Sie mit einem erfahrenen internationalen Logistikunternehmen zusammen. Pflegen Sie außerdem gute Beziehungen zum Polizeipräsidenten für den Fall, dass im morgendlichen Berufsverkehr kurzfristig Straßen gesperrt und Ampeln umgeschaltet werden müssen, um die Snacks „in time“ anliefern zu können.

3) Nutzen Sie die Pausenbrote als Einnahmequelle

Sollten Sie die Kosten und Mühen eines Pausensnack-Tauschkreisels scheuen, gibt es eine Alternative, bei der Sie sogar ein wenig Geld verdienen können. Kinder haben keinerlei Interesse an den von den Eltern eingepackten Stullen, Snacks und Knabbereien, sondern geben lieber heimlich ihr Taschengeld am Schulkiosk aus, der meistens vom Hausmeister und seiner Frau betrieben wird. Dort decken Sie sich täglich mit Unmengen an Fressalien ein und sorgen dafür, dass Schulhausmeister zu den am besten verdienenden Berufsgruppen in Deutschland gehören (knapp hinter Profi-Fußballern und deutlich vor Investment-Bankern).

Milliardär durch Pausenbrotverkauf. Sie können es auch.

Milliardär durch Pausenbrotverkauf. Sie können es auch.

Schlagen Sie dem Hausmeister einen Deal vor, bei dem Sie ihm morgens belegte Brote und Obst für Ihr Kind bringen. Vergessen Sie dabei nicht, ein labberiges Salatblatt in das Brot zu legen, die Käsescheiben sollten am Rand leicht gummiert sein und die Wurst sollte eine leicht gräuliche Farbe angenommen haben. So ist die Stulle von dem restlichen Backwarenangebot des Schulkiosks nicht zu unterscheiden. Den von Ihnen zusammengestellten Imbiss verkauft der Hausmeister in der Pause dann Ihrem Kind. Die daraus resultierenden Einnahmen teilen Sie sich mit ihm zu gleichen Teilen.

Sie müssen lediglich in ein paar gute Stullen- und Obstimitate investieren, die Sie jeden Tag in die Snack-Box Ihres Kindes legen, damit es keinen Verdacht schöpft. Außerdem müssen Sie eine kleine Ausfallentschädigung an das Hausmeisterehepaar zahlen, damit es seine Hauptumsatztreiber – Schokoriegel, Käsesandwiches und süße Teilchen – aus dem Sortiment nimmt, denn mit diesen kann schließlich keine irgendwie geartete Bemme konkurrieren.

Dieses Geschäftsmodell hat den schönen Nebeneffekt, dass Sie der nächsten Taschengelderhöhungsdiskussion mit Ihrem Nachwuchs sehr gelassen entgegensehen können. Schließlich landet die Hälfte davon ohnehin wieder in Ihrer Tasche.

4) Denken Sie an die Vitamine!

Obst und Gemüse sind wichtige Vitaminspender und sollten täglich verzehrt werden. Nicht umsonst behauptet der englische Volksmund: „An apple a day keeps the doctor away.“ (Wobei nicht überliefert ist, ob es unter Medizinern eine überdurchschnittlich hohe Apfelintoleranz gibt und man sie sich deswegen mit Äpfeln vom Hals halten kann.)

Als verantwortungsvolle ernährungsbewusste Eltern sollten Sie dafür Sorge tragen, dass die Lunch-Box Ihres Kindes jeden Tag ausreichende Mengen Obst oder Gemüse enthält. Achten Sie dabei auf Abwechslung, damit die gesunden Snacks nicht zu eintönig sind. Karotten, Himbeeren, Orangen, Kiwi, Brombeeren, Äpfel, Erdbeeren, Birnen und Heidelbeeren decken das komplette Vitamin-ABC ab und fördern das allgemeine Wohlbefinden.

Allerdings dürfen Sie nicht naiv sein und glauben, dass Ihr Kind die obstigen und gemüsigen Knabbereien, die Sie ihm mitgeben, auch nur eines Blickes würdigt, geschweige denn davon abbeißt.

Wenn ich morgens das Obst in die Snack-Box der Kinder lege, sage ich immer „Bis heute Abend.“ Dann freut es sich.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 11. Juni 2015

Dafür wird das von Ihrem Kind täglich zurückgebrachte Obst und Gemüse, das Sie nachmittags beim Auspacken der Brotdose selbst verzehren, Ihre wichtigste Vitaminquelle. Zwischen Ihnen und dem Skorbut steht quasi nur die von Ihrem Kind verweigerte Paprika. Sie werden merken, wie Sie mit Eintritt Ihres Kindes in die Grundschule gesünder und leistungsfähiger denn je sein werden. Dies ist auch bitter nötig, da Ihr vitamindefizitäres Kind regelmäßig von Krankheiten heimgesucht wird und Sie es pflegen müssen. Da ist ein widerstandsfähiges Immunsystem essenziell.

5) Lassen Sie sich von Jamie Oliver inspirieren

Die Gestaltung der Pausenbrote sollte variantenreich und originell sein, um die Chance zu erhöhen, dass Ihr Kind zumindest einmal erwägt, einen Bissen davon zu nehmen. Wenn Sie tagein tagaus eine Stulle mitgeben, die aus einem Backshop-Weizenmischbrot besteht, das dick mit Butter beschmiert und mit masseindustriell hergestellter Hartwurst belegt ist, müssen sie sich nicht wundern, dass das gute Kind in einen Pausenbrotverzehrstreik eintritt.

Selbst wenn es Ihnen an den handwerklichen Fähigkeiten für aufwändige Essensschnitzereien fehlt (siehe oben), können Sie bei der Gestaltung der Pausenbrote kreativ werden. Es gibt beispielsweise sehr leckere Lunchbox-Rezepte von Jamie Oliver, die Ihnen eine Quelle der Inspiration sein können.

Pausenstulle für Fortgeschrittene

Pausenstulle für Fortgeschrittene

Versuchen Sie es doch mal mit einem schmackhaften Steak-Ciabatta-Sandwich mit in Rotweinessig und braunem Zucker glasierten roten Zwiebeln, das Sie geschmacklich mit englischem Senf und Brunnenkresse abrunden. Selbstverständlich isst Ihr Kind diese Kreation genauso wenig wie seine ordinären Käsebrote, aber dafür haben Sie ein leckeres Sandwich zum Abendbrot. Am besten verzehren Sie es gleich morgens. Dann ist es noch schön frisch und Ihr Kind muss es nicht unnötig in die Schule schleppen.

Esse die Pausenbrote der Kinder immer schon morgens. Dann schmecken sie besser und die Kinder müssen sie nicht unnötig in die Schule tragen.

— Familienbetrieb (@Betriebsfamilie) 27. Juni 2014

6) Lassen Sie den Zweck die Mittel heiligen

Sie sollten inzwischen gemerkt haben, dass es kein einfaches Unterfangen darstellt, Ihr Kind zum Essen seines Pausenbrots zu bewegen. Damit es nicht hungrig im Unterricht sitzt und mit seinem lauten Magenknurren seine lernbegierigen Klassenkameraden ablenkt, müssen Sie vielleicht zu radikaleren Maßnahmen greifen. Es gibt nämlich eine totsicher Methode mit hundertprozentiger Verzehrgarantie: Bestreichen Sie seine Brote daumendick mit Schokocreme. Dann wird es seine Stullen bis auf den letzten Krümel verputzen. Und außerdem die Brotdose auslecken, an deren Innenseite Reste der Schokocreme kleben.

Schokocreme an Toastbrot

Schokocreme an Toastbrot

Allerdings ist diese kulinarische Maßnahme insbesondere bei Kindern im Grundschulalter nicht unumstritten. Unter modernen, progressiven Eltern gilt Schokocreme als der Hitler unter den Brotaufstrichen. Eine Schokocreme-Stulle übersteigt nämlich den von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tageskalorienbedarf eines achtjährigen Kindes um ein Vielfaches. (Es deckt eher die Energiezufuhr eines Bergarbeiters ab, der täglich vierzehn Stunden im Untertagebau schuftet.) Wenn Sie Ihrem Kind regelmäßig Schokocreme-Brote mitgeben, müssen Sie sich folglich auf Elternabenden unschönen Diskussionen stellen.

Um das Schulleben Ihres Kindes nicht als Eltern-Pariah zu fristen, beauftragen Sie einen kompetenten Nahrungsmittelchemiker, der Erfahrung in der Herstellung gentechnisch veränderter Lebensmittel hat, mit der Entwicklung eines obstbasierten, zucker-, fett- und kalorienfreien Brotaufstrichs, der in Geschmack und Konsistenz absolut identisch mit dem Nuss-Nougat-Produkt des Marktführers ist. Durch einen gewieften Patentanwalt sichern Sie sich das alleinige Vermarktungsrecht an dieser Analog-Schokocreme und werden Milliardär.

Aufgrund seines zu erwartenden Erbes kann Ihr Kind getrost die Grundschule abbrechen und schon in jungen Jahren ein Leben als Privatier führen. Damit haben Sie die leidige Schulbrot-Problematik endgültig gelöst.


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