Die Akte Prinz

Sein Kopf hinter der Fensterscheibe, den ich kaum erkennen kann, den ich nur erahnen kann, den ich beschreiben werde, seinen Kopf, den ich dem Land meiner Albträume bringen werde, die ich nicht beschreiben, gar aufschreiben werde, denn meine Träume gehören mir, die haben in meinen Berichten über Prinz nichts verloren, der natürlich und selbstredend und jedem bekannt nicht Prinz heißt, den ich aber für meine Aufzeichnungen so genannt habe, denn wir, wer immer auch WIR sind, werden dafür bezahlt und ausgezeichnet und belobigt, den Spuren der Staatszersetzenden zu folgen, die Staatszersetzenden, die es einfach nicht unterlassen können, unser Land in den Dreck zu ziehen, so eben auch Prinz, der in diesem Augenblick an seinem großen Schreibtisch sitzt und schreibt, während ich in diesem Busch hocke, mit einem Fernglas bewaffnet und ihn beobachte, seinen Kopf beobachte, der hinter all dem Dreck auf der Scheibe kaum auszumachen ist, aber es muss der Kopf von Prinz sein, denn er lebt allein, er lebt zurückgezogen, ich habe keine Menschenseele beobachten können, die ihn je besuchte, ihn, Prinz, den Staatsfeind, den Schriftsteller, Theaterdichter, Alkoholiker, der sich kaum aus seinem Haus heraus traut, der meinen Berichten kaum Worte liefert, die ich mir nun, da ich wahrscheinlich der bessere Autor von uns beiden bin, selbst liefern muss, Worte, die ich mir überlege, während ich in meinem Busch hocke und seinen Kopf beobachte, der sich nicht bewegt, sieh nur lange genug hin, dann weißt du nicht einmal mehr, ob der Fleck hinter der Scheibe überhaupt ein Kopf ist, denn vielleicht ist der Kopf hinter der furchtbar verdreckten Scheibe nur ein weiterer Punkt in meinem Kopf, eine weitere schwarze Stelle, die ich mit Leben füllen muss, so wie ich bereits die gesamte Akte Prinz mit Literatur angefüllt habe, denn auch über diesen Nachmittag werde ich schreiben, ich werde Prinz auffälliges Benehmen attestieren, Treffen mit Männern in dunklen Mänteln, eine Verfolgungsfahrt werde ich beschreiben, ich werde mich beschreiben, in einem Taxi sitzend, der dem Wagen von Prinz folgt, nein, kein Taxi, ich werde davon berichten, wie ich mir mit meiner Waffe einen Wagen erzwang, denn das werden meine Vorgesetzten gerne lesen, der Offizier, der mich betreut, er wird mich loben, er wird mich für einen Orden vorschlagen, mich, der ich noch hier in einem Busch sitze, auf der Stelle tippelnd, weil ich unbedingt einmal meine Blase entleeren müsste, also arbeite ich mich nach hinten fort, hin zu den Bäumen dort drüben, denn ich muss Prinz nicht beobachten, diesen Langeweiler, diesen Kopf hinter einer Scheibe, Prinz, der nie etwas tut, was es wert wäre, aufgeschrieben zu werden, denn das werde ich dank meiner Fantasie erledigen, ich werde sein Leben auffrischen, der wird, sollte er jemals Einblick in seine Akte bekommen, ganz überrascht sein von seinem eigenen Leben, er wird sagen, so ein Leben habe ich gar nicht geführt, doch, doch, werden die Leute von der Staatssicherheit zu ihm sagen, da steht doch alles, das ist Ihr Leben, lesen Sie nur nach, befragen Sie Ihr Leben, jetzt, heute und hier, denn dann werden Sie verstehen, warum wir um einen Schuldspruch in ihrem Fall überhaupt nicht herum kommen, denn wenn dieses Land jemals einen gefährlichen Feind hatte, dann sieht der Feind so aus wie Sie, lesen Sie, und dann wird er meine Texte lesen, meine großartigen literarischen Würfe, die nie in die Hände einer großen Leserschar geraten werden, leider, leider, denke ich, während ich mich in den Busch vor seinem Haus zurück arbeite, ich greife nach meinem Fernglas, da sitzt er, ich kann seinen Kopf sehen, ich kann seinen Kopf erahnen, hinter der Scheibe, die verdreckt ist, kann ich seinen Kopf erblicken, der sich seit Stunden nicht bewegt hat, ein starrer Kopf, der mich unverwandt ansieht, ich halte den Atem an, nein, ich muss jetzt die Nerven behalten, meine überbordende Fantasie spielt mir einen Streich, und doch bin ich mir sicher, er blickt mich an, er durchdringt mich mit seinen Augen, er weiß schon lange von mir, Prinz weiß von meiner Anwesenheit in seinem Busch, Prinz hat alles durchschaut, er sitzt an seinem Schreibtisch und schreibt bereits an einer Erzählung über mich, seinen Verfolger, er weiß nichts über mich, aber das stört ihn nicht, denn er hat ja seine Fantasie, die ihm helfen wird, all die leeren Stellen aufzufüllen.



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