Die AGENDA 2010 und der Niedergang der SPD

An und für sich überrascht es nicht, wenn die UNION nach neuen Partnern Ausschau hält. Wer will schon auf Verlierer setzen?

Die SPD war nach Gerhard Schröder ein williger Partner, auch weil DIE GRÜNEN mehr erahnten als wussten, dass eine vorschnelle Zweckpartnerschaft mit der dominierenden CDU unter Angela Merkel nur schaden konnte. Ernsthaft wurde jedenfalls nach SCHRÖDER eine Koalition nicht angestrebt.

Nachdem die Schröder/Fischer-Regierung dem neoliberalen Zeitgeist aufgesessen war, als der “Kranke Mann in Europa” von der Schmierenpresse und den Verbreitern der Glaubensbekenntnisse zur Wirtschaft und Globalisierung, also den Wirtschaftsinstituten und ideologisch geprägten Lehrstühlen an den Universitäten, verbreitet wurde, begann der Niedergang der SPD.

Der Boss der Bosse, aus einfachsten Verhältnissen kommend, ließ sich in Davos auf dem Weltwirtschaftsgipfel feiern, als er den unter der Führung der SPD geschaffenen größten Niedriglohnsektor in Europa bekanntgab, als Folge der AGENDA 2010.

Die Widerstände in der SPD waren zunächst erheblich, aber nicht von langer Dauer oder Wirkung, auch weil die Gewerkschaften von dem Blendwerk des “Kranken Mannes in Europa” beeindruckt waren und Deutschland retten wollten. Auch weil häufig die jüngste Entwicklung in den USA mit ihren Auswirkungen auf Europa kaum zur Kenntnis genommen wurde, war die Lohndumping-Politik in den USA, die einen länger als 10 Jahre währenden Gewerkschaftskampf auslöste, den Austausch ganzer Belegschaften usw., nicht mehr in Erinnerung. Denn in den USA wurde in den 70er und 80er Jahren die glorreiche Idee entwickelt, dass insbesondere dann den Reichen und Superreichen in der Gesellschaft geholfen wird, wenn die Arbeiter und Angestellten flächendeckend auf 20 % bis 40 % Lohn und Gehalt schlicht verzichten.

Zusätzlich wurde diese Politik mit neuen Begriffsbildungen wie Lean-Management, dem Ausdünnen der unteren Führungsebenen und die Delegation der Aufgaben auf qualifizierte Arbeiter und Angestellte, garniert, denn auf allen Ebenen, mit Ausnahme der obersten Heeresleitung, ließ sich trefflich zu Gunsten der Gewinnausschüttungen sparen.

Dass die Anteilseigner der 30 größten DAX-Unternehmen, darunter viele US-Konzerne, gierig die Umsetzung auch in Deutschland forderten, wundert nicht wirklich.

Mit der Prosa vom “Kranken Mann in Europa” erfand dann die Schröder/Fischer – Regierung, unter Anderem mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung und dem VW-Konzern, die AGENDA 2010.

Es mag sein, dass Gerhard Schröder und seine Berater die Wirkung der Zusammenlegung von “Arbeitslosenhilfe” und “Sozialgeld” unterschätzten. Unklar blieb auch bis heute, welche Rolle die GRÜNEN bei dieser Politik spielten? Tatsache ist jedenfalls, dass sich die GRÜNEN – bis heute – elegant heraushalten, wenn es um “unerwünschten Fehlsteuerungen” bei der AGENDA 2010 geht, die sogar Gerhard Schröder, allerdings mit Verbreitung von Allgemeinplätzen, seit Jahren einräumt.

“Zusammenlegung” bedeutete im Kern, dass die SGB II – Leistungen (Arbeitslosenhilfe nach Auslauf Arbeitslosengeld) und die SGB XII – Leistungen vom Umfang her nahezu identisch sein sollten!

Was sich zunächst so harmlos liest, dürfte in Wirklichkeit eine der wesentlichen Ursachen für den Niedergang der SPD sein. Bürger, etwa im Umfang von 2 % der Leistungsbezieher, die in ihrem Leben aus gesundheitlichen oder anderen Gründen wenig oder gar nicht gearbeitet hatten, wurden vom Leistungsumfang den Arbeitslosen gleichgestellt, die 20, 30 oder gar noch mehr Jahre fleißig gearbeitet hatten. Ein “Abstandsgebot” zur bisherigen “Lebensleistung” stand jedenfalls nie zur Debatte.

Mit anderen Worten: Die häufig aufgrund von “Einsparungen” aus den Unternehmen herausgedrängten Arbeitnehmer, meist ab dem Lebensalter von rd. 40 Jahren, die durch Billigarbeitskräfte (Leiharbeiter, Teilzeitbeschäftigte, Mini-Jobber, …) oder ganz einfach durch jüngere, billigere Arbeitnehmer verdrängt wurden, entsprechend der oben skizzierten US-Strategie zur Gewinn-Maximierung, wurden mit den ehemaligen Sozialhilfeempfängern in einen Topf geworfen.

Und wer sich weigerte, sich in den “neuen Arbeitsmarkt” der prekär Beschäftigten einzureihen, der wurde sogleich mit SANKTIONEN überschüttet, die empfindlich das Existenzminimum schmälerten. Die Leistungsbezieher nach SGB II sind verpflichtet, jede zumutbare Arbeit bzw. Tätigkeit anzunehmen, ansonsten hagelt es Sanktionen.

Das hatte natürlich Methode, weil der Staat ja sparen muss und die Arbeitslosigkeit durch Fördern und Fordern schnell beendet werden sollte. So hörten sich –zumindest anfänglich – die Rechtfertigungen an.

Dass von Anfang an, also ab 2004, die ehemals langjährig Beschäftigten kaum Chancen mehr hatten, einen “Normalarbeitsplatz” zu finden, der auch nur annähernd den beruflichen Lebensweg und die Qualifikation und individuelle Erfahrungen bei der “Gehaltsfindung” berücksichtigt, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Ganz im Gegenteil, es entstand der “neue Arbeitsmarkt” der prekär Beschäftigten, der von den Sozialbehörden und den Arbeitgebern gesteuert und ausgebaut wurde.

Für diejenigen, die sich weigerten, weil sie das “üble Spiel” des Transfers in dauerhafte prekäre Beschäftigungen durchschauten, hatte man dann sogleich die bekannten SANKTIONEN parat, die letztlich sogar zur Aufnahme von 1-Euro-Beschäftigungen, wochenlange unbezahlte Probezeiten usw., die unterstete Stufe des sozialen Abstiegs, zwangen.

Es hat ein paar Jahre gedauert, dass die Betroffenen, die häufig zunächst die Teilnahme an Wahlen verweigerten, nicht selten psychisch erkrankten, ihre Situation bzw. die Ursache für ihr prekäres Dasein verstanden. Der gut erzogene Christ sucht ja zunächst die SCHULD bei sich selbst. Aber insbesondere bei den höherqualifizierten Arbeitslosen setzte sich dann die Erkenntnis durch, dass der als würdelos und ehrlos empfundene Abstieg gezielt herbeigeführt wurde, weil in erster Linie die Taschen der KONZERNE und mittelbar der FINANZWELT (Aktienbesitzer) gefüllt werden sollten. Die Vermittlung von angemessen bezahlter Arbeit blieb weitgehend aus; angedient wurden hauptsächlich Aushilfstätigkeiten, Leiharbeit oder der Einstieg in untere Lohn- und Gehaltsgruppen. Nicht wenige Arbeitgeber hatten schnell erkannt, dass Mitarbeiter, die ihren WERT kennen, mit einem Drittel des bisherigen Lohnes/Gehaltes nicht “glücklich” werden (können). Wer mit dem berechtigten Gefühl morgens aufwacht, dass er sich gezwungen sieht, Tag für Tag seine qualifizierten Leistungen für einen Hungerlohn anzubieten, der wird schnell erkranken.

Es war die Erkenntnis der ehemaligen SPD-Wähler, die sich nach und nach eingestehen mussten, dass sie ihre ehrlose und würdelose Situation, einhergehend mit der zu erwartenden Altersarmut, der SPD zu verdanken haben und die Schröder-Nachfolger nicht eine Sekunde daran dachten, wesentliche Korrekturen vorzunehmen.

Ganz im Gegenteil, die SPD weigerte sich zuzugeben, dass sie ihre einstigen treuesten STAMMWÄHLER in das ehrlose und würdelose soziale Aus regiert hatte. Stattdessen suchte die SPD nach Argumenten, um die besonders menschenunwürdigen Sanktionen gegenüber Jugendlichen und Erwachsenen unter 25 Jahren zu rechtfertigen. Die Behördenwillkür (=Ermessensspielräume wurden überwiegend zu Lasten der Betroffenen ausgeübt), insbesondere die gewünschten “Spareffekte” mittels SANKTIONEN, führten nicht selten zur Obdachlosigkeit und dem Anstieg der Selbstmordrate. Es hat jedenfalls Jahre gedauert, bis die Bundesanstalt für Arbeit etwas gegen die “sanktionsgetriebene Obdachlosigkeit” unternahm, auch auf Druck der sich bildenden “Erwerbsloseninitiativen”.

Dass sich ausgerechnet die SPD gegen ihre eigenen Stammwähler wandte, nur weil eine geschickte Medienkampagne vom “Kranken Mann in Europa” sprach, war eine grandiose Fehlleistung.

Mit ursächlich war wohl der naive Glaube, dass die neoliberalen Ideologen mit ihren ökonomischen Glaubensbekenntnissen (z.B.: Der Markt wird es schon richten; Privat vor Staat …) Recht haben könnten und der Staat reagieren müsse. Andere SPD-Recken wollten sich vielleicht auch mehr in der MITTE etablieren, übersahen dabei aber, dass nicht geringe Teile der sog. MITTE auch Arbeiter, Angestellte und Handwerker sowie Selbständige sind, die dann Opfer der AGENDA 2010 – Politik werden könnten. Nach veröffentlichten Statistiken schmolz der sog. Mittelstand in den letzten Jahren um rd. 8 %-Punkte. Daraus wird deutlich, dass die AGENDA 2010 – Politik nach und nach auch Teile des MITTELSTANDES an den Rand der Gesellschaft drängt.

Nicht wenige AGENDA-Opfer hatten anfänglich gehofft, dass die SPD ihre Fehlgriffe selbst aufarbeitet und maßgeblich korrigiert. Das Gegenteil trat aber ein. Unter der Bundesarbeitsministern von der Leyen (CDU) war es sogar mit Duldung (Förderung?) der SPD möglich, die sog. Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (=Grundlage für die Berechnung des Existenzminimums=Regelsatz nach SGB II) klar rechtswidrig so zu verbiegen, dass die Betroffenen sich noch nicht einmal auf die rechtlich gebotene objektive und willkürfreie Berechnung verlassen konnten. Zu erinnern ist an Prof. Münder, der in einem umfassenden Gutachten Rechtsverstöße und Fehlberechnungen nachwies. Das blieb ohne Wirkung. Auch die SPD sah sich nicht aufgerufen, der behördlichen Sparpolitik Grenzen zu setzen und die gröbsten Falschberechnungen zu korrigieren.

Erst als sich das Bundesverfassungsgericht (Hartz IV – Urteil) mit der Materie befassen musste, lenkte die Bundesregierung in einigen Punkten ein.

Wie sich ein Arbeitsloser fühlen muss, der jahrelang fleißig gearbeitet hatte, wenn ihn nicht nur ehr- und würdeloses Verhalten der Gesellschaft trifft (Stichwort: Münteferring, SPD: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen), sondern sogar bei der Berechnung des EXISTENZMINIMUMS zu seinen Lasten getrickst wird, lässt sich von Außenstehenden nur erahnen.

Bei der Anhebung des Regelsatzes per 1.1.2016 um 5,00 Euro wurde erneut getrickst. Die Neuberechnung des Regelsatzes stellte auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2008 ab, obwohl bereits rechtzeitig die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahr 2013 vorlag. Die Bundesministerin Nahles (SPD) knüpfte an die Politik ihrer Vorgängerin an und ignorierte die klare Anweisung des SGB II, die aktuellste Stichprobe zu berücksichtigen.

Die Bundesregierungen unter Mitwirkung der SPD haben es ermöglicht, dass rechtswidriges oder willkürliches Behördenhandeln, das zu Falschberechnungen von Leistungen führt, nur dann für die Vergangenheit zu korrigieren ist, wenn Betroffene geklagt hatten. Andere Betroffene, die nicht geklagt hatten, werden erst ab Datum des BSG-Urteils berücksichtigt. Nach dem Entwurf des vorliegenden Rechtsänderungsgesetzes für das SGB II sollen sogar NACHZAHLUNGEN für die Kläger unterbleiben.

Mit anderen Worten: Die ehrlose und würdelose Behandlung der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger wird auf der Ebene der “Rechtsetzung” fortgesetzt. Wie oben skizziert, erfolgt die Berechnung des Existenzminimums nach “Haushaltslage” bzw. Gutdünken und der Staat eröffnet sich durch die SGB II – Gesetzgebung selbst die Möglichkeit, bewusst / unbewusst Fehler zu begehen, die leistungskürzend wirken und nimmt sich dann auch noch das “Recht” (?),  die Korrektur (Nachzahlung) zu verweigern. Ob es inzwischen bei den Behörden Prämien für Ideen gibt, wie die Behörden ohne die Möglichkeit des Nachweises des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit  Fehler begehen können, die den Staatshaushalt entlasten?!

Die jüngste Nabelschau der SPD hatte offenbart, dass der Parteivorsitzende Hartz IV – Themen geradezu scheut. Leichter fiel es ihm, sich auf das Rententhema zu konzentrieren und dabei AGENDA 2010 – Fehler einzuräumen.

Dass sich viele Parteimitglieder und Wähler von der SPD seit Jahren abwenden, steht mit dieser Sprachlosigkeit in Zusammenhang.

Viele ehemalige Nichtwähler, die zuvor einmal SPD wählten, hatten ihre Stimme sogar der AfD bei den letzten Landtagswahlen gegeben.

Wenn es der SPD nicht gelingt, die Sprachlosigkeit bezogen auf die skizzierte Hartz IV – Politik aufzuheben und sich für die (ungewollte) ehrlose und würdelose Behandlung vieler Betroffener nicht öffentlich entschuldigt, dann dürfte der weitere Niedergang der Partei vorprogrammiert sein.

Zu diesem öffentlichen Bekenntnis gehört auch die erklärte und konkretisierte politische Absicht, Hartz IV grundlegend zu überarbeiten und den Betroffenen ihre Menschenwürde zurückzugeben.

Mir fehlt allerdings der Glaube daran, dass die SPD hierzu die Kraft und den Anstand aufbringt.



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