Die 7 Gesichter negativer User Experience

8. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar

Die 7 Gesichter negativer User Experience

Tjaaa! -  Was machst du wieder? – Fuck! – Ich will nicht mehr! – Hä? – UARGH! – Und nun…?

Bei virtuellen und technischen Produkten gelangen die Nutzer oft an ihre Frustgrenzen. Wann diese Frustgrenze erreicht ist, ist bei den Menschen unterschiedlich und abhängig von individuellen Eigenschaften wie Geduld, Ausdauer, technischem Verständnis, Erfahrung uvm. Ist diese Grenze erstmal erreicht bzw. überschritten, kommen die negativen Gefühle bei den Nutzern hoch, die wir in der Produktentwicklung gern vermeinden möchten. Die negativen Gefühle ziehen meist sofortige Konsquenzen für die weitere Produktnutzung nach sich.

Konsequenzen sind z. B. wenn ein Anwender:

  • sich „zu blöd“ fühlt, da er die Handhabung nicht versteht und das Produkt als folge nicht im vollen Umfang verwendet sondern nur das für ihn Notwendigste macht.
  • sich so sehr über das Produkt ärgert, dass er es wieder verkauft und sich „ein Besseres“ von der Konkurrenz kauft.
  • extrem über ein Produkt enttäuscht ist, dass er es nicht nur nicht weiter empfiehlt, sondern aktiv vom Produkt in einem Onlineforum abrät.

Vermeiden, verkaufen, verhöhnen und löschen: Solche Reaktionen auf Grund negativer Gefühle, die eine Reaktionskette oder Affekthandlung auslösen, gibt es zu Genüge (Und bist du nicht willig).

Es können also neben den positiven Gefühlen, wie Freude, Zufriedenheit oder Spaß, auch eine große Pallette an negativen Gefühlen entstehen, die ein Produkt auslösen kann. Hier sind sieben zentrale negative Gefühle von Nutzern, wenn sie von einem technischen oder digitalen Produkt frustriert sind:

1. Dummheit

Eine sehr weit verbreitete Hemmschwelle ist das Gefühl, viel technisches Wissen besitzen zu müssen, um das Produkt bedienen zu können. Schon vor dem Erwerb einer Hardware oder Benutzen eines digitalen Produktes herrscht die Überzeugung: „Ich kann das nicht!“, „Ich weiß nicht wie das geht!“ Das heißt, Nutzer fühlen einfach zu dumm für das Produkt – und wer gibt schon gern zu, dass er etwas nicht kann oder nicht weiß!

Die Furcht vor der Technik, an den zu vielen Funktionen zu scheitern, es nicht zu blicken etc. ist sehr groß (Erlernbarkeit). So groß, dass oft Produkte erst gar nicht gekauft oder Apps nicht heruntergeladen werden. Die recht menschliche Veranlagung zur Vermeidung von möglichen Unbequemlichkeiten sorgt darüber hinaus dafür, dass Anwender die Produkte nicht in vollem Ausmaß nutzen, sondern nur ihre notwendigen Dinge erledigen und ihre gewohnten Pfade gehen.

2. Sinnlosigkeit

Immer, wenn der User sich fragt: „Wieso muss ich das denn (jetzt) machen?“ meldet sich das Gefühl der Sinnlosigkeit. Dahinter steckt das offensichtliche Fehlen eines sachlichen – für den Nutzer nachvollziehbaren – Grund, etwas zu machen. Etwa, sofort erst mal ein Softwareupdate installieren zu müssen, obwohl er das Gerät gerade neu gekauft hat. Auch in der Gebrauchsanleitung oder Bedienung gibt es oft Anweisungen, die aus Nutzersicht unsinnig erscheinen.

Wir sollten immer davon ausgehen, dass Laien meistens keine Detailkenntnisse über das Produkt besitzen – das müssen sie auch nicht. Es ist unsere Aufgabe als Entwickler, das Produkt für die Anwender so zu gestalten, dass jede Information und Aktion einen Sinn für sie ergibt (Aufgabenangemessenheit).

Problembehandlung
“Was ist denn da SCHON WIEDER passiert?”
Kryptische Meldungen: Wenn die Problembehandlung aufgrund eines Problems nicht gestartet werden kann und die Hilfe zur Problemlösung nicht hilft.

3. Ohnmacht

Das Gefühl der Technik ausgeliefert zu sein ist manchmal groß und auch bei versierten Anwendern vorhanden. Es erscheint immer dann, wenn etwas ad-hoc nicht mehr funktioniert und setzt sich schnell fort, wenn man sich nicht in der Lage fühlt, das Problem zu lösen. Das Display bleibt beispielsweise plötzlich schwarz und ignoriert alle Befehle. Es erscheint eine unverständliche Anweisung des Gerätes, z. B. eine kryptische Fehlermeldung, zu der auch kein Hinweis in der Anleitung steht. Das Ohnmachtsgefühl steigt zudem, wenn selbst vorgeschlagene Lösungsschritte der Hersteller nicht zum Ziel führen (Steuerbarkeit).

Hilfe und Anleitung: Noch viel zu oft werden Fehlermeldungen nüchtern nummeriert, wenig aussagekräftig formuliert oder gar zusammengefasst. Klar verständliche Fehlermeldungen reduzieren Frust und senken enorm den Aufwand für Kundenservicemaßnahmen. Ein gutes Argument, ein höheres Budget für die Entwicklung zu erreichen.

4. Ratlosigkeit

Das Gefühl der Ratlosigkeit meldet sich immer dann, wenn ein Nutzer am Ende seines Lateins ist und schon alle erdenklichen Wege zur Lösung durch gegangen ist: “Jetzt bin ich ratlos!” oder “Ich weiß nicht mehr weiter!”. Stehen dann noch mehrere Optionen zur Lösung bereit, kommt auch meist Überlegung hinzu, welcher Lösungsweg eingeschlagen werden soll, um schnell zum Ziel zu gelangen. Das geht gern mit dem Gefühl der Unsicherheit einher, welcher Lösungsweg nun aktuell der richtige ist (Steuerbarkeit). Auch, weil Angst da ist, dass die Lage noch schlimmer werden kann (“Verschlimmbessert”!).

Teilweise gibt es z. B. automatische Prozesse, wie Update-Aktualisierungen bei Software in bestimmten Intervallen, die im Hintergrund mitlaufen und ein Gerät für bestimmte Zeit lahm legen. Nutzer wundern sich das erst mal, warum es nicht mehr so wie gewohnt reagiert. Bis sie dann die Antwort gefunden haben, kann es schon etwas dauern.

Hier greifen die Anwender dann gerne auf die traditionelle Service-Hotline zurück oder wenden sich verstärkt an Onlineforen, um sich Rat zu holen bzw. eine Lösung zu bekommen. Einhergehend mit der Ratlosigkeit kommt meist das Gefühl der Hilflosigkeit, die sich bis zur Wut steigern kann.

5. Willkür

Funktionieren Funktionen nicht wie beschrieben oder gibt man einem Gerät einen eindeutigen Befehl, der nicht angenommen wird – oder der plötzlich eine andere Funktion auslöst -, es also nicht reagiert, wie erwartet, regt sich schnell das Gefühl von Willkür. Das ist extrem nachteilig, denn der Nutzer bekommt dadurch das Gefühl, dass das Produkt nicht berechenbar ist oder gar unsauber programmiert worden ist (Verlässlichkeit, Konsistenz).

Es ist das Gefühl, dass das Gerät den Nutzer beherrscht und nicht umgekehrt und äußert sich in Kommentaren wie “Das Ding macht mal wieder, was es will!” oder “Die Hersteller wissen auch nicht, was sie wollen!”. Auch, wenn man als Nutzer Führung und Hilfe erwartet aber alleine gelassen wird, z. B. in einem längeren Installationsprozess, erscheint das Gefühl ein Opfer der Willkür der Hersteller zu sein.

Denken Sie bitte daran, dass wir mit unserem Fachblick oft die Gründe kennen, doch das Gefühl der Willkür beim Nutzer dennoch real bleibt.

6. Hilflosigkeit

Kritisch für die Kundentreue wird es, wenn sich das Gefühl der Hilflosigkeit bei einem Anwender einstellt. Man fühlt sich sozusagen abhängig von der Technik, da man die Kontrolle verloren und keinen Einfluss mehr auf die Reaktionen und das richtige Funktionieren der Technik hat. Wenn man nun durch mangelnde Benutzerführung, willkürlich erscheinendes Verhalten oder nicht hilfreichen Service auch noch das Vertrauen verliert, ist das meist schon der Anfang vom Ende.

Das Ausmaß an Hilflosigkeit ist dabei bei jedem Anwender verschieden ausgeprägt. Die Frage nach dem “Was soll ich denn jetzt (noch) machen?” steht dabei im Vordergrund.

Hier wird es bereits kritisch, denn wenn man sich nicht der Lage fühlt, einem Produkt bei aufkommenden Fragen oder Problemen Herr zu werden, löst sich der Kunde vom Produkt. „Warum soll ich mir das antun?“ Ein weiterer Negativaspekt ist, dass auch an dieser Stelle wieder Zeit und/oder Geld investiert werden muss, z. B. für eine Hotline.

Nerv mich nicht!
“NERV MICH NICHT, du blödes Handy!”
Wenn wir erstmal wütend sind, wird es gefährlich für die Technik …

7. Wut

Wut bildet meist das Ende einer Kette aus ganz vielen negativen Erfahrungen und angestauten Gefühlen. Wut ist die Summe aus den Unzulänglichkeiten des Produktes und der falschen Anwendung seitens Nutzer (Fehlertoleranz).

Richtig gefährlich wird es, wenn der Kunde zornig wird. Denn jetzt schlägt Wut in Aggression, die sich gegen das Produkt und oft genug den Hersteller richtet. Internet-Foren sind voll von wütenden Kommentaren.

An dieser Stelle kann oft eine Lösung des aktuellen Problems nicht mehr viel gut machen. Der Kunde orientiert sich neu und rät dann oft lautstark anderen von dieser Marke oder diesem Produkt ab (Weiterempfehlungsbereitschaft).

Von wegen “Das betrifft mich nicht!”

Hat Sie Hard- oder Software schon mal so wütend gemacht, dass man denkt, man muss dem gegenüber eine Drohung aussprechen?

Egal ob studiert oder nicht, ob Mann oder nicht, ob Reich oder nicht, Techniker oder nicht. Oben aufgezählte Gefühle auf Grunde einer negativen User Experience treffen uns alle und machen vor keiner Segmentierung oder Zielgruppe halt. Don’t make me think ist noch immer die Devise.

Wichtig zu wissen ist auch, dass sich bei diesen Gefühlen die Kosten-Nutzen-Bilanz der Kunden empfindlich verschiebt, da sie mehr Zeit, Nerven und auch Geld investieren müssen als geplant. Zum Beispiel: sie rufen die Service Hotline an, gehen noch mal in das Geschäft zurück, um die Ware umzutauschen, deinstallieren die App uvm.

Diese 7 Gefühlsregungen können sogar mittels moderner Technologie gemessen werden. Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Methoden zur Messungen von emotionalen Ausdrücken, physiologischen Reaktionen und subjektiven Gefühlen (Emotionsforschung).

Testen Sie das Produkt im Sinne einer positiven User Experience (EN ISO 9241-210) auf …

… Aufgabenangemessenheit, Erwartungskonformität, Fehlertoleranz, Individualisierbarkeit, Lernförderlichkeit, Selbstbeschreibungsfähigkeit und Steuerbarkeit ?

Sehen Sie Ihren Kunden ins Gesicht!

Sollten Sie Produkttests durchführen, vergessen Sie also dabei nicht, den Probanden in ihr Gesicht zu sehen und neben den Worten auch die Mimik, die Gestik und die Körperhaltung mit auszuwerten.

Ein Kommentar wie “Das fand ich jetzt einfach!” nach einem Test bekommt eine ganz andere Aussagekraft, wenn man die angespannte Körperhaltung oder die gerunzelte Stirn des Probanden während des Tests gesehen und das genervte Schnauben gehört hat.


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