Seit 15. Juli 2010 ist Hans-Peter W. auf freiem Fuß, seither hatte er ein halbes Dutzend Wohnsitze. Denn wo immer er in Hamburg auftaucht, ist er unerwünscht. W. war im April 1980 auf Bewährung wegen Bedrohung von Frauen gerade draußen, als er eine Mutter mit vorgehaltener Luftdruckpistole in ihre Wohnung zwang und sie dort vor den Augen ihres Sohnes vergewaltigte.
Dafür wurde er zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt – mit anschließender Sicherungsverwahrung. Weil diese immer wieder verlängert wurde, verbrachte W. mehr als 30 Jahre im Gefängnis. Dies war möglich, weil die Bundesregierung 1998 die Sicherungsverwahrung von maximal zehn Jahren auf eine unbegrenzte Zeitdauer verlängerte.
Das «Restrisiko» bleibt
Im Dezember 2009 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die nachträgliche Anordnung einer unbegrenzten Sicherungsverwahrung nicht rechtens sei – schließlich galt zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung noch eine maximale Verwahrdauer von zehn Jahren. Schließlich entschied das Bundesverfassungsgericht, dass alle Altfälle freizulassen sind.
Etwa 70 der bundesweit 500 Sicherungsverwahrten sind bis zum Ende des vergangenen Jahres deshalb auf freien Fuß gekommen, fast die Hälfte von ihnen Sexualstraftäter. Das Problem ist: Wie sollen wir mit Menschen umgehen, die ihre Strafe verbüßt haben und frei sind, von denen aber noch immer ein gewisses Restrisiko ausgeht?
Die Bild schreibt «Bestie», die Menschen demonstrieren
Vor allem die hanseatischen Boulevardmedien machen mächtig Stimmung gegen Hans-Peter W. und «Totschläger» Karsten D., der ebenfalls aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden ist. Fotografen von Bild, Hamburger Morgenpost oder Hamburger Abendblatt belagern die Wohnung, in die die «Schwerverbrecher» einziehen soll. Die Medien schüren in Artikeln die Angst, bezeichnen W. als «Bestie», als «Sex-Gangster», als «sadistischen Serienvergewaltiger», der rund um die Uhr von jeweils vier Polizisten im Schichtdienst bewacht wird.
Gleichzeitig formiert sich Widerstand der Hamburger: Jeden Abend ziehen Anwohner demonstrierend und pfeifend durch den betroffenen Stadtteil Jenfeld. Seit anderthalb Jahren geht das so in der Hansestadt: Wo auch immer W. und D. hinziehen sollen, lassen die Pfeifen und Sprechchöre der Demonstranten nicht lange auf sich warten. Zuletzt berief der Senat eine Bürgerkonferenz ein – dort kam es zum Eklat. «Wir machen ihnen das Leben zur Hölle», riefen Bürger in Richtung der Senatsverwaltung bezüglich der Unterbringungspläne.
Hamburg ist kein Einzelfall
Im vergangenen Jahr kochte auch in einem anderen Orten der Republik die Angst und der Widerstand der Bevölkerung hoch – etwa im kleinen Örtchen Insel in Sachsen-Anhalt. In das kleine Dorf bei Stendal sollten zwei ehemalige Sicherungsverwahrten ziehen. Doch gegen die Ansiedlung der Sexualstraftäter protestierten, demonstrierten die Anwohner, sogar Lynchjustiz wurde befürchtet. Irgendwann kam auch die NPD, demonstrierte mit den Bürgern aus Insel und forderte die «Todesstrafe für Kinderschänder».
«Haut ab aus unserem Dorf», brüllen die Protestanten noch immer. Auch der Bürgermeister des 400-Einwohner-Dorfes ist mit dabei. Alexander von Bismarck fordert, dass die Sicherheit der Menschen als wichtiger angesehen wird als das Wohl der Sexualstraftäter. Die unter Polizeischutz stehenden Ex-Häftlinge überlegen, den Ort zu verlassen. Doch wohin? Die Männer sind zwar frei und könnten an jeden Ort ziehen. Dass sie dort jemand willkommen heißt, darf aber bezweifelt werden.
Quelle:
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Gesellschaft Nachrichten -
Entlassene Straftäter – Deutschland jagt Vergewaltiger