Heute kam die aktuelle Heitmeyer-Studie "Deutsche Zustände" heraus und es lief mir kalt den Rücken runter.
"Heitmeyer-Studie? Was ist das denn?"
Aber viel besser als den taz-Artikel fand ich die Berichterstattung der Tagesschau. Interessanterweise ist die dort viel ausführlicher und ehrlicher. Dort wird eindeutig konstatiert, dass die Deutsche Mittel- und Oberschicht sich rechtsextremistischem Gedankengut öffnet.
SF2000 meinte letzte Woche zu mir, dass er sich vor allen anderen Dingen darüber Sorgen macht, dass in Deutschland zunehmend die Ideale der "politischen Korrektheit" über den Jordan gehen. Er meinte, ich solle mich doch nur umkucken, wie Hassprediger wie Thilo Sarrazin ihre vollständig idiotischen Thesen in allen Medien präsentieren können. Menschen, die augenschaunlich rassistische und Menschenwürde-verletzende Gedanken preisgeben und diskutieren lassen bekommen das Attribut angesteckt: "Das musste doch auch mal gesagt werden! Und natürlich hat das nichts mit Rechtsextremismus zu tun, wenn man endlich die Wahrheit über Ausländer sagt! Und den HartzIV-Empfängern geht es eh noch zu gut!"
Aufkeimender Abstiegsangstfaschismus der Mittelschicht
Das F-Wort hier möchte ich nicht von ungefähr her benutzen. Es ist mittlerweile bekannt, dass wir in einer Zeit leben, wo immer mehr Einkommensschichten mit einer Abstiegsangst diskutieren, die sie eigentlich nicht zu haben brauchen. Oder die ihnen die Politik und die Wirtschaft einbläut, damit sie jede noch so zumutbare Arbeit annehmen. Und diese Angst lässt die Mittelschicht nach unten treten - nicht nach oben.
Wenn die vorgestellte Stude jetzt konstatiert, dass die deutsche Oberschicht zusammen mit der Mittelschicht weniger Verständis für die soziale Randlage von Menschen mit Migrationshintergrund und Arbeitslosen entgegenbringt, so erinnert mich das definitiv an braunbraune "F-Zeiten". Die Studie "Deutsche Zustände" beschreibt das nämlich so:
Zivilisierte, tolerante, differenzierte Einstellungen in höheren Einkommensgruppen scheinen sich in unzivilisierte, intolerante Einstellungen zu wandeln. So nimmt beispielsweise in der höheren Einkommensgruppe (ab 2500 Euro pro Kopf; Haushaltsnettoeinkommen, umgerechnet und gewichtet nach Anzahl der Personen im Haushalt) die Zustimmung zu Etabliertenvorrechten und Islamfeindlichkeit besonders deutlich zu.
Anders gesagt: "Ökonomische Verlustangst koppelt Hirn aus". Es ist doch nunmal so, dass in Deutschland der Anteil reicher und armer Menschen steigt. Die Mittelschicht wird weniger und die Mittelschichtler werden von Abstiegsängsten und Neid für "die besser gestellten" gepeinigt. Leider sind Angst und Neid auch keine rationellen Gedanken, weshalb die Frustration psychologisch durch Schuldzuweisungen verarbeitet wird. Und Schuld kann man am Besten denen zuweisen, die keine Lobby haben und sich sonst schlecht wehren können.
Fassen wir also zusammen:
Mittelschicht und Oberschicht in Deutschland büßen ihr Verständnis für gesellschaftliche Mechanismen ein. Nicht das System, das ihnen soziale und ökonomische Vorteile verschafft auf Kosten schlecht ausgebildeter Menschen wird angeprangert. Sondern das Gegenteil wird behauptet: wer nicht profitiert, stellt sich einfach zu dumm an! Und wer zu dumm ist, der kriegt dann eben auch nur Almosen! Die "Deutsche Zustände"-Studie nennt das vereinfacht "zunehmend rohe Bürgerlichkeit":
Diese Rohheit zeichne sich dadurch aus, dass es infolge von ökonomischen wie gesellschaftlichen Kriseneffekten deutliche Hinweise auf eine "entsicherte wie entkultivierte Bürgerlichkeit" gebe, die auch über "angeblich liberale Tages- und Wochenzeitungen" verbreitet werde. Die neue Formel des Abbaus von sozialstaatlichem Anrecht auf Unterstützung laute: Gnade durch Wohlhabende und Selbstverantwortung der sozial Schwachen.
Mein Beispiel aus dem Jahr 2005:
Eure Armut, Eure Nutzlosigkeit versaut uns den Tag!
Schon seit Jahren stelle ich fest, dass die in der Studie genanten "angeblich liberalen Tages- und Wochenzeitungen" der Entkultivierung der Mittelschicht Vorschub leisten. Und das ist erschreckend und in der Tat für unser Zusammenleben bedrohlich. Auch wenn es nicht gleich sofort zu Pogromen gegen Arbeitslose und Ausländer durch Yuppies und Banker kommt, oder dass tatsächlich eine Partei rechts der CDU/CSU wie in den Niederlanden und Dänemark die etablierte Politik vor sich hertreibt, so habe ich dennoch Angst, dass Vorstellungen von Solidarität und Verständnis für Schwächere demnächst Minderheitenschutz beantragen müssen.
Was in 50 Jahren mühevoll aufgebaut wurde, macht man aktuell in wenigen Jahren zunichte. Heut ist ein ganz ganz schwarzer Tag fürs solidarische Zusammenleben.
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