Deutsche Handwerksmeister stehen bekanntlich für Qualität und stellen in diesem Bereich hohe Ansprüche. Das gilt auch für den 75-jährigen Leiter unserer Schreinerei. Die Probleme begannen, als er im letzten Sommer zum ersten Mal seit drei Jahren in den dreimonatigen Heimaturlaub fuhr. Die Vertretung übernahm Br.Kizito. Dieser ertappte den Sekretär und einige Facharbeiter bei einem Diebstahl, entließ sie und stellte neue Kräfte ein. Der alte Meister kehrte aus dem Urlaub zurück und merkte bald, dass der neue Sekretär ihm nicht behagte. Also wurde auch der neue Sekretär entlassen, statt seiner sollte nun der junge Br.Bosco die Briefe am Computer schreiben. Als Bosco daran scheiterte, den Brief im Blocksatz zu formatieren, rief unser alter Meister den entlassenen Sekretär zurück. Am nächsten Tag hatte er diverse geschäftliche Angelegenheiten mit mir zu besprechen und sagte am Schluss leichthin, “Ach übrigens, ich hab meinen Sekretär wieder eingestellt.” Ich hielt es für klüger, erst einmal nicht zu antworten, und mich mit Br.Petro und Br.Augustino zu beraten. Einerseits war klar, dass der alte Herr auf einen zuverlässigen Helfer angewiesen war, andererseits stellt Diebstahl bei uns ein sehr großes Problem dar, und jemanden, der wegen Diebstahls entlassen worden war, wieder einzustellen, hätte ein ziemlich falsches Signal an die anderen Arbeiter ausgesendet.
Wir baten unseren Pförtner, Herrn Ngosongo, der wegen seiner spritzig-witzigen Art bei jeder Feier durch das Programm führt, und die besten Kontakte ins Dorf hat, sich nach einem anderen Sekretär umzuschauen. Der alte Meister sagte, er brauche keinen anderen, mit dem jetzigen sei er zufrieden, und außerdem hätte er ja nur ein paar Wellblechplatten gestohlen, das wär’ ja nicht so viel. So ging es eine knappe Woche lang hin und her, dann passierte etwas Erschreckendes: Der Sekretär starb. Er hatte an Sichelzellenanämie gelitten, einer Erbkrankheit, die in den Tropen recht häufig vorkommt, da die entsprechende genetische Veränderung einen gewissen Schutz gegen Malaria bietet. Weil man hier gerne nach einem Schuldigen für jeden Todesfall, und besonders für einen plötzlichen, sucht, kam das – natürlich völlig blödsinnige – Gerücht auf, Br.Kizito hätte den Ärzten im Krankenhaus gesagt, sie sollten ihm bei einer der Bluttransfusionen, wie sie zur Milderung der Krankheit eingesetzt werden, die falsche Blutgruppe geben.
Ein paar Tage nach diesem tragischen Todesfall kam dann Herr Ngosongo zu mir: Auf drei Zetteln hatte er je einen Namen notiert: “Die hier hat Form 6 (entspricht unserem Abitur), aber sie kann nur für kurze Zeit arbeiten, dann wird sie studieren. – Der hier hat nur Form 4 (“Mittlere Reife”), und er kennt sich nicht mit Computern aus. – Und dann gibt es noch diese hier, eine Binti, die hat auch Form 4 und kennt sich mit Computern aus.” Damit ist klar, dass nur die Binti in Frage kommt. Binti heißt “Tochter”, oft bedeutet das Wort aber “Junge Frau”. Als ich mir den Zettel genauer anschaue, sehe ich den Namen, “Dorice Ngosongo”. Damit ist klar, dass er nicht “eine Binti”, sondern “meine Binti” gemeint hatte, und der Trick, erst zwei unmögliche Kandidaten zu nennen, und dann den (oder die), der (die) es werden soll, ist auch nicht schlecht (In Bezug auf die Bischofswahlen in Deutschland soll Kardinal Frings einmal gesagt haben: “Rom benennt drei Kandidaten, einen Chinesen, einen Japaner, und den, der es werden soll”).
Deutsche Handwerksmeister und ihre Sekretäre
Autor des Artikels : rsk6400
Zum Original-ArtikelErlebnisse eines deutschen Mönchs im Alltag auf Kuba.