Der zerbrochne Kurg – Bremen 2009

Kaltes Licht und heiße Weiber

„Der zerbrochne Krug“ – Inszenierung im Bremer Stadttheater 2009

Der Einstieg ist gleichzeitig ein Ausgang, der Ausgang aus dem Paradies: Ein unsicherer, orientierungsloser, fast reumütig erscheinender Adam singt, in Schlafanzughose und mit nacktem Oberkörper, Johnny Cashs „Hurt“ und verweist mit den Zeilen „what have I become“ und „I wear this crown of thorns“ unmittelbar auf die christliche Symbolik des Stücks, während Eve sich im paradiesischen (nackten) Zustand am hinteren Rand der Bühne zeigt. Stellt diese Szene zwar kein intaktes Paradies (Adam erscheint schon von Zweifeln und Reue geplagt und legt damit eine Selbstreflexion an den Tag, die seiner weiteren Darstellung im Handlungsverlauf nicht entspricht), aber durch die nackte Eve doch noch zumindest eine Anlehnung daran dar, so wird diese mit dem Fallen des Kruges auf die Bühne endgültig zerstört und somit die volle Bedeutung des Zerbrechens des Kruges unmittelbar greifbar: Die Scherben stehen für den Verlust auch des letzten paradiesischen Anklangs.

Das nun entzündete Neonlicht enthüllt Adams Richterstube: an den Wänden ziehen sich endlos scheinende Reihen von Schubladen, darüber eine Reihe seltsamer Uhren mit krummen Zeigern und verschobenen Stundenblättern, rechts oben eine schwere Eisentür, von der eine Leiter hinunter ins Zimmer führt. Das Zimmer selbst, eingerahmt von dieser scheinbaren, allerdings durcheinander geratenen Ordnung, präsentiert sich schmuddelig: in der Ecke ein Kühlschrank, davor Plastiktüten, ein Schreibtisch, ein zerwühltes Bett, leere Pizzakartons. Ein ‚Loch’, könnte man umgangssprachlich fast sagen und träfe damit sogar einen wichtigen Punkt: Das Zimmer liegt in der Tiefe und um Adam zu besuchen, muss der Besucher herabsteigen; in Verbindung mit der später von Frau Briggy vorgebrachten Teufelsallegorie könnte man sogar beinah von einem Abstieg in die Unterwelt sprechen. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, dass Licht nicht durch die schwere, höher gelegene Eisentür eintritt, sondern seitlich, sich also scheinbar nicht erst auf Adams Ebene begeben muss, sondern sich schon von Vorneherein auf dieser bewegt. Auch Ankläger, Zeugen und Beklagte des nun anstehenden Prozesses befinden sich alle schon im Hintergrund des Bühnenbildes, alle schon auf ihren Stühlen, wartend, dass der Richter Adam seiner Pflicht nachkommt. Einzig der Gerichtsrat Walter macht von der eisernen Leiter Gebrauch, um sich auf Adams Niveau herab zu begeben. Walters Entwicklung und Wandlung im Verlauf der Handlung erfährt denn auch besonderes Augenmerk: Positioniert er sich anfangs noch recht statisch, nimmt Akten zur Hand und unterstreicht seine amtlichen Absichten, so wird er mit Beginn und Fortschreiten des Prozesses immer beweglicher, ändert kontinuierlich seine Position auf der Bühne und erscheint rast- und ortlos. Immer weiter entfernt er sich von der Verkörperung der Ordnung und Obrigkeit und nähert sich stattdessen Adams Position, bis die beiden anfänglich gegensätzlichen Figuren Brüderschaft trinken.

Beweglichkeit erscheint überhaupt insgesamt als Leitfaden in der schauspielerischen Darbietung: Adam repräsentiert quasi eine moderne Auffassung von Vitalität, indem er, trotz seines verletzten Fußes, auf Tische springt und durch den Raum hüpft, Licht positioniert sich je nach Gelegenheit in seiner ihm angemessenen Schreiberposition im Hintergrund oder aber gleich in Adams Richterstuhl und Frau Marthe Rull kommt kaum zur Ruhe in ihrem Bestreben auf jede der beteiligten Figuren Einfluss zu nehmen. So sieht sich der Gerichtsrat den erotisch aufgeladenen Annäherungen einer sowohl im Gebaren als auch im Kleidungsstil aufdringlichen Mutter ausgesetzt, Eve erleidet energische Drohungen und Beschimpfungen und Adam ist Marthes Unnachgiebigkeit bezüglich der Aufklärung des Konflikts ausgeliefert. Frau Marthe erscheint in ihrer Aufmachung (kurzes Kleid, feuerroter Mantel, hohe Stiefel) und ihrem Verhalten als Frau, die ihre Ziele mit allen Mitteln verfolgt und durchsetzt. In diesem Zusammenhang erscheint ihre quasi fanatische Fixierung auf Eves Ehrbarkeit beinah paradox und verweist auf die Scheinheiligkeit der Werte, die Marthe selbst zu Gunsten ihrer Ziele über Bord wirft.

Wertverfall ist überhaupt ein Element, das sich, wie in der Eröffnungsszene und durch den Abgrund, in dem sich das Richterzimmer befindet, angekündigt, in allen Figuren manifestiert; Licht, der Adam gegenüber unterwürfig ist, aber bei dessen langsamer Entlarvung Schadenfreude an den Tag legt, Ruprecht, dessen Liebe zu Eve nicht, wie in der Vorlage, treu, sondern nachhaltig erschüttert ist und Walter, der nach der Entlarvung Adams das Richterzimmer beinah fluchtartig verlässt, anstatt, wie es seiner Rolle zukommen würde, die Situation zu lösen. Stattdessen bleibt die von Adam ausgesprochene Verurteilung Ruprechts zur Gefängnisstrafe bestehen und das Rechtssystem ist somit gänzlich aus seinen Angeln gehoben.

Obwohl die Inszenierung des Stücks durchaus komische Elemente aufwies, die sich in den Lachern der Zuschauer manifestierten, wird durch dieses mehr tragische als komische Ende, das in Adams eigenhändiger Erschießung seinen Höhepunkt erfährt, die Gattungszugehörigkeit ebenso zertrümmert wie der Krug und die menschlichen Ordnungssysteme.

Einzig Eve, deren Ehrenhaftigkeit es ja gerade ist, die auf dem Prüfstand steht, setzt sich von diesem allgemeinen Wertverlust ab: Adams erotische Annäherungen hat sie schließlich abgewiesen, obwohl sie damit Gefahr lief, ihr Ziel, die Rettung ihres Verlobten vor dem Kriegsdienst, nicht zu erreichen. Sie hielt den Wert der Jungfräulichkeit und der Treue hoch und steht somit im besonderen Gegensatz zu ihrer Mutter, der im Verlauf des Prozesses alle Mittel zum Zweck recht zu sein scheinen. In ihrer der langen Version des Stückes entnommenen Abschlusserklärung verdeutlicht sie denn auch ihren Standpunkt und gewinnt, im Gegensatz zu ihrer vorherigen Blässe und Zurückhaltung, Kontur, um am Ende fast als eine Art eingeschüchterte Heldin dazustehen.


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