Wirtschaftsflüchtlinge. Man mag sie hierzulande nicht. Christliche Parteien haben was gegen Wirtschaftsflucht. Wenn einer abhaut, weil er in seinem Land von Häschern verfolgt wird, dann ist man zwar nicht entzückt, doch man wahrt noch die Contenance. Aber Wirtschaftsflüchtlinge? Entfliehen, weil man die Wirtschaft nicht in Schwung kriegt? Ein besser Leben sucht? Faules Pack - oder etwa nicht?
West- und Ostafrikaner sind, sobald sie die Flucht nach Norden antreten, per definitionem Wirtschaftsflüchtlinge. Wenige aus diesen Regionen werden durchaus auch von Schergen verfolgt. Doch viele gehen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven mehr sehen. Wo nichts wächst, da ist sesshaftes Leben nicht mehr denkbar. Das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Schon gar nicht, wenn man gleichzeitig weiß, dass Europa und die USA knapp 60 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen. Der gesamte afrikanische Kontinent schafft es hier gerade mal auf nicht mal drei Prozent. Gibt es da keine globale Verantwortung für die Menschen, die aufbrechen müssen, weil der westliche Lebenswandel ihnen den Regen raubt?
Die Legende will es, dass man glaubt, der Exodus der Afrikaner sei mit dem Wohlstand Europas als Prozess aufgetaucht. In dem Sinne also, dass die Afrikaner plötzlich sahen, was es in Europa alles gibt und sich auf den Weg machten. Das kann man so nicht stehen lassen. Es ist schon seltsam, dass die europäischen Institutionen bis heute nicht fragen, woher die Korrelation der Massenflucht mit der Zunahme klimatischer Veränderungen kommt. 1990 thematisierte ein Fernsehfilm dieses Phänomen bereits. Er hieß »Der Marsch«. Hat sich Europa seither Gedanken darüber gemacht? Das Vorhaben die Treibhausgase zu reduzieren in allen Ehren: Kurzfristig hilft das den Opfern der globalen Erwärmung aber nicht. Vertrösten wir sie solange? Sagen wir ihnen, dass es bald schon besser werden könnte? In 20 oder 30 Jahren vielleicht. Wenn wir die Pläne umsetzen. Wenn!
Man braucht immer die eine Hälfte der Elenden, um die andere Hälfte der Elenden in Schach zu halten. Hier sieht man das wieder mal besonders schön. Die eine Gruppe bekommt eine Aufwertung, weil die andere Gruppe kurzerhand eine Abwertung erfährt. Und es ist ein Kinderspiel, denn die Vorurteile gegen den Schwarzen sitzen ja tief. Und sie berühren zudem dessen Verhältnis zum Wirtschaften. Das habe er nämlich nicht, weiß man als weißer Europäer. Schwarze hocken nur im Schatten und entwickeln kein Engagement. Sie sind faul und suchen deshalb das gemachte europäische Nest. Jemand in meiner Verwandtschaft erklärte mir schon vor vielen Jahren, dass die Armut Afrikas ein Produkt allgemeiner Unfähigkeit sei. Sich regen bringt Segen, sagte er den damals noch dummen Jungen, der ich war. Aber wo bleibt der Segen, wenn es keinen Regen gibt? Überhaupt sind das Ansichten von Herrenmenschen, die geographische Privilegien genießen.
Der Wirtschaftsflüchtling ist kein wollüstiger Krimineller, der den Aufbau wirtschaftlicher Strukturen scheut, um sich in ein Wirtschaftssystem einzuschleichen, das andernorts schon erbaut ist. Er ist insofern kein Nesträuber, sondern hat ein durchaus berechtigtes Anliegen. Seine Heimat gibt nicht mehr genug her für alle. Man muss ihn als Opfer globaler Entwicklungen sehen. Während wir den Klimawandel mit immer wärmeren jährlichen Durchschnittstemperaturen wahrnehmen und sich die Mehrzahl der Menschen hierzulande darüber freut, auch im November noch kurze Hosen tragen zu können, zeitigt der klimatische Kollisionskurs in anderen Weltgegenden schon drastische Folgen. Nichts geschieht auf diesem Erdenrund im luftleeren Raum. Was geschieht geht uns alle an. Die Folgen für Westafrika sind auch unsere Folgen. Und wenn wir auch noch zu einem guten Teil aktiv dafür verantwortlich sind, dann sowieso. Auch dieser Text verursacht einige Gramm an CO2-Ausstoß.
Wer Wirtschaftsflüchtlinge kriminalisiert, der macht nicht nur Opfer zu Tätern, sondern auch die Verursacher der globalen Erwärmung zu Opfern. Dieser Diskurs ist daher nicht nur einfach unmoralisch und populistisch. Er ist tatsachenblind und faktenvergessen. Es ist das selbstgerechte Urteil von Menschen, die sich die Erde untertan gemacht haben, aber ihren Teil der Welt, Europa und Deutschland nämlich, abschotten möchten.
Quelle: IPCC
Ein bequemes Urteil für Leute, die im vom Klima begünstigten Europa leben. Wenn Albert Hammond ziept, dass es in Southern California nie regnet, dann kriegen wir gute Laune. In Wahrheit ist Trockenheit allerdings eine Katastrophe. Viele der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken oder auf Lampedusa und vor den Zäunen Ceutas und Melillas warten, stammen aus den Zonen an den Rändern der Sahara. Vor allem aus Westafrika. Einer Weltregion, die nie durch besonders ausgiebigen Regenfall ausgezeichnet war. Die Niederschlagsrate sinkt seit Jahren (siehe Karte). Die allgemeine Klimaerwärmung trocknet die Subregion aus. It never rains in Western Africa. Und die Folge sind verdorrte Ernten und Hungersnöte. Ohne Wasser lassen sich keine Felder bestellen; ohne Nahrung keine noch so rudimentären Wirtschaftsstrukturen halten.West- und Ostafrikaner sind, sobald sie die Flucht nach Norden antreten, per definitionem Wirtschaftsflüchtlinge. Wenige aus diesen Regionen werden durchaus auch von Schergen verfolgt. Doch viele gehen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven mehr sehen. Wo nichts wächst, da ist sesshaftes Leben nicht mehr denkbar. Das kann man niemanden zum Vorwurf machen. Schon gar nicht, wenn man gleichzeitig weiß, dass Europa und die USA knapp 60 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verursachen. Der gesamte afrikanische Kontinent schafft es hier gerade mal auf nicht mal drei Prozent. Gibt es da keine globale Verantwortung für die Menschen, die aufbrechen müssen, weil der westliche Lebenswandel ihnen den Regen raubt?
Die Legende will es, dass man glaubt, der Exodus der Afrikaner sei mit dem Wohlstand Europas als Prozess aufgetaucht. In dem Sinne also, dass die Afrikaner plötzlich sahen, was es in Europa alles gibt und sich auf den Weg machten. Das kann man so nicht stehen lassen. Es ist schon seltsam, dass die europäischen Institutionen bis heute nicht fragen, woher die Korrelation der Massenflucht mit der Zunahme klimatischer Veränderungen kommt. 1990 thematisierte ein Fernsehfilm dieses Phänomen bereits. Er hieß »Der Marsch«. Hat sich Europa seither Gedanken darüber gemacht? Das Vorhaben die Treibhausgase zu reduzieren in allen Ehren: Kurzfristig hilft das den Opfern der globalen Erwärmung aber nicht. Vertrösten wir sie solange? Sagen wir ihnen, dass es bald schon besser werden könnte? In 20 oder 30 Jahren vielleicht. Wenn wir die Pläne umsetzen. Wenn!
Quelle: dpa
Trotz Argumenten: Mit Verständnis begegnet man dem Phänomen der sogenannten Wirtschaftsflucht nicht. Die Reaktionen fallen gegenteilig aus. Man sagt provokant, dass der Wirtschaftsflüchtling einer sei, der seine Heimat nur verlässt, weil er ein besseres Leben für sich haben will. Nur? Als sei das ein Kinkerlitzchen. Als sei die Flucht über den afrikanischen Kontinent, organisiert von Schlepperbanden, die sich den Exodus fürstlich bezahlen lassen, eine Entscheidung, die man ohne Wimpernzucken trifft. Den Schleppern ist man in Europa dankbar. Und dann noch dieses »für sich«. Als gehe es dem Flüchtling um Gier oder um reine Glückssucht. So entsteht Ablehnung und der Eindruck, dass es Flüchtlinge zweierlei Sorte gibt. Die berechtigten Flüchtlinge, die dem Krieg entfliehen oder aufgrund von spezifischen Merkmalen verfolgt werden - und die Glücksritter, die das Asylrecht quasi missbrauchen und sich nur bedienen möchten am Wohlstand.Man braucht immer die eine Hälfte der Elenden, um die andere Hälfte der Elenden in Schach zu halten. Hier sieht man das wieder mal besonders schön. Die eine Gruppe bekommt eine Aufwertung, weil die andere Gruppe kurzerhand eine Abwertung erfährt. Und es ist ein Kinderspiel, denn die Vorurteile gegen den Schwarzen sitzen ja tief. Und sie berühren zudem dessen Verhältnis zum Wirtschaften. Das habe er nämlich nicht, weiß man als weißer Europäer. Schwarze hocken nur im Schatten und entwickeln kein Engagement. Sie sind faul und suchen deshalb das gemachte europäische Nest. Jemand in meiner Verwandtschaft erklärte mir schon vor vielen Jahren, dass die Armut Afrikas ein Produkt allgemeiner Unfähigkeit sei. Sich regen bringt Segen, sagte er den damals noch dummen Jungen, der ich war. Aber wo bleibt der Segen, wenn es keinen Regen gibt? Überhaupt sind das Ansichten von Herrenmenschen, die geographische Privilegien genießen.
Der Wirtschaftsflüchtling ist kein wollüstiger Krimineller, der den Aufbau wirtschaftlicher Strukturen scheut, um sich in ein Wirtschaftssystem einzuschleichen, das andernorts schon erbaut ist. Er ist insofern kein Nesträuber, sondern hat ein durchaus berechtigtes Anliegen. Seine Heimat gibt nicht mehr genug her für alle. Man muss ihn als Opfer globaler Entwicklungen sehen. Während wir den Klimawandel mit immer wärmeren jährlichen Durchschnittstemperaturen wahrnehmen und sich die Mehrzahl der Menschen hierzulande darüber freut, auch im November noch kurze Hosen tragen zu können, zeitigt der klimatische Kollisionskurs in anderen Weltgegenden schon drastische Folgen. Nichts geschieht auf diesem Erdenrund im luftleeren Raum. Was geschieht geht uns alle an. Die Folgen für Westafrika sind auch unsere Folgen. Und wenn wir auch noch zu einem guten Teil aktiv dafür verantwortlich sind, dann sowieso. Auch dieser Text verursacht einige Gramm an CO2-Ausstoß.
Wer Wirtschaftsflüchtlinge kriminalisiert, der macht nicht nur Opfer zu Tätern, sondern auch die Verursacher der globalen Erwärmung zu Opfern. Dieser Diskurs ist daher nicht nur einfach unmoralisch und populistisch. Er ist tatsachenblind und faktenvergessen. Es ist das selbstgerechte Urteil von Menschen, die sich die Erde untertan gemacht haben, aber ihren Teil der Welt, Europa und Deutschland nämlich, abschotten möchten.