Meine Kinder sind jetzt 4 1/2 und knapp 2 1/2 Jahre alt. Mein Sternenkind wäre im Monat Oktober 11 Jahre alt geworden. ET war der 20. Oktober 2004. Das Datum vergesse ich nicht. Genauso wenig wie das Datum des Verlustes. Das war der 1. März 2004. Der 1. März wiederum war dann 7 Jahre später der ET meines Großen (geboren am 6. März 2011). So schloss sich der Kreis.
Im kalten Januar 2004, ich war 29 Jahre alt, wurde ich zum ersten Mal schwanger, nicht unbedingt geplant, aber sehr willkommen. Es passte perfekt in unsere Lebenssituation, wir waren 3 Jahre zusammen, hatten eine gemeinsame Wohnung und ich war in der Endphase meines Studiums, d.h. schrieb gerade meine Magisterarbeit. Wir freuten uns unbändig und stellten uns sofort darauf ein. Nicht eine Sekunde zweifelte ich daran, dass etwas schief gehen könnte. Ehrlich gesagt, wusste ich damals auch gar nicht, wie häufig Fehlgeburten tatsächlich vorkommen. Wir hatten gar nicht diese Phase, dass man sich erst langsam an den Gedanken gewöhnen muss, sondern waren sofort Feuer und Flamme und mit Herz und Seele bei diesem Kind.
Ich war in der 6. Woche, als ich die Schwangerschaft feststellte, und erhielt ein paar Tage darauf einen Frauenarzttermin. Das Herz konnte man da noch nicht schlagen sehen und irgendwie war der Embryo auch etwas zu klein für sein Alter, aber auch dies bereitete mir keine Sorgen. Es war einfach jenseits meiner Vorstellungskraft, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Beim nächsten Termin sollte ich schon den Mutterpass bekommen, ich konnte es kaum erwarten. Wir besprachen sogar schon erste Gedanken, wie wir unser Leben mit dem Baby gestalten wollten. Es gehörte wirklich sofort dazu und war mitten in unserem Kopf und Herzen. Leider kam es anders.
Am Sonntag, 29. Februar 2004, musste ich vormittags arbeiten und einen Büchertisch bestreiten. Am Abend vorher erhielt ich einen Anruf, dass die andere Kollegin leider erkrankt sei und ich deshalb allein die schwere Bücherkiste mit der Sackkarre zum Ort der Lesung fahren sollte. Ich ärgerte mich fürchterlich, hatte aber noch nichts von der Schwangerschaft erzählt und es gab auch keine andere Lösung. So karrte ich die Bücherkiste durch die Straßen und verfluchte in dem Moment meinen Job. Die Lesung war nett und ich war mittags zuhause. Am Nachmittag merkte ich gar nichts.
Am Montag, 1. März (SSW 7+5), hatte ich sofort eine Schmierblutung, als ich auf die Toilette ging. Ich war total panisch und wusste, dass etwas Fürchterliches passiert war. Mein Mann (damals Freund) musste zur Arbeit fahren und briefte mich noch, am Vormittag zur Frauenärztin zu gehen. Das machte ich auch, schilderte die Umstände und musste trotzdem heulend und blutend über eine Stunde im Wartezimmer sitzen. Das war für mich ein absolutes Unding! Klar gibt es festgelegte Termine, aber eine Frau, die gerade eine Fehlgeburt erleidet, ewig im Wartezimmer sitzen zu lassen, grenzt an Böswilligkeit. Als ich dran kam, blutete ich schon sehr und bekam nur zu hören: "Tja, da ist leider nichts mehr zu sehen." Ich war völlig aufgelöst und wusste überhaupt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ganz mechanisch hinter einem Schleier hörte ich mir an, wie es weitergehen und wohin ich mich wenden sollte.
Wie in Trance lief ich nach Hause, tränenüberströmt und völlig verzweifelt. Das konnte einfach nicht sein! Mein Baby war weg, von dem ich doch erst seit einer Woche wusste, das aber schon ein nicht wegzudenkender Teil von mir geworden war. Ich informierte meinen Mann und kappte dann alle Verbindungen. Am Nachmittag musste ich in die Tagesklinik fahren und mich persönlich für die Ausschabung anmelden. Warum das nicht telefonisch reichte, weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls eine Tortur, allein durch die Stadt zu fahren und die Welt nicht mehr zu verstehen. An meine Arbeitsstelle schrieb ich eine Mail, ich konnte nicht telefonieren. Am Abend weinten wir gemeinsam, bis ich ganz plötzlich vor Schmerzen vom Stuhl kippte. Ich sank auf dem Boden zusammen und konnte nicht mehr aufstehen. Mein Mann holte mir Kissen und Decken und ich blieb Ewigkeiten dort so liegen. Mir war wirklich wie Sterben zumute. Irgendwann wankte ich ins Bett und fragte mich nur noch, wie ich am Morgen den Weg zum Auto schaffen sollte, mit dem mein Mann mich in die Tagesklinik fahren wollte.
Morgens fühlte ich mich wie ausgeleert und ausgekotzt, zog mich mechanisch an und wir fuhren zur Tagesklinik. Mein Mann verabschiedete sich von mir und wollte mich am Nachmittag wieder abholen. Aus heutiger Sicht finde ich es unerklärlich, wieso er sich nicht einfach krankmeldete und bei mir blieb. Aber auf diese Idee kamen wir irgendwie nicht. Der untersuchende Arzt sagte vor der Ausschabung, dass schon fast alles "abgegangen" sei und nur noch der Rest ausgeschabt würde. Daher die unsäglichen Schmerzen am Abend und in der Nacht. Nach dem Eingriff verbrachten wir, 2 andere Frauen und ich, noch einige Stunden auf dem Zimmer, bis unsere Männer uns abholten. Eine Frau war schon sehr viel weiter als ich, ich glaube, in der 12. Woche, die andere ähnlich weit wie ich (7./8. Woche). Sie redeten schon wieder wie Wasserfälle und ich - ich wusste nicht, in welchem falschen Film ich mich befand, an welcher Kreuzung ich falsch abgebogen war, was mit meinem Leben passiert war, das ich so schön vor mir gesehen hatte. Es war einfach alles nur schrecklich.
Die nächsten Tage verbrachte ich eingeigelt in unserer Wohnung. Ich war 2 Wochen krankgeschrieben, der Mann musste arbeiten und ich wollte niemanden sehen und hören. Körperlich erholte ich mich ziemlich schnell, aber ich weinte ständig und war völlig leer. Etwas zu verlieren, was zu einem gehört und was man nie wieder bekommen kann, ist genauso unvorstellbar wie der eigene Tod. Es war nicht einfach nur ein Embryo, ein Zellhaufen oder sonst was, es war mein Kind, dessen und unser gemeinsames Leben ich schon vor mir gesehen habe. Mein erstes, überraschendes, aber völlig willkommenes Kind! Ich konnte es nicht glauben, dass unser gemeinsamer Weg schon zu Ende war und nie mehr gelebt werden kann. Ich hatte keinerlei Erinnerungsstücke, keinen Mutterpass, kein Ultraschallbild, lediglich die Schwangerschaftstests hebe ich bis heute auf, damit es überhaupt etwas Greifbares gibt.
An dem darauffolgenden Wochenende besuchten uns wie geplant meine Eltern. Wir hatten bis dahin noch nichts erzählt und sie waren natürlich überrascht, als sie hörten, weswegen ich krankgeschrieben war. Die Reaktion war nicht so, wie ich es mir gewünscht und vorgestellt hätte, und ich kann nur hoffen, dass ich selbst einfühlsamer sein werde, sollte meine Tochter ihr Kind verlieren. Ich glaube, sie haben bis heute nicht verstanden, dass es ihr erstes Enkelkind war, was da starb. Auf einem eigentlich schönen Ausflug mit ihnen fühlte ich mich völlig falsch und es schrie in mir, dass die Erde sich doch nicht einfach so weiterdrehen konnte! Ich stand wie neben mir, noch sehr viele Monate. Ich funktionierte, nahm am Leben teil, erfüllte meine Pflichten, schrieb meine Magisterarbeit weiter, beendete mein Studium und feierte meinen 30. Geburtstag. Aber ich litt wie ein Hund. Der erste Arbeitstag nach der Krankschreibung fühlte sich so verlogen an. Alles ging weiter wie bisher, nur ich war zerbrochen. Ich weinte auch oft auf der Arbeit, im Bus und beim Spazieren.
Mein Mann schien das alles besser wegzustecken und wir sprachen, je mehr Zeit verging, immer weniger über den Verlust. Dabei wollte ich eigentlich über nichts anderes mehr sprechen. Mir ging es schlecht und immer, wenn es mir schlecht ging, schlug sich das enorm auf die Beziehung nieder. Wir hatten Kommunikationsprobleme und in den darauffolgenden Monaten eine schwere Krise. Verständlich, mein Leben lag in Scherben, so fühlte es sich für mich noch lange an. Ich beendete mein Studium, wir unternahmen weiterhin viel und machten schöne Urlaube, in denen ich mein Leid etwas vergessen konnte. Ich hatte allerdings einige körperliche Probleme, in denen ich den Schmerz um mein Baby erkannte. Da gab es viel Nasenbluten (nie zuvor und nie danach hatte ich jemals Nasenbluten). Da zerbrachen kurz vor dem ET zwei gesunde Zähne zeitlich ganz knapp nacheinander. Einer der beiden Zähne ist bis heute mein einziger Problemzahn. Ich hatte eine Röschenflechte (sonst so gut wie nie Hautprobleme) und starke Blutungen. Ich stürzte im Schwimmbad und brach mir einen Zeh, woraufhin ich wochenlang schlecht laufen konnte. Wie von Geisterhand hörte der ganze Mist im März 2005, also 1 Jahr nach der Fehlgeburt auf. Das war schon merkwürdig. Mein persönliches Trauerjahr, was mir mein Körper auch deutlich zeigte.
Ich weinte noch weiterhin sehr viel, schrieb kleine Briefe an mein verlorenes Kind, recherchierte viel über Fehlgeburten und stellte bis nach der Geburt des Großen jedes Jahr am Todestag und am ET eine Kerze und ein kleines Blümchen auf. Das war ich mir und dem Baby schuldig. Sonst sprach niemand groß darüber. Das war eigentlich das Allerschlimmste in den Monaten nach dem Verlust. Zwar hörte ich in dieser Zeit zum ersten Mal von Fehlgeburten im Familienkreis, aber es schien für alle etwas "Normales", zum Leben Dazugehörendes zu sein. Als ich zu Weihnachten 2004 bei meinen Eltern zu Besuch war und wir zusammen die Christmette besuchten, heulte ich Rotz und Wasser, als vom Kindelein in der Krippe und vom gerechten Gott die Rede war. Angebrüllt habe ich diesen Gott, an den ich sowieso nicht mehr glaubte. Ich habe jeden, wirklich jeden Tag an mein Mäuschen gedacht. Ein Jahr nach dem ET schenkte mir mein Mann einen Stern, der nach dem Baby benannt war. Das war sehr rührend. Es gibt ein Lied, was ich mit dem Baby verbinde und dessen Instrumentalteil sowas wie sein Wiegenlied ist: "That I would be good" von Alanis Morissette, der tollen, übrigens hochsensiblen Künstlerin, die auch an heftigsten postnatalen Depressionen litt, was ich damals natürlich alles noch nicht wusste, sich aber wunderbar in mein Lebensbild fügt.
Wenn ich damals gewusst hätte, was für emotional und körperlich aufzehrende Jahre noch vor uns liegen würden, bis ich wieder schwanger werden und zwei gesunde Kinder bekommen würde, ich wäre vollends verzweifelt. Eigentlich wollte ich gar kein neues, anderes Baby, ich wollte nur unser Sternenkind zurück. Es folgten viele Jahre des unerfüllten Kinderwunsches, bis ich endlich im Sommer 2010 wieder schwanger war. Zum 6. ET (20.10.2010) legten wir auf den Geburtstagstisch für unser Sternenkind daneben die ersten Klamotten für das neue Baby, das jetzt unser Großer ist. Und dann kam er und stellte alles auf den Kopf. Der letzte Eintrag im Erinnerungsbüchlein datiert vom 21.10.2011, etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Geburt des Großen. Und schaut mal, was ich da über unseren Großen schon schrieb:
Eintrag vom 21.10.2011
Und jetzt, endlich, kann ich diese Geschichte hier niederschreiben und damit für immer bewahren. Ich habe 3 Kinder, wie ich in diesem Text schon einmal schrieb: eines im Herzen und zwei gehen den Lebensweg mit mir. Das ist unglaublich traurig und schön zugleich.
Im kalten Januar 2004, ich war 29 Jahre alt, wurde ich zum ersten Mal schwanger, nicht unbedingt geplant, aber sehr willkommen. Es passte perfekt in unsere Lebenssituation, wir waren 3 Jahre zusammen, hatten eine gemeinsame Wohnung und ich war in der Endphase meines Studiums, d.h. schrieb gerade meine Magisterarbeit. Wir freuten uns unbändig und stellten uns sofort darauf ein. Nicht eine Sekunde zweifelte ich daran, dass etwas schief gehen könnte. Ehrlich gesagt, wusste ich damals auch gar nicht, wie häufig Fehlgeburten tatsächlich vorkommen. Wir hatten gar nicht diese Phase, dass man sich erst langsam an den Gedanken gewöhnen muss, sondern waren sofort Feuer und Flamme und mit Herz und Seele bei diesem Kind.
Ich war in der 6. Woche, als ich die Schwangerschaft feststellte, und erhielt ein paar Tage darauf einen Frauenarzttermin. Das Herz konnte man da noch nicht schlagen sehen und irgendwie war der Embryo auch etwas zu klein für sein Alter, aber auch dies bereitete mir keine Sorgen. Es war einfach jenseits meiner Vorstellungskraft, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Beim nächsten Termin sollte ich schon den Mutterpass bekommen, ich konnte es kaum erwarten. Wir besprachen sogar schon erste Gedanken, wie wir unser Leben mit dem Baby gestalten wollten. Es gehörte wirklich sofort dazu und war mitten in unserem Kopf und Herzen. Leider kam es anders.
Am Sonntag, 29. Februar 2004, musste ich vormittags arbeiten und einen Büchertisch bestreiten. Am Abend vorher erhielt ich einen Anruf, dass die andere Kollegin leider erkrankt sei und ich deshalb allein die schwere Bücherkiste mit der Sackkarre zum Ort der Lesung fahren sollte. Ich ärgerte mich fürchterlich, hatte aber noch nichts von der Schwangerschaft erzählt und es gab auch keine andere Lösung. So karrte ich die Bücherkiste durch die Straßen und verfluchte in dem Moment meinen Job. Die Lesung war nett und ich war mittags zuhause. Am Nachmittag merkte ich gar nichts.
Am Montag, 1. März (SSW 7+5), hatte ich sofort eine Schmierblutung, als ich auf die Toilette ging. Ich war total panisch und wusste, dass etwas Fürchterliches passiert war. Mein Mann (damals Freund) musste zur Arbeit fahren und briefte mich noch, am Vormittag zur Frauenärztin zu gehen. Das machte ich auch, schilderte die Umstände und musste trotzdem heulend und blutend über eine Stunde im Wartezimmer sitzen. Das war für mich ein absolutes Unding! Klar gibt es festgelegte Termine, aber eine Frau, die gerade eine Fehlgeburt erleidet, ewig im Wartezimmer sitzen zu lassen, grenzt an Böswilligkeit. Als ich dran kam, blutete ich schon sehr und bekam nur zu hören: "Tja, da ist leider nichts mehr zu sehen." Ich war völlig aufgelöst und wusste überhaupt nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Ganz mechanisch hinter einem Schleier hörte ich mir an, wie es weitergehen und wohin ich mich wenden sollte.
Wie in Trance lief ich nach Hause, tränenüberströmt und völlig verzweifelt. Das konnte einfach nicht sein! Mein Baby war weg, von dem ich doch erst seit einer Woche wusste, das aber schon ein nicht wegzudenkender Teil von mir geworden war. Ich informierte meinen Mann und kappte dann alle Verbindungen. Am Nachmittag musste ich in die Tagesklinik fahren und mich persönlich für die Ausschabung anmelden. Warum das nicht telefonisch reichte, weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls eine Tortur, allein durch die Stadt zu fahren und die Welt nicht mehr zu verstehen. An meine Arbeitsstelle schrieb ich eine Mail, ich konnte nicht telefonieren. Am Abend weinten wir gemeinsam, bis ich ganz plötzlich vor Schmerzen vom Stuhl kippte. Ich sank auf dem Boden zusammen und konnte nicht mehr aufstehen. Mein Mann holte mir Kissen und Decken und ich blieb Ewigkeiten dort so liegen. Mir war wirklich wie Sterben zumute. Irgendwann wankte ich ins Bett und fragte mich nur noch, wie ich am Morgen den Weg zum Auto schaffen sollte, mit dem mein Mann mich in die Tagesklinik fahren wollte.
Morgens fühlte ich mich wie ausgeleert und ausgekotzt, zog mich mechanisch an und wir fuhren zur Tagesklinik. Mein Mann verabschiedete sich von mir und wollte mich am Nachmittag wieder abholen. Aus heutiger Sicht finde ich es unerklärlich, wieso er sich nicht einfach krankmeldete und bei mir blieb. Aber auf diese Idee kamen wir irgendwie nicht. Der untersuchende Arzt sagte vor der Ausschabung, dass schon fast alles "abgegangen" sei und nur noch der Rest ausgeschabt würde. Daher die unsäglichen Schmerzen am Abend und in der Nacht. Nach dem Eingriff verbrachten wir, 2 andere Frauen und ich, noch einige Stunden auf dem Zimmer, bis unsere Männer uns abholten. Eine Frau war schon sehr viel weiter als ich, ich glaube, in der 12. Woche, die andere ähnlich weit wie ich (7./8. Woche). Sie redeten schon wieder wie Wasserfälle und ich - ich wusste nicht, in welchem falschen Film ich mich befand, an welcher Kreuzung ich falsch abgebogen war, was mit meinem Leben passiert war, das ich so schön vor mir gesehen hatte. Es war einfach alles nur schrecklich.
Die nächsten Tage verbrachte ich eingeigelt in unserer Wohnung. Ich war 2 Wochen krankgeschrieben, der Mann musste arbeiten und ich wollte niemanden sehen und hören. Körperlich erholte ich mich ziemlich schnell, aber ich weinte ständig und war völlig leer. Etwas zu verlieren, was zu einem gehört und was man nie wieder bekommen kann, ist genauso unvorstellbar wie der eigene Tod. Es war nicht einfach nur ein Embryo, ein Zellhaufen oder sonst was, es war mein Kind, dessen und unser gemeinsames Leben ich schon vor mir gesehen habe. Mein erstes, überraschendes, aber völlig willkommenes Kind! Ich konnte es nicht glauben, dass unser gemeinsamer Weg schon zu Ende war und nie mehr gelebt werden kann. Ich hatte keinerlei Erinnerungsstücke, keinen Mutterpass, kein Ultraschallbild, lediglich die Schwangerschaftstests hebe ich bis heute auf, damit es überhaupt etwas Greifbares gibt.
An dem darauffolgenden Wochenende besuchten uns wie geplant meine Eltern. Wir hatten bis dahin noch nichts erzählt und sie waren natürlich überrascht, als sie hörten, weswegen ich krankgeschrieben war. Die Reaktion war nicht so, wie ich es mir gewünscht und vorgestellt hätte, und ich kann nur hoffen, dass ich selbst einfühlsamer sein werde, sollte meine Tochter ihr Kind verlieren. Ich glaube, sie haben bis heute nicht verstanden, dass es ihr erstes Enkelkind war, was da starb. Auf einem eigentlich schönen Ausflug mit ihnen fühlte ich mich völlig falsch und es schrie in mir, dass die Erde sich doch nicht einfach so weiterdrehen konnte! Ich stand wie neben mir, noch sehr viele Monate. Ich funktionierte, nahm am Leben teil, erfüllte meine Pflichten, schrieb meine Magisterarbeit weiter, beendete mein Studium und feierte meinen 30. Geburtstag. Aber ich litt wie ein Hund. Der erste Arbeitstag nach der Krankschreibung fühlte sich so verlogen an. Alles ging weiter wie bisher, nur ich war zerbrochen. Ich weinte auch oft auf der Arbeit, im Bus und beim Spazieren.
Mein Mann schien das alles besser wegzustecken und wir sprachen, je mehr Zeit verging, immer weniger über den Verlust. Dabei wollte ich eigentlich über nichts anderes mehr sprechen. Mir ging es schlecht und immer, wenn es mir schlecht ging, schlug sich das enorm auf die Beziehung nieder. Wir hatten Kommunikationsprobleme und in den darauffolgenden Monaten eine schwere Krise. Verständlich, mein Leben lag in Scherben, so fühlte es sich für mich noch lange an. Ich beendete mein Studium, wir unternahmen weiterhin viel und machten schöne Urlaube, in denen ich mein Leid etwas vergessen konnte. Ich hatte allerdings einige körperliche Probleme, in denen ich den Schmerz um mein Baby erkannte. Da gab es viel Nasenbluten (nie zuvor und nie danach hatte ich jemals Nasenbluten). Da zerbrachen kurz vor dem ET zwei gesunde Zähne zeitlich ganz knapp nacheinander. Einer der beiden Zähne ist bis heute mein einziger Problemzahn. Ich hatte eine Röschenflechte (sonst so gut wie nie Hautprobleme) und starke Blutungen. Ich stürzte im Schwimmbad und brach mir einen Zeh, woraufhin ich wochenlang schlecht laufen konnte. Wie von Geisterhand hörte der ganze Mist im März 2005, also 1 Jahr nach der Fehlgeburt auf. Das war schon merkwürdig. Mein persönliches Trauerjahr, was mir mein Körper auch deutlich zeigte.
Ich weinte noch weiterhin sehr viel, schrieb kleine Briefe an mein verlorenes Kind, recherchierte viel über Fehlgeburten und stellte bis nach der Geburt des Großen jedes Jahr am Todestag und am ET eine Kerze und ein kleines Blümchen auf. Das war ich mir und dem Baby schuldig. Sonst sprach niemand groß darüber. Das war eigentlich das Allerschlimmste in den Monaten nach dem Verlust. Zwar hörte ich in dieser Zeit zum ersten Mal von Fehlgeburten im Familienkreis, aber es schien für alle etwas "Normales", zum Leben Dazugehörendes zu sein. Als ich zu Weihnachten 2004 bei meinen Eltern zu Besuch war und wir zusammen die Christmette besuchten, heulte ich Rotz und Wasser, als vom Kindelein in der Krippe und vom gerechten Gott die Rede war. Angebrüllt habe ich diesen Gott, an den ich sowieso nicht mehr glaubte. Ich habe jeden, wirklich jeden Tag an mein Mäuschen gedacht. Ein Jahr nach dem ET schenkte mir mein Mann einen Stern, der nach dem Baby benannt war. Das war sehr rührend. Es gibt ein Lied, was ich mit dem Baby verbinde und dessen Instrumentalteil sowas wie sein Wiegenlied ist: "That I would be good" von Alanis Morissette, der tollen, übrigens hochsensiblen Künstlerin, die auch an heftigsten postnatalen Depressionen litt, was ich damals natürlich alles noch nicht wusste, sich aber wunderbar in mein Lebensbild fügt.
Wenn ich damals gewusst hätte, was für emotional und körperlich aufzehrende Jahre noch vor uns liegen würden, bis ich wieder schwanger werden und zwei gesunde Kinder bekommen würde, ich wäre vollends verzweifelt. Eigentlich wollte ich gar kein neues, anderes Baby, ich wollte nur unser Sternenkind zurück. Es folgten viele Jahre des unerfüllten Kinderwunsches, bis ich endlich im Sommer 2010 wieder schwanger war. Zum 6. ET (20.10.2010) legten wir auf den Geburtstagstisch für unser Sternenkind daneben die ersten Klamotten für das neue Baby, das jetzt unser Großer ist. Und dann kam er und stellte alles auf den Kopf. Der letzte Eintrag im Erinnerungsbüchlein datiert vom 21.10.2011, etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Geburt des Großen. Und schaut mal, was ich da über unseren Großen schon schrieb:
Eintrag vom 21.10.2011
Und jetzt, endlich, kann ich diese Geschichte hier niederschreiben und damit für immer bewahren. Ich habe 3 Kinder, wie ich in diesem Text schon einmal schrieb: eines im Herzen und zwei gehen den Lebensweg mit mir. Das ist unglaublich traurig und schön zugleich.