Der Verdacht als Beweiselement

Im Kielwasser von Missbrauchsdebatten treibt zunehmend jener phrasenhafte und beredte Konsens, der klarmachen will, dass Missbrauchstätern keine Gnade zufallen darf. Dieses Plazet ist zum Selbstläufer geworden, hat viele als vollkommen unverdächtig geltende Bürger dazu überredet, sich für die Todesstrafe solcher Straftäter zu engagieren. Obwohl diese grimmige Haltung viele Anhänger findet, so dürfte die Mehrheit besorgter Eltern jedoch nicht dahingehend tendieren. Was den Umstand betrifft, dass man bereits des Missbrauchs Verdächtigte, die gerichtlich noch gar nicht vernommen oder gar verurteilt wurden, mit dem Verbrechen stigmatisiert: das dürfte mittlerweile, auch gestützt durch eine hemmungslose Berichterstattung der Medien, durchaus Usus sein.

Der Verdacht als Beweiselement

Der Missbrauchsverdächtige ist ja nicht umsonst unter Verdacht geraten, vernimmt man da des öfteren. Er muß doch etwas getan haben, was ihn verdächtig werden ließ - wer sich einwandfrei benimmt, der kann in so eine Bredouille nie und nimmer geraten. Diese sich nicht durch Indizien erhärtende Logik entstammt dem bürgerlichen Spektrum, das stets die Eigenverantwortung als eines der höchsten Güter emporhält: so wie der Erwerbslose die Schuld für seine Situation selbst trägt, so ist der Verdächtige ebenfalls schuldig, verdächtig geworden zu sein. Derlei unreflektiert und unkritisch verstandenes Rechtsverständnis kommt denen, die einen Missbrauch mit dem Missbrauch betreiben - ob wissentlich oder nicht -, zupass - der geistige Nährboden des apriorischen Aburteilens liegt in einem Denken begraben, in dem der Eigenverantwortlichkeit ein höherer Stellenwert zukommt, als dem Ausgeliefertsein an sozio-ökonomische Gegebenheiten. Das soll mitnichten heißen, dass ein Missbrauchstäter (ein verurteilter!) Opfer seines Umfelds sein muß - aber es bedeutet, dass ein Missbrauchsverdächtigter durchaus unschuldig in sein Dilemma gestolpert sein kann. Diese Unschuld gilt, bis ein Richter gegenteilige Beweise heranziehen kann, bis aus dem Verdächtigten auch ein Täter hervorgeht.

Der Verdacht als Beweiselement
Tragisch ist, dass dieses Denkverhalten, Verdächtige bereits als schuldig zu begutachten, weil ja angeblich niemand unschuldig in Verdacht gerät, als eine Form moderner Zivilcouragiertheit verstanden sein will. Nur keinen Fußbreit Toleranz mit potenziellen Vergewaltigern; kein Milde, keine Gnade! Wer zu nachsichtig ist, gerät in den Ruch, den Vergewaltiger - der ja noch gar keiner ist, vielleicht nie einer wird, falls er unschuldig in den Verdacht geriet! - zu unterstützen; vielleicht selbst ähnliche Phantasien zu hegen. Ohne Gnade und ohne Bedacht auf geltendes Rechtsverständnis auf Verdächtige einzudreschen, Rufmord zu betreiben, deren Ansehen zu beflecken: das ist zu einer modernen Variante von Zivilcourage geworden. Endlich sei eine Zeit angebrochen, wo man den Missbrauch gesellschaftlich thematisiere, wo man Täter zur Rechenschaft zöge - und gleich auch noch Verdächtige, wenn wir schon dabei sind! In so einem Klima gilt die Verhetzung als Mosaikstein der Justiz - besonders laut nach Rache, nach Vergeltung, nach Züchtigung zu schreien: das ist der Geist aktionistischer und hysterischer Bestrafungswut, die sich an Emotionen kettet, nicht an Gesetz und Rechtspraxis.
Michel Foucault beschreibt in seinem Buch "Überwachen und Strafen: die Geburt des Gefängnisses" diese moderne Auffassung, die Verdächtige jener Schuld überführt, verdächtig geworden zu sein: "Die Beweisführung bei Gericht gehorchte also nicht dem dualistischen System wahr/falsch, sondern einem Prinzip der stetigen Abstufung: eine bestimmte Stufe der Beweisführung bildete bereits eine Schuldstufe und hatte darum eine bestimmte Strafstufe zur Folge. Der Verdächtige als solcher verdiente immer eine bestimmte Züchtigung; man konnte nicht unschuldigerweise Gegenstand eines Verdachts sein. Der Verdacht bildete für den Richter ein Beweiselement, für den Angeklagten das Zeichen einer bestimmten Schuld und verlangte deswegen auch nach einer bestimmten Strafe. Ein Verdächtiger, der verdächtig blieb, wurde damit nicht für unschuldig erklärt, sondern in eingeschränktem Maße bestraft." Anzumerken sei hierbei aber, dass Foucaults Skizzierung nicht die heutige Zeit meint, sondern das 17. Jahrhundert - anders erklärt: die offiziöse Rechtsauffassung zum Missbrauchsverdächtigen, die sich als modern und aufgeklärt feiert, sie ist im Grunde ein alter Hut, eine Rechtspraxis, die schon lange begraben wurde. Was als fortschrittliche Sensibilisierung von Eltern und empörten Bürgern begriffen wird, ist in Wahrheit der Rückschritt aufs Schafott, die Wiederbeatmung des Schauprozesses und die Abwicklung fundamentaler Ideen der Aufklärung.
Semper aliquid haeret - etwas bleibt immer hängen! Der allzu unbedarfte Umgang mit der Unschuldsvermutung, die bei Missbrauchsverdächtigen (medial und gesellschaftlich) de facto ausgesetzt wird, macht aus Plutarchs Zitat einen Rechtsspruch. Freigesprochene Ex-Verdächtige erhalten niemals ihre Reputation zurück - diejenigen, die in jenem Eifer sich als gute und besorgte, politisch korrekte und engagierte Eltern zu stilisieren, zur üblen Nachrede verleiten ließen, werden nicht belangt, nicht zur öffentlichen Entschuldigung gezwungen. Das hielten diese vielleicht auch für eine Zurschaustellung, für ein Schafott - ein Schafott, dass sie nur für den Verdächtigen und natürlich (wenn auch nicht zurecht, da die Zurschaustellung als Teil des Strafvollzugs abgeschafft ist) für den Verurteilten vorgesehen haben; nicht aber für den braven Bürger, der im Tatendrang und aus Angst zu unreflektierten Aussagen und Handlungen hingerissen wurde.


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