Jeder, der einen Ungarn kennt, wird mir zustimmen, dass die Ungarn schon ein sehr eigensinniges, aber dennoch liebenswertes Volk sind. Da schließe ich mich aufgrund von ungarischen Wurzeln ebenfalls ein. Ich bin auch eigensinnig, quasi eine Special-Version eines normalen Menschen. Nichtsdestotrotz beobachte ich gerne Ungarn. Am liebsten am heiligen ungarischen Ferienort: Dem Balaton, genauer gesagt: In Zamárdi.
Zamárdi ist quasi ungarisches Urlaubs-Hoheitsgebiet. Alle Ungarn fahren nach Zamárdi. Ganz Ungarn. Gleichzeitig. So versammelt sich die Familie, bestehend aus Mutter, Vater, Kindern, Großmutter, eventuellen Cousinen und Nachbarskindern am Plattensee und quartiert sich mit etwa 30 cm Abstand zum Nachbarn ein. Es ist von höchster Notwendigkeit, dass der Liegewiesennachbar jedes Gespräch mühelos mithören kann. Auf Fremde kann ein typisch ungarischer Badestrand etwas befremdlich wirken. Der Anblick erinnert doch ein wenig an eine Sardinendose.
Nachdem sich alle ihrer Kleidung entledigt haben und frisch eingecremt sind, wird erst einmal ein wenig Wassermelone genascht. Natürlich wird dabei gelobt, wie gut die griechische Melone aus Ungarn (ja, das ist doch logisch!) ist, denn das ist die einzig wahre Melone! Wer an dieser Stelle denkt, dass die Kinder nun ins Wasser dürfen, hat weit gefehlt!
Mit vollem Magen darf man nicht ins Wasser gehen, weil man dann ertrinken kann!
Das ist die ungarische Urlaubsregel 1. Du kannst jeden Menschen in Ungarn fragen, die Urlaubsregeln werden uns schon als Kinder eingeprügelt. Man könnte mich im Schlaf wecken, und ich würde dir sofort sagen, dass man nicht mit vollem Magen ins Wasser gehen darf, sonst ertrinkt man!
Dürfen die Kinder dann doch irgendwann ins kühle Nass, gilt Urlaubsregel 2.
Wasch dich vor dem Hineingehen unbedingt mit Wasser ab, sonst bekommst du einen Herzinfarkt!
Ja, richtig gehört. Man muss sich am ganzen Körper langsam zum Herzen hin mit Wasser abwaschen und darf erst dann langsam ins Wasser gehen. Ich dachte früher immer, nur meine Eltern würden das sagen. Das letzte Mal, als ich am Balaton war, lag ich auf der Wiese und hörte von allen Seiten: “Herzchen, vergiss nicht dich abzuwaschen bevor du ins Wasser gehst!” oder “Mein Kleines, wasch dich gut ab, du weißt schon, wegen dem Herzinfarkt!” – Innerlich musste ich doch sehr grinsen, als ich sah, wie die Kleinen die Augen verdrehten und sich ihrem Schicksal ergaben, bevor sie im Wasser spielen durften.
Sehr schön finde ich, dass die ganze Familie, bis auf einer – denn irgendwer muss auf den Platz aufpassen – im Wasser spielt. Der See ist brechend voll. Zumindest in Ufernähe. So weit gehen die Ungarn meistens nicht raus, man sollte schon noch stehen können. Wenn sie nicht im Wasser spielen, fahren sie Tretboot. Ich erinnere mich an viele schöne Stunden im Tretboot. Um die Fahrt genießen zu können, war es immer von höchster Priorität, ein Tretboot mit Rutsche zu ergattern. Nur so konnte man sich quengelnde Kinder ersparen.
Nach dem Baden musst du dich abtrocknen, sonst erkältest du dich!
Regel 3 habe ich noch nie begriffen. Der ungarische Sommer ist so brütend heiß, dass man in Windeseile trocknet. Abtrocknen ist im Sommer die überflüssigste Sache der Welt.
Ich fand es bei meinen Beobachtungen wunderschön, dass sich so wenig geändert hat. Urlaub am Balaton ist heute noch immer genau so, wie es war, als ich noch ein kleines Kind war. Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit zurück, als wir mit einem Schmetterlingsnetz Frösche fingen. Unsere Ernährung bestand ausschließlich aus Lángos, Palatschinken und Maiskolben. Wenn wir Glück hatten, fuhr das Zuckerwattefahrrad vorbei. Auch wenn wir uns immer abwaschen mussten, bevor wir ins Wasser gingen und uns im Anschluss auch bei tropischen Temperaturen abtrocknen mussten, waren die Ferien am Plattensee immer ein ganz besonderes Abenteuer.
Die wenigsten Menschen können die Urlaubsregeln verstehen und belächeln die Ungarn dafür. Aber ganz ehrlich:
Die Ungarn muss man nicht verstehen. Man muss sie einfach gern haben, das reicht!
