"Ich schweige nicht länger" dachte der Teufel, und sprach - über Zustand und (wünschenswerte) Programmatik der CDU. Unter anderem forderte der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel von der CDU die Einführung eines Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich. Auf diesen Punkt konzentriert sich mein vorliegender Blott.
Natürlich könnte Erwin Teufel mit dem von mir gebildeten Wortmonster "Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich" nichts anfangen, und nicht einmal mit meiner hinter diesem Begriff stehenden volkswirtschaftlichen Denkstruktur. In der Vorstellung von Teufel geht es um Gerechtigkeit; ich stelle den gleichen Zusammenhang mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Begriff "Anreize", bzw. "Fehlanreize", dar.
Hören wir aber zunächst, was uns der Teufel zum Thema zu sagen hat (meine Hervorhebungen):
"Einer meiner Landsleute, ein großer Nationalökonom, Friedrich List, hat vor 160 Jahren gesagt, die Aufzucht von Schweinen gehe in das Bruttosozialprodukt ein. Die Aufzucht von Kindern geht nicht in das Bruttosozialprodukt ein. Wir sind 160 Jahre später keinen Schritt weiter. Selbstverständlich gehen die Erziehung eines Kindes im Kindergarten, die Betreuung eines Kindes im Hort in das Bruttosozialprodukt ein, und die Erzieherin bekommt einen Lohn. Selbstverständlich geht die Leistung einer Grundschullehrerin in das Bruttosozialprodukt ein, und sie wird bezahlt, ..... . Erziehungsarbeit und sollte auch vergütet werden. Familien mit einem Normaleinkommen und mehreren Kindern geraten heute in Deutschland an den Rand des Existenzminimums. Es geht bei ihnen am Ende des Monats null auf null auf. Und für den außergewöhnlichen Fall ist überhaupt keine Reserve vorhanden. ..... Man muss sich mal wirklich hineindenken in die Situation dieser Familien. Sie sind auch besonders betroffen von der Steigerung der Nahrungsmittelpreise, von der Erhöhung der Mehrwertsteuer, von der geplanten starken Erhöhung der Strompreise.In der Familienpolitik muss sich das "C" zeigen: Das Wohl des Kindes muss Vorrang haben vor den Interessen der Wirtschaft. In einer ..... finanziellen Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern, in einer vorrangigen Hilfe für Familien mit einem Normaleinkommen und mehreren Kindern."
Erwin Teufel geht es also um eine finanzielle Unterstützung der ärmeren Familien für die Kinderaufzucht. Das ist, wie der Text deutlich zeigt, von christlichem Mitgefühl gedacht und insoweit auch durchaus honorig.
Interessant ist jedoch, dass Teufel in seiner Rede zunächst von einem Wirtschaftswissenschaftler, Franz Liszt nämlich, als Kronzeugen für seine Forderung anruft. Und ebenso interessant, dass er diesen Ansatz zu einem volkswirtschaftlichen Durchdenken der Situation nicht weiterverfolgt: Er schafft es nicht, den gedanklichen Sprung vom menschlichem (oder christlichem) Mitgefühl zum emotionslosem ökonomischen 'Faktorendenken' zu vollziehen.
Eine der Hürden für eine (stärkere) gesellschaftliche Honorierung der Kinderaufzucht für die Eltern ist es nämlich, dass diese im gesellschaftlichen Diskurs als "Sozialtransfer", "Transferleistung" usw. verstanden und dadurch implizit diskreditiert wird. Kindergeld usw. erscheinen in den Augen der Nichtbegünstigten als eine Form der "Umverteilung" des Arbeitsproduktes von denjenigen, die es erarbeitet haben, an jene, die (scheinbar) nichts dafür getan haben. Es erscheint als eine milde Gabe ohne Gegenleistung.
Das ist natürlich falsch. Teufel zeigt beispielhaft auf, was die Familie für die Gesellschaft leistet:
"Ein Kind wird zum Leser in der Familie oder nicht. Ein Kind gewinnt Sprachkompetenz in der Familie. Das kann gar nicht mehr in der Grundschule nachgeholt werden oder im Kindergarten. Ein Kind lernt spielen, ein Kind lernt teilen, ein Kind lernt streiten und versöhnen, ein Kind lernt ein Urvertrauen in der Familie - oder nicht."
Die logische Folge wäre schon aus dieser Darstellung, dass ALLE Eltern einen Anspruch auf eine Honorierung ihrer Aufzuchtleistung haben müssten. Dennoch dreht Teufel vom Kurs einer logischen Weiterentwicklung seiner Prämisse 'Kinderaufzucht muss honoriert werden' wieder ab und fokussiert auf die Forderung nach Hilfe für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Das bedeutet: auch bei ihm stehen finanzielle Hilfen für Eltern am Ende als eine milde Gabe da, die zu zahlen sei, weil die Eltern selbst nicht genug verdienen.
Dass unsere Gesellschaft über diesen gedanklichen Fehlansatz nicht hinweg kommt, hat unter anderem auch damit zu tun, dass die Wirtschaftswissenschaft von ihrer Struktur her (ohne dass man dafür Verschwörungstheorien bemühen müsste) eine Interessendienerin der Kapitalbesitzer ist. Auch sie schafft gedanklich nicht den Sprung, der sie logisch zwingend von Begriff und Vorstellung eines "Humankapitals" zur Konzeption zum Begriff einer Humankapitalsparrendite führen müsste. An dieser 'Kapitalinteressenbariere' setzt sie sich eine willkürliche Grenze für das Weiterdenken.
Die Idee eines habe ich in meinem Essay "Rentenreich" entwickelt, und zwar konkret in der Auseinandersetzung mit denjenigen Wirtschaftswissenschaftlern, welche die (teilweise) Ersetzung des Umlageverfahrens in der Rentenfinanzierung durch ein Kapitaldeckungsverfahren fordern. Beim Umlageverfahren (konkret bei unserer gesetzlichen Rentenversicherung in ihrer derzeitigen Form) zahlen die Arbeitenden in einen Topf, aus dem die Rentner finanziert werden. Beim Kapitaldeckungsverfahren (also z. B. bei der sog. "Riester-Rente") erhält jeder Einzahler eine Rendite nur aus demjenigen Geld, welches er für seine spätere Rente aufgebracht hat. Das trifft aber nur vordergründig zu, ist also nur scheinbar richtig. In Wirklichkeit wird auch beim Kapitaldeckungsverfahren die Rente teilweise von den Eltern des 'Humankapitals' finanziert.
Die Wirtschaftswissenschaftler, zumindest jene des Mainstream, leugnen das und behaupten dreist, dass lediglich beim Umlageverfahren die Rentenbezieher von den Kindern der anderen finanziert werden. Wenn man jedoch die Zusammenhänge konsequent innerhalb des herrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Denksystems analysiert stellt man fest, dass diese Behauptung in einem krassen Widerspruch zum sonstigen Wissenstand der Nationalökonomie steht.
Grundlegend für die teilweise Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens zur Rentensicherung in Deutschland ("Riester-Rente") dürfte das Gutachten "Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung" des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft vom 21. Februar 1998 gewesen sein.
Auf meiner Webseite "Rentenreich" (ursprünglicher Titel: "Rentenwunder oder semantische Trickkiste?") aus dem Jahr 2004 ff. habe ich den Text unter dem oben von mir behaupteten Aspekt wie folgt analysiert (Zitate jeweils aus dem Gutachten; Hervorhebung von mir):
1) „Im Grunde entstehen die Finanzierungsprobleme des Umlageverfahrens dadurch, dass Haushalte ohne Kinder sich an den Arbeitseinkommen der Kinder anderer Leute beteiligen können, dass also mit der Einführung dieses Verfahrens eine Sozialisierung der Schaffenskraft der Kinder vorgenommen wurde.“
Da diese
„Sozialisierung der Schaffenskraft der Kinder selbst zum Rückgang der Geburtenrate beigetragen hat“
erörtern die Gutachter die Möglichkeit, die
„Höhe der umlagefinanzierten Rente teilweise von der individuellen Kinderzahl abhängig zu machen“
bzw.
(2) „alternativ ... den Familienlastenausgleich über das staatliche Budget zu verstärken.“
Sie kommen jedoch zu dem Schluss, dass
(3) „im Falle eines allgemeinen Übergangs in die Kapitaldeckung ... solche Maßnahmen entbehrlich (sind)“.
Ohne dass die Wissenschaftler das direkt behaupten wird aus diesen Sätzen doch klar, dass sie uns glauben machen wollen (und zweifellos auch selber glauben), dass das Kapitaldeckungsverfahren ohne "eine Sozialisierung der Schaffenskraft der Kinder" auskommt.
Das ist aber deshalb erkennbar falsch, weil jede entwickelte Volkswirtschaft die "Schaffenskraft der Kinder" sozialisiert - nämlich zu Gunsten der Realkapitalbesitzer. Und jedes System, dass nicht mit direkten Rentenzahlungen der jeweiligen Kinder an ihre jeweiligen Eltern arbeitet, sondern die Renten auf irgend eine Weise aus der Gesamtwirtschaft finanziert - durch Steuern, Beiträge oder eben Kapitalerträge - ermöglicht es den Rentnern ohne Kinder, an den 'Kinderinvestitionen' der Eltern zu partizipieren.
Auf der Letztebene gibt es -2 Produktionsfaktoren, die beide vorhanden sein müssen, um Güter oder Dienstleistungen herstellen zu können:
- Das Realkapital (Fabriken usw.) und
- Das Humankapital - Menschen, die in den Fabriken arbeiten.
Historisch hat es eine Wirtschaftsweise gegeben, die ohne Realkapital auskam und allein mit Humankapital arbeitete: Die Steinzeit. Genauer eigentlich nicht einmal die Steinzeit, sondern die Zeit der Menschheitsentwicklung vor der Steinzeit. Denn in der Steinzeit brauchte man schon Werkzeuge; die konnte man nicht aus irgendeiner Art von Steinen herstellen, sondern man brauchte dazu Feuersteine. Und diese Feuersteine mussten zunächst beschafft und dann bearbeitet werden; sie hatten einen Wert, weil es ohne Feuersteinmesser unmöglich, oder zumindest extrem schwierig, gewesen wäre z. B. ein getötetes Wild zu zerlegen. Aber ich will nicht allzu beckmesserisch sein; das entscheidende Element einer Steinzeitökonomie war natürlich die menschliche Arbeitskraft; das "Realkapital" der Feuersteinmesser lieferte einen weit untergeordneten Wert zum wirtschaftlichen Ergebnis. Insoweit kann man also ganz grob sagen, dass die Wirtschaft der Menschen noch bis in die Steinzeit hinein (praktisch) allein auf der Arbeitsleistung der Menschen aufbaute, also auf der Qualität (Leistungsfähigkeit) dessen, was in der ökonomischen Terminologie als Humankapital bezeichnet wird.
Rein theoretisch kann man sich auch eine Wirtschaftsweise vorstellen, die ausschließlich mit Realkapital auskommt, nämlich eine Ökonomie mit selbstreproduzierenden (und ggf. selbstreparierenden) Robotern. Ob ein solcher Zustand erreichbar ist oder nicht, kann dahingestellt bleiben; wesentlich ist, dass wir ihn im Moment noch nicht erreicht haben und auf absehbare Zukunft auch nicht erreichen werden.
Was wir momentan jedoch haben ist eine Produktionsstruktur, die großenteils vom Vorhandensein von
- einer großen Menge an Realkapital (kostspielige Maschinen, Computer usw.) und
- von hochqualifiziertem "Humankapital" abhängig ist, dass diese nicht nur teuren, sondern auch sehr komplizierten Maschinen bedienen und warten kann.
So weit denkt immerhin auch noch die Wirtschaftswissenschaft. Den Begriff "Humankapital" hat sie wohl geschaffen, weil sie erkannt hat, dass einerseits dessen Menge und andererseits (und noch wichtiger) dessen Qualität für den Erfolg einer Volkswirtschaft (wie natürlich auch den einer Volkswirtschaft zu Grunde liegenden Unternehmen) ausschlaggebend ist.
"Als Reaktion auf den 'Sputnikschock' " beschreibt der Wikipedia-Eintrag die historische Entstehung der einschlägigen Theorien; eine ausführlichere Darstellung der Theorientwicklung bietet das Stichwort "Humankapitaltheorie".
Den Begriff "Eltern" sucht man in beiden Einträgen vergebens. Die Wirtschaftswissenschaft interessiert sich im Wesentlichen für die Qualität des Humankapitals, und versteht diese Qualität wirklichkeitsverengend als etwas, was die Menschen aus sich selbst gemacht haben. Es geht also im Wesentlichen um die Ausbildung bzw. um diejenigen Anreize, die man den Menschen geben muss, damit sie sich zu möglichst brauchbarem "Humankapital", also (hauptsächlich) bestausgebildete Arbeitnehmer werden. Daneben geht es auch um die Motivation der Schaffenden: durch welche Anreize bringe ich die Menschen dazu, ihr Potential an Arbeitskraft auch wirklich auszuschöpfen?
Völlig unbeachtet bleibt dabei die (von Erwin Teufel oben exemplarisch aufgezeigte) Tatsache, dass die Formierung des Humankapitals bereits im Elternhaus beginnt, und, mehr noch, dass dem Elternhaus Kosten entstehen, um - ganz unabhängig von der mehr oder weniger gelungenen Sozialisierung - überhaupt dieses "Humankapital" während der unproduktiven Phasen der Kindheit und Jugend über Wasser zu halten. Der Volksmund weiß es: "Kinder kosten Geld". Die Nationalökonomie, ohnehin weltweit dominiert vom US-amerikanischen Wirtschaftsdenken, und damit von den herrschenden Finanzinteressen, will es nicht wissen. Nähme sie es zur Kenntnis, müsste sie nämlich die Eltern genauso als "Sparer" (als "Investoren") verstehen, wie sie denjenigen diesen Status zubilligt, die Geld sparen.
Geld zu sparen, und damit Fabriken usw. zu bauen, ist für sich genommen völlig nutzlos. Das wissen sogar die Autoren des o. a. Rentengutachtens aus dem Jahr 1998 (unter Ihnen der bekannte, aus Bielefeld gebürtige Münchener Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Hans-Werner Sinn), wenn sie z. B. einräumen:
"Es ist richtig, daß sich bei schrumpfender Bevölkerung auch die Verwertungsbedingungen eines gegebenen Kapitalstocks verschlechtern werden. Die Ertragsrate des Kapitals ist umso niedriger, je geringer die Zahl der Arbeitskräfte ist, die als Komplemente des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks für den Produktionsprozeß zur Verfügung stehen."
Das bedeutet ja nichts anderes, als dass das Realkapital nur dann eine Rendite abwerfen kann, wenn für dessen Nutzung das notwendige (und zudem entsprechend ausgebildete und motivierte) "Humankapital" zur Verfügung steht. Dieses "Humankapital" hat sich z. T. selbst (sozusagen) "gespart" (z. B. Werkstudenten, die ihre Ausbildung - und ggf. sogar noch Studiengebühren - finanziert haben). Aber mindestens in den ersten 15 oder 20 Lebensjahren haben die Eltern in dieses Humankapital "investiert": Ein Ehepaar mit Kindern, bei dem das Geld, wie Erwin Teufel so mitfühlend beschrieben hat "am Ende des Monats null auf null" aufgeht, kann eben selbst kein Geld für die Rente zurücklegen. Ein Ehepaar ohne Kinder kann das. Aber ohne die Kinder der anderen würden seine Kapitalanlagen später null Rendite abwerfen; sie würden dasitzen nicht unähnlich dem König Midas, dem alles zu Gold geworden und der deswegen vom Hungertode bedroht war.
Wenn wir aber für ein erfolgreiches wirtschaften beides brauchen: Realkapital und Humankapital, müssten wir jedenfalls dann, wenn das Humankapital Mangelware wird, wirtschaftswissenschaftlich konsequent die Ursache in dem in unserer Wirtschaftsstruktur fehlenden Renditeanreiz für die Eltern sehen, in Kinder zu "investieren", und folgerichtig entweder eine solche Rendite fordern oder, wenn sich die nicht realisieren lässt, eine entsprechende Ausgleichszahlung dafür.
Eine Rendite könnten wir den Eltern nur dadurch bieten, dass wir deren Kinder auf eine direkte Zahlung von Renten an die Eltern verpflichten würden. Nur könnten dann andererseits noch immer die Kinderlosen einen Kapitalstock für die Altersversorgung ansparen und hätten so eine sehr viel sichere (und evtl. auch größere) Versorgungsbasis als die Eltern, deren Kinder sich vielleicht ihrer Zahlungspflicht entziehen würden oder (z. B. als ungewollt Arbeitslose) nicht leistungsfähig wären.
Das Mittel der Wahl wäre deshalb eine Ausgleichszahlung für Eltern, eben das, was ich einen Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich genannt habe!
Ein Problem, das wir hier nicht im Detail erörtern müssen, entsteht dann allerdings noch aus der Frage, welche "Verluste" man den Eltern ersetzen will:
- lediglich diejenigen Kosten, die durch die Kinderaufzucht unmittelbar entstehen oder
- die "Opportunitätskosten", die im Zusammenhang mit der Kinderaufzucht anfallen.
Nehmen wir an, die Kinderaufzucht kostet 500,- € p. M. Wenn dafür ein Elternteil daheim bleiben muss (wie es zumindest während der ersten 3 Lebensjahre zweckmäßig sein dürfte), entstehen aber "Opportunitätskosten" durch den Wegfall des Arbeitseinkommens der Mutter. Vom Gerechtigkeitsstandpunkt wie auch vom ökonomischen Anreizstandpunkt ist es damit sowohl richtig als auch vertretbar und notwendig, eben nicht nur die unmittelbaren 'Kinderkosten', sondern auch diese "Opportunitätskosten" zumindest teilweise auszugleichen.
(Erwin Teufel hat also Unrecht, wenn er kritisiert (meine Hervorhebung): "Früher gab es ein von der CDU eingeführtes Bundeserziehungsgeld für zwei Jahre. Es war von niedrigen Einkommensgrenzen abhängig. Das Erziehungsgeld ging also an Eltern, die es am dringendsten brauchten. Heute hat die CDU ein Elterngeld geschaffen. Es wird aber nur noch ein Jahr gewährt und ist an das letzte Nettoeinkommen gekoppelt. Eine Mutter, die als Kassiererin im Supermarkt arbeitet, erhält also etwa 600 Euro im Monat, eine Bankkauffrau 1200 Euro und eine Akademikerin 1800 Euro. Mütter mit dem geringsten Einkommen erhalten den niedrigsten Betrag. Das ist die größte Ungerechtigkeit, die man sich denken kann.")
Sollte es wahrhaftig Leser/innen geben, die mich bis hierher begleitet haben, werden sie sich mit zunehmendem Befremden fragen, was denn das alles mit der Homo-Ehe zu tun habe.
Bundesjustizministerin SabineLeutheusser-Schnarrenberger hat die Frage der Gleichbehandlung der sogenannten "Homo-Ehe" (rechtlich bislang "Eingetragene Lebenspartnerschaft") aufgeworfen, indem sie sich aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums des Lebenspartnerschaftsgesetzes für eine komplette Gleichstellung der Homo-Ehe ausgesprochen hatte (vgl. u. a. Augsburger Allgemeine "Gleichstellung der Homo-Ehe sorgt für Diskussionen", vom 01.08.11). Unterschiede bestehen insbesondere im Adoptionsrecht und im Einkommensteuerrecht; nur letzteres interessiert mich hier.
Hier geht es um das Ehegattensplitting. Der Wikipedia-Eintrag erklärt das Verfahren wie folgt:
"Hierbei wird folgendes Verfahren verwendet:
1. Das zu versteuernde Einkommen (zvE) der Ehegatten wird ermittelt und halbiert (gesplittet).
2. Für das halbierte zvE wird die Einkommensteuer nach dem geltenden Einkommensteuertarif berechnet (früher: aus der Grundtabelle abgelesen).
3. Die so errechnete Einkommensteuer wird verdoppelt.
Dieses Splittingverfahren bewirkt, dass das zvE zu gleichen Teilen auf beide Ehegatten verteilt wird. Hierdurch wird das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht auf den einzelnen Ehegatten, sondern auf die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft angewendet. Welcher der Ehegatten wie viel zum ehelichen Gesamteinkommen beigetragen hat, ist unerheblich."
Und kürzer dann so:
"Das zvE eines Ehepaares wird beim Splittingverfahren mit dem gleichen Steuersatz belastet, wie das halb so hohe zvE eines Unverheirateten."
Bei den sogenannten "Alleinverdienern" versteuert also jeder Ehepartner lediglich die Hälfte dieses Einkommens, wodurch sich (wegen der geltenden Freibeträge und dem Progressionstarif) gegenüber einem Alleinstehenden mit dem gleichen Verdienst natürlich eine enorme Verringerung der Steuerlast ergibt. Ist
- das Ehegattensplitting gerecht und ist es
- ungerecht, wenn dieses auf "Homo-Ehen" nicht angewendet wird?
Die rechtspolitische Entwicklung in Deutschland (seit 1891) stellt der Wikipedia-Artikel dar. Aber auf dieser historischen Basis lässt sich die Gerechtigkeitsfrage nicht beantworten.
Vielleicht die erste historisch bekannte Einkommensteuer, zumindest der europäischen Geschichte, war der Florentiner "Catasto" (Näheres über den "Catasto fiorentino" in der italienischsprachigen Wikipedia) des Jahres 1427. Bemerkenswert für unseren Kontext ist der Umstand, dass
"Dalla stima poi si dovevano detrarre ..... [neben anderen steuersenkenden Sachverhalten auch:] le bocche di famiglia da alimentare" ["Von der so ermittelten Steuer waren sodann abzusetzen ..... die Anzahl der zu unterhaltenden Familienangehörigen"], d. h. die Besteuerungsgrundlage minderte sich entsprechend der Anzahl der zu unterhaltenden Familienmitglieder.
Was man insoweit für gerecht hält, ist eine beinahe schon philosophische Frage. Ich persönlich empfinde das Florentiner Vorgehen als gerecht. Es bringt in meinen Augen ein Verständnis des Verhältnisses vom Einzelnen zum Staat zum Ausdruck, bei der das Individuum zunächst für sich und die Seinen sorgt, dann erst für den Staat. Wenn gerade heute wieder gefordert wird, dass die Helferrolle des Staates auf eine subsidiäre zurückgedrängt werden soll, dann muss im Umkehrschluss dem Einzelnen auch zugestanden werden, dass der Staat die Leistungen des Einzelnen für sein familiäres Umfeld nicht noch besteuert. Definitionen des oder Erläuterungen zum Subsidiaritätsprinzip z. B. bei/in Wikipedia, Gabler Wirtschaftslexikon [Auszug: "Der katholischen Soziallehre entstammendes gesellschaftsethisches Prinzip ....., das auf die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten, der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung abstellt. Nur dort, wo die Möglichkeiten des Einzelnen bzw. einer kleinen Gruppe (Familie, Gemeinde) nicht ausreichen, die Aufgaben der Daseinsgestaltung zu lösen, sollen staatliche Institutionen subsidiär eingreifen. Dabei ist der Hilfe zur Selbsthilfe der Vorrang vor einer unmittelbaren Aufgabenübernahme durch den Staat zu geben."] und Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Da die Lebenspartnerschaft die Partner u. a. auch zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet wäre es nur konsequent, wenn man auch ein "Lebenspartnerschaftssplitting" zulassen würde.
Die andere Seite der Medaille ist freilich, das unser Steuerrecht nur eine sehr begrenzte Abzugsfähigkeit der Kinderkosten zulässt. Ich weiß nicht, ob im mediceischen Catasto im alten Florenz alle "bocche" (Münder, hier für Menschen bzw. im Zusammenhang für Familienangehörige) in gleicher Weise zur Minderung der Steuerlast führten. Für die damalige Zeit würde ich das vermuten; ob das heutzutage noch sachgerecht wäre, oder ob man die Kinder wegen der geringeren Kosten mit einem niedrigeren Betrag in Ansatz bringen sollte/dürfte, will ich hier nicht diskutieren. (Allerdings könnten u. a. die größere Familien begünstigenden "Skaleneffekte" - große Wohnungen sind z. B. im Verhältnis billiger als kleine - dafür sprechen.) Auf jeden Fall deckt gegenwärtig der Steuernachlass die Kinderkosten nicht ab, und wer so wenig verdient, dass er keine oder kaum Steuern bezahlt, profitiert ohnehin nicht davon.
Bei dieser Lage erfüllt das Ehegattensplitting de facto (bei Eltern mit Kindern) auch die Rolle einer Steuerminderung zu Gunsten der Kinderaufzuchtskosten. Dass davon auch Ehepaare ohne Kinder profitieren, ist insoweit ein Systemfehler.
Überhaupt kann man gegen das Ehegattensplitting bei Kinderlosen einwenden, dass in diesem Falle ja keiner der Ehepartner an der Ausübung einer Berufstätigkeit gehindert ist. Warum sollte also dann der Umstand, dass sie/er sich ggf. freiwillig zum Daheimbleiben entscheidet, von der Gesellschaft mit einer Steuerminderung belohnt werden?
Im öffentlichen Dienst gibt es bei den Beamten (aufgrund des für diese geltenden sog. "Alimentationsprinzips") einen Familienzuschlag. Bei den Angestellten haben sich die Tarifpartner auf die Abschaffung der entsprechende Regelung geeinigt (natürlich mit Besitzstandswahrungen für die Betroffenen): "Im Bundesangestelltentarifvertrag war der Ortszuschlag die Entsprechung des Familienzuschlages. In seinen Nachfolgern TVöD und TV-L gibt es keine Entsprechung, da das Entgelt dort nicht mehr vom Familienstand abhängt" erfahren wir dazu in der Wikipedia.
Das halte ich auch für richtig, denn Arbeitsentgelt ist eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung; warum soll der Arbeitgeber zahlen, wenn sich Arbeitnehmer den "Luxus" einer Heirat, des Kinderkriegens oder einer Lebenspartnerschaft gönnen? Wenn die Gesellschaft die eine oder andere dieser Möglichkeiten honorieren will, dann mag sie das aus Mitteln der Gesellschaft tun, also aus Steuern (oder ggf. Beiträgen), nicht aber die Last einzelnen Arbeitgebern (und seien es auch öffentliche) aufbürden!
Die ganze Debatte um die Frage der steuerlichen Gleichbehandlung der Homo-Ehe ist also dadurch verzerrt, dass das Ehegattensplitting (teilweise) eine ausgleichende Funktion für Kinderkosten übernehmen muss, für die es an sich ungeeignet ist. Würde man das Ehegattensplitting einfach so wegfallen lassen, würde sich ja die Situation auch für Ehepaare mit Kindern drastisch verschlechtern.
Eine aus meiner Sicht gerechte Lösung wäre es, das Ehegattensplitting für Kinderlose ganz abzuschaffen und nur Eltern mit Kindern (bis zu einem bestimmten Alter) eine solche Vergünstigung zuzubilligen; außerdem wäre zusätzlich ein "Kindersplitting" einzuführen, also eine Berücksichtigung der Kinder in ähnlicher Weise (ggf. mit geringeren Sätzen) wie das bisherige Ehegattensplitting: kurz, ein "Familiensplitting" einzuführen, das dann aber auch nur für Familien, nicht für (Ehe-)Paare gilt, und dem entsprechend auch nicht für Homo-Ehen.
Nach den oben entwickelten Überlegungen zum Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich müsste dieses System allerdings bei denjenigen, die weniger verdienen (also bei der breiten Masse) durch direkte Zahlungen ergänzt werden.
Auf diese Weise ließe sich die "Humankapitalproduktion", also die Geburtenrate, mit Sicherheit steigern. Ein Problem kann dann allerdings die Qualität des so generierten Humankapitals werden. Eine solche Förderung würde halt auch etwa der libanesischen Banden-Brut zugute kommen; gerade Unterschichtfamilien würden das Kinderkriegen als eine Verdienstmöglichkeit ansehen, und dass u. U. ohne das Bewusstsein oder auch nur die Fähigkeit zu haben, ihre Kinder so zu sozialisieren, dass sie später für die Gesellschaft produktiv werden (Stichwort "Sarrazin-Debatte").
Insoweit müsste man sich also überlegen, ob nicht andere Wege der Förderung (die man ja beschreitet: Krippenplätze!) zweckmäßiger wären, d. h. ob man nicht die Kinder möglichst frühzeitig in staatliche Obhut nehmen und jene Eltern schlechter stellen sollte, die ihre Kinder daheim behalten. Das mag zwar dem Weltbild z. B. der CSU (und vielleicht auch demjenigen von Erwin Teufel) widersprechen, doch handelt es sich hier letztlich um eine Existenzfrage für unsere Gesellschaft.
Ein anderer Aspekt, der mich mittlerweile gegen jede Förderung des Kinderkriegens (und sei sie vom Gerechtigkeitsstandpunkt auch noch so dringlich) skeptisch stimmt ist das Problem der Ressourcenverknappung. Verhält sich unsere Gesellschaft mit ihrer niedrigen Fertilitätsrate nicht im Grunde rational, angesichts der sich (in meinen Augen) abzeichnenden Verschlechterung der Lebensverhältnisse aufgrund der Ressourcenerschöpfung (Ölfördermaximum / Peak Oil usw.)?
Man sieht: hier öffnet sich ein weites Feld. Im Gegensatz zu vielen anderen Akteuren, die entweder nur ihre unmittelbaren Interessen verteidigen oder die die Problematik unter einem verengten Gesichtspunkt betrachten habe ich versucht, die gesamte gesellschaftliche Problemdimension in den Blick zu bekommen.
Ich hoffe nur, dass Sie bei dieser weit reichenden Tour d'Horizon auch mitgekommen sind?