Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht

Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht

Michaela Preiner

„Meister und Margarita“ (Foto: Horn/Burgtheater) So einiges, was manchen Kritikern missfällt, fasziniert das Publikum – und umgekehrt. Dies ist sehr gut bei der derzeitigen Inszenierung von „Meister und Margarita“ am Akademietheater zu verfolgen, die nach der Premiere nicht nur positive Kritiken erhielt. Unter der Regie von Tiit Ojasoo und Ene-Liis Semper, die in Tallinn das Theater NO99 betreiben, erlebt das von Michail Bulgakow geschriebene Kultbuch eine Dramatisierung, die es seinem ursprünglichen Kontext, der Sowjetunion der 20er und 30er-Jahre entzieht. Das tut rundum gut und bringt jede Menge neuen Schwung mit sich. In der Interpretation des Regieduos aus Estland ist nichts mehr von der stalinistischen Diktatur spürbar, aber von jener des kapitalistischen Systems sehr wohl. Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht „Meister und Margarita“ (Foto: Horn/Burgtheater) Bulgakow, der als Autor vom System drangsaliert und geächtet wurde, arbeitete an diesem Buch über 12 Jahre und hinterließ damit nicht nur ein Stück Selbstreflexion und jede Menge biographische Verweise. In diesem Werk stellt er einige der großen Menschheitsfragen zur Disposition. Woher kommt das Böse, was ist das Gute? Gibt es Barmherzigkeit und wie kann man es persönlich mit der Religion halten?

Ojasoo und Semper, die auch für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnen, versetzen das Geschehen in ein Bürogebäude, in dem die Angestellten einer strengen Hierarchie unterliegen. Besonders das Frauen-Männer-Verhältnis ist – wie man rasch mitbekommt – sehr zu Ungunsten der Frauen aufgestellt. Der Plot will, dass sich in dem offenkundigen Verlagshaus der junge Iwan Unbehaust (Marcel Heuperman) mit der Geschichte von Jesus kritisch auseinandersetzen soll. Während er dem Publikum inbrünstig sein grottenschlechtes Anti-Religions-Gedicht vorträgt, spielt sich im Hintergrund – teilweise auf eine große Leinwand über der Bühne projiziert – ein Kopulationsakt ab. Mit Folgen, wie sich später herausstellen wird.

Der Teufel und seine beiden Begleiter werden gleich bei ihrem ersten Besuch im Medientempel für das Publikum nicht nur durch ihre blutrote Beleuchtung sofort erkennbar. Genauso wie Jesus selbst, der mit blutverschmiertem Haupt, Dornenkrone und Büßerhemd als Reinigungskraft häufige Auftritte absolviert. Dass die Agierenden auf der Bühne diese Charaktere aber nicht durchschauen, wirkt wie eine intelligent eingezogene, weitere Interpretationsebene. Für das Naheliegende ist man blind – oder will es nicht wahrhaben. Oder auch: Gut und Böse sind mitten unter uns – die Entscheidung, wem wir uns zuwenden sollen, wird uns jedoch nicht abgenommen.

Die Spur der menschlichen Verwüstung, die „Woland“ – direkt aus der Hölle gekommen – hinterlässt, ist gewaltig. Entweder sterben die Menschen eines unnatürlichen Todes – wie zum Beispiel durch einen Tramwayunfall am Schwarzenbergplatz, geschickt auf die Leinwand projiziert – oder sie werden verrückt. Norman Hacker beherrscht in der Rolle des Woland nicht nur in seinen mächtigen Auftritten, sondern auch in seiner Abwesenheit das Geschehen. Sein Teufel löst Faszination und Ekel gleichzeitig aus und besticht durch die von ihm ausgehende Kälte und permanente Manipulation der Menschen.

Sein Antipode – Tim Werths als Jeschua – wirkt in den Szenen im Bürogebäude als stiller Beobachter, der sogar einmal eine Slapstick-Nummer mit einem Staubsauger absolviert. Herausragend ist jene Szene, in welcher er in blauem Anzug, ohne Hemd und ohne Socken, sich als Büroangestellter versucht und dabei kläglich scheitert. In Riesenschritten misst er tollpatschig die Büroflucht ab und kommt dabei immer wieder so aus dem Gleichgewicht, dass man permanent fürchtet, ihn stürzen zu sehen. Hier wurde eine eindringliche Metapher geschaffen, die den Wahnsinn des Arbeitens für so manch großes Wirtschaftsunternehmen kondensiert versinnbildlicht.

Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht „Meister und Margarita“ (Foto: Horn/Burgtheater) Die Verschränkung der Handlung mit einer zweiten, die Bulgakow geschickt durchführt, bleibt auch in der Inszenierung aufrecht. Und so verwandeln sich einzelne Charaktere aus der Businesswelt im Handumdrehen zu Pontius Pilatus, dessen Geheimdienstchef, aber auch einen Hohepriester. Beeindruckend kommt dabei nicht nur Jeschuas Furcht vor seiner Verurteilung durch Pontius Pilatus über die Bühne. Vor Angst zitternd steht er vor dem sitzenden Pontius und erscheint trotz seiner großen Gestalt wie ein Häufchen Elend. Philipp Hauß vermittelt in der Rolle des römischen Statthalters glaubhaftest dessen Zweifel, aber auch sein unglaublich diplomatisches Geschick, dass Jeschua letztlich nicht vor dem Tod rettet. So surreal bei Bulgakow das Geschehen auch verhandelt wird, so logisch erscheint es auf der Bühne des Akademietheaters. Die Verbindung mit dem Bösen, dem sich die Menschen freiwillig ergeben, haben viele von uns – wenn auch nicht persönlich – so doch aus Film oder Fernsehen so oder so ähnlich schon erfahren. Und auch die große Liebe, die den Meister und Margarita verbindet, können zumindest einige nachvollziehen.

Es sind Momente, wie das erste Aufeinandertreffen der beiden Liebenden, die emotional perfektest in Szene gesetzt werden und unter die Haut gehen. Sowohl Rainer Galke als auch Annamaria Lang vermitteln den Eindruck, sich bei ihrem ersten Treffen ad hoc aus der Realität in die unsterbliche Liebe katapultiert zu haben. Aber auch der Schmerz, der Margarita erfasst hat, als der Meister plötzlich verschwunden ist, greift tief ans Herz. Der Jesus-Vergleich, in welchem Galke als verhöhnter Autor auf einem überdimensional großem Kreuz verharren muss, macht Sinn. Denn sein Lebenswerk, sein Roman über Pontius, wird von Kritikern rundum abgelehnt, auch wenn sie ihn noch gar nicht richtig lesen konnten. Er, der niemandem etwas zuleide getan hat, wird nach dieser Zurückweisung psychisch krank und fühlt sich ausgestoßen und verurteilt. Dass ein so starkes Bild wie dieses kaum getoppt werden kann, erfährt man im zweiten Teil nach der Pause. Zwar weist auch dieser mit einem Höhepunkt auf – einer gefilmten und eingespielten Ballnacht, auf der es zugeht wie bei einer orgiastischen Party eines Swingertreffs. Dennoch ist der zuvor gezeigte Klimax nicht mehr wirklich zu toppen.

Eine religiöse Verklärung, welche die Angestellten, aber auch alle anderen Charaktere bis auf das Höllentrio samt und sonders erfasst, ist herrlich humorig in Szene gesetzt. Ist doch dahinter Jesus zu sehen, der es nicht fassen kann, was die Menschen in rhythmischer Verzückung da gerade vor ihm so treiben. Es sind Momente wie diese, aber auch Einspielungen direkt aus der Hölle, in welcher Woland seine Besucher in Angst und Schrecken versetzt, die den Abend trotz seiner dreieinhalb Stunden sehr kurzweilig erscheinen lassen.

Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht Der Teufel gewinnt nicht immer, Gott aber auch nicht „Meister und Margarita“ (Fotos: Horn/Burgtheater) Dass das Stück – ähnlich moralisierend wie Hoffmansthals Jedermann – aus heutiger Sicht in seiner letzten Conclusio etwas altbacken erscheint, ist nicht der Regie anzukreiden, außer man hätte einen neuen, inhaltlichen Twist bevorzugt. Die Barmherzigkeit, die Margarita jener jungen Frau zukommen lässt, die zu Beginn in der Kopulationsszene mit ihrem Chef zu sehen war, verweist zumindest auf einen kleinen Funken Menschlichkeit, dem sich der Teufel ergeben muss. Wenngleich auch von Gottes Funken sonst nichts mehr übriggeblieben ist.

Das Spiel um Macht und Geld, um Liebe, Begierde, Erfolg, Misserfolg aber auch Moral und Religion weist so viele unterschiedliche Ebenen auf, dass ein Besuch nicht reicht, um alles erfassen zu können. Eine intelligente und witzige Regie, ein opulentes Bühnenbild, eine ganze Reihe von emotionalen Szenen und wie immer ein bestens disponiertes Ensemble ergeben eine runde, sehr gelungene Inszenierung mit jeder Menge Gesprächsstoff. Das Publikum dankte mit lang anhaltendem Applaus.

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